Als Zeitungsverleger hat man es in diesen Tagen nicht leicht. Selbst wenn sich die Lage bei den Anzeigen wieder erholen sollte, was viele bezweifeln, so raubt den Verlegern schon seit geraumer Zeit das Damokles-Schwert der demografischen Entwicklung den Schlaf: Seit Jahren nimmt die Zahl junger Zeitungsleser kontinuierlich ab. Bereits heute ist der typische Leser tendenziell älter und ein Mann. In ihrer klaren Ausrichtung auf die aussterbenden deutschen Leser ignorieren die Zeitungen zudem die einzige Bevölkerungsgruppe, die Zuwächse verzeichnet: junge, konsumkräftige Ausländer.
In der ersten Hälfte der bundesdeutschen Nachkriegszeit sahen die Zahlen noch ganz anders aus. Zwar kam es aufgrund einer Rezession Mitte bis Ende der 60er-Jahre zu ersten Konzentrationsbewegungen im Pressewesen, doch den Zeitungen ging es vergleichsweise gut. Die massenhafte Verbreitung des Fernsehens hatte das Medium unbeschadet überstanden. Im Gegenteil: Parallel dazu konnten die Tageszeitungen an Reichweite sogar noch zulegen. Erst die Einführung des kommerziellen Fernsehens und die damit einhergehende Gründung eines Dualen Systems aus öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern führte zu einer spürbaren Veränderung in der Mediennutzung. Als die Sender RTL (damals noch mit einem "plus") und Sat 1 nicht mehr nur übers Kabel, sondern auch terrestrisch empfangen werden konnten, nahm die Bedeutung des Fernsehens als Freizeitangebot sprunghaft zu. Das galt zwar für alle Altersgruppen, doch nur bei Jüngeren machte sich erstmals auch ein Verdrängungswettbewerb bemerkbar. Seither werden junge Leute, wie die Untersuchungen des Allensbacher Instituts für Demoskopie (IfD) belegen, immer weniger regelmäßige Leser einer Tageszeitung.
Das hat mehrere Gründe. In gleichem Maß, wie das Fernsehen an Attraktivität gewann, nahm das Interesse junger Menschen an den klassischen Zeitungsressorts Politik und Wirtschaft ab. Kommunikationsforscher vermuten zudem, dass sich das Mediennutzungsverhalten jüngerer Zielgruppen durch die Gewöhnung an das flüchtige Fernsehen verändert hat. Einzelne Ergebnisse der PISA-Studie belegen, dass Schülern das Verständnis komplexer Texte immer schwerer fällt.
Derzeit trägt natürlich auch die wirtschaftliche Situation vieler Haushalte nicht gerade dazu bei, dass sich die Zahl der Zeitungs-Abonnements erhöht. Ein Großteil der Ausgaben für Kommunikation fließt mittlerweile gerade bei Menschen unter 30 ins mobile Telefon. Da das Fernsehen, das man ja wegen der Rundfunkgebühr ohnehin bezahlen muss, sowie Anzeigenblätter, kostenlose Freizeitmagazine oder der lokale Hörfunk offenbar ein Großteil des Informationsbedürfnisses befriedigen, haben viele Haushalte die tägliche Zeitungslektüre in Frage gestellt. 32 Prozent aller Deutschen und 58 Prozent aller 16- bis 29-Jährigen haben heute laut IfD den Eindruck, "alles, was für mich wichtig ist, kann ich auch auf andere Weise erfahren".
Vor 50 Jahren hätte es eine solche Antwort schon mangels medialer Alternativen nicht gegeben. Zwar hatte die noch junge Republik selbst im Zuge des Wirtschaftswunders nicht zur einstigen Zeitungsvielfalt zurückgefunden, doch der Status des Mediums bei seinen Kunden stand außer Frage: Laut einer ersten vom Bundesverband deutscher Zeitungsverlage 1957/58 in Auftrag gegebenen Leserumfrage wurden 78 Prozent der Bevölkerung regelmäßig von Zeitungen erreicht.
Daran sollte sich auch in den beiden folgenden Jahrzehnten nichts ändern. Erste Warnsignale aus Amerika wurden ignoriert: Dort wurde schon in den 70er-Jahren bei jungen Leuten ein deutlicher Rückgang der Zeitungslektüre festgestellt. Hier zu Lande hingegen erreichte das Medium gerade den Höhepunkt der Nachkriegszeit. Die Demoskopenfrage nach der regelmäßigen Zeitungslektüre beantworteten 1979 noch 74 Prozent der Befragten mit "Ja". Erst der medienpolitische "Urknall" 1984, die Einführung des Privatfernsehens brachte die Wende. Nach nur drei Jahren war die Zahl derer, die die Zeitung als wichtigste Informationsquelle nannten, auf nur 28 Prozent abgesackt.
Diese Entwicklung ist aus Sicht von Kommunikationswissenschaftlern weitaus dramatischer als die schrumpfende Anzahl der Titel. Deutlichster Beleg für den ungebrochenen Konzentrationsprozess des Zeitungsmarktes ist die Anzahl der Marktzugänge. Sieht man mal von Nebenausgaben sowie den Ablegern der jüngsten Zeit ("20 Cent", "Welt kompakt") ab, gab es in den letzten Jahrzehnten mit der "tageszeitung" (taz) nur eine nennenswerte Neugründung, die sich nicht nur durchsetzen, sondern auch überleben konnte. Dem gegenüber steht eine Vielzahl von Versuchen, die gescheitert sind, darunter Alternativprojekte wie die "Zeitung zum Sonntag" (zus) aus Freiburg, aber auch ehrgeizige Entwürfe in großem Maßstab wie "Die Woche".
Allerdings hat die Branche die aktuelle Krise auch als Chance erkannt: Praktisch jeder Verlag sucht nach neuen Erlösquellen. Eine jüngste Umfrage der Unternehmensberatung KPMG ("Wachstumsfelder für den Zeitungsmarkt in Deutschland") hat ergeben, dass Zeitungsverlage in Zukunft die Hälfte ihres Umsatzes über den Vertreib erzielen müssen. Die klassische Finanzierungsstruktur - ein Drittel Vertrieb, zwei Drittel Anzeigen - gehöre endgültig der Vergangenheit an. Viele Verlage sind längst als Postzusteller aktiv, teilweise bieten sie auch Telefonie an. Das Angebot kultureller Produkte und Dienstleistungen (Kunst, Bücher, Reisen) gehört fast schon zur Grundausstattung der Verlage.
Vor dem letzten Ausweg werden sich die Verlage so lange wie möglich drücken: Nur dank der Anzeigeneinnahmen konnte ein vergleichsweise niedrigerer Copy-Preis garantiert werden. Lassen sich keine alternativen Einnahmequellen finden, werden die Zeitungen nicht umhin können, ihren Käufern die Gretchenfrage zu stellen: Wie viel ist dem Leser die Lektüre tatsächlich wert?