Bei der Sterbehilfe dürfen Ärzte nicht in einer Grauzone allein über den Tod entscheiden, so der Schweizer Liberale Dick Marty. Auch der Patientenwille muss zählen, fordert der Berichterstatter im Europarats-Parlament.
Das Parlament:
Warum dringen Sie darauf, dass sich der Europarat mit der Sterbe- hilfe befasst? Sollte diese Gewissensfrage nicht den nationalen Parlamenten überlassen werden?
Marty: Es geht um die Werte des Lebens und der Menschenwürde, die im Zentrum der Straßburger Menschenrechtscharta stehen. Der Europarat ist berufen, die Diskussion über die Sterbehilfe voranzutreiben. Konkrete Gesetze bleiben wegen unterschiedlicher kultureller, religiöser und geschichtlicher Erfahrungen natürlich Sache der jeweiligen Staaten.
Das Parlament:
Aber Ihr Vorschlag läuft doch auf eine Liberalisierung hinaus.
Marty: Das stimmt nicht. Es dreht sich nicht um die Liberalisierung der Sterbehilfe, sondern um eine Stärkung der Position von Kranken in der letzten Phase ihres Lebens. Letztlich sind die Betroffenen in der Hand eines Mediziners, der allein entscheidet. Bei der Frage von Leben und Tod darf nicht nur die Ethik des Arztes, es müssen auch die Ethik und der Wille des Patienten gelten. Der Sozialausschuss fordert, dass Patienten umfassend informiert werden und Behandlungen ablehnen können und dass Ärzte nur noch im Team Entscheidungen treffen. Im übrigen fordern wir auch den Ausbau der Palliativmedizin und eine bessere Versorgung von Schwerstkranken. Dies kann dem Todeswunsch entgegenwirken.
Das Parlament:
Rechnen Sie dieses Mal mit einer Mehrheit in der Parlamentarischen Versammlung?
Marty: Ob es eine Mehrheit gibt oder nicht, ist nicht entscheidend - das hängt in Straßburg oft vom Zufall ab. Wichtig ist, dass europaweit endlich öffentlich über die Sterbehilfe debattiert wird. Die Politik hinkt hinter der Realität hinterher. Die Problematik wird sich noch verschärfen, paradoxerweise wegen des medizinischen Fortschritts. Die Menschen werden immer älter, weswegen öfter Grenzsituationen entstehen, wo sich die Frage der Sterbehilfe stellt. Klare Regelungen mit dem Respekt vor dem Willen des Patienten sind nötiger denn je.
Das Interview führte Karl-Otto Sattler