Wenn ihre Freunde auf Partys gehen, sitzen sie noch in irgendeinem Gremium oder im Ortsverein. Jede freie Minute widmen sie ihrer Organisation, ihrer Partei, setzen sich für ihre Überzeugungen ein. Der Weg ist lang. Ehrgeizige Talente gibt es in allen Parteien und Nichtregierungsorganisationen - trotz aller Nachwuchssorgen. "Das Parlament" stellt einige Jungpolitiker und Aktivisten vor.
Auf dem Rasen des Münchner Olympiastadions regiert Ereignisarmut. Die zweite Halbzeit läuft längst. 1860 München kämpft gegen den 1. FC Köln, und es fällt kein Tor; ein Spiel, das die Zuschauer zum Frühjahrsschlaf einlädt. Unterhalb der Stufen der Nordkurve, welche die1860-Fans tragen, liegt das Rote Kreuz eingezwängt. "Wache 4" steht mit Edding auf weißer Resopalplattentür gemalt. Die Fälle der Fußballfreunde nehmen zu, die vom Spiel, vom Sonnenschein oder vom Alkohol genug haben. Pasquale B. ist der Sechste, der sich auf einer Liege krümmt. Er hält sich die Stirn, ruft mit vorletzter Kraft "Sechzig", ehe er ein Fischbrötchen aus seinem Körper würgt. Helferin Maria Obermeier wendet sich ab. "Da kann ich nicht gut hinschauen." Sie ist 27 Jahre alt und seit 2002 beim Roten Kreuz. Normalerweise sei sie ja nicht so, würde ihr eigentlich nichts etwas ausmachen können. "Aber da vergehts mir", sagt Niederbayerin aus Landshut. Bis dahin hatte sie routiniert den Fußballfan untersucht, seinen Blutdruck, seinen Zuckerspiegel überprüft, ihn nach seinem Befinden gefragt, wie es zum Sturz habe kommen können, was er getrunken, was er gegessen habe. Der Fall bleibt trotz Zwischenspiel eine Bagatelle. B. verlässt bald am Arm eines Freundes wieder die Rotkreuzstation.
Vor dreieinhalb Jahren ist Maria Obermeier von der Heimatstadt nach München gezogen. Ursprünglich hatte sie nach der Mittleren Reife Krankenschwester werden wollen. Weil aber alle Freundinnen Bankkauffrau lernten, machte sie das auch. "Der Gruppenzwang. Damals hat man nicht groß nachgedacht." Nun verdient sie ihren Lebensunterhalt bei einer Bank und arbeitet ehrenamtlich für das Bayerische Rotes Kreuz (BRK), Kreisverband München.
Sie ist eine von 60 Helferinnen und Helfern beim heutigen Spiel. "Sie sind die übergeordnete Instanz, die vor Ort entscheiden, was zu tun ist", sagt Einsatzleiter Bernhard Grau. Sie bestimmen, ob ein Verletzter an Ort und Stelle behandelt werden kann, auf die Wache oder mit Blaulicht ins Krankenhaus gebracht werden muss. Dabei kommt es darauf an, medizinische wie taktisch-organisatorische Gesichtspunkte gleichermaßen zu berücksichtigen. "Das ist sauschwer", sagt Maria Obermeier. Vielleicht liegt es an ihrem Kurzhaarschnitt, vielleicht aber auch an der jungenhaften Rotkreuzkluft mit dicker grauer Hose, hellblauem Hemd und roter Jacke, dass sie wie eine Frau wirkt, die viel verträgt. Wenn Einsatzleiter Grau von den Fans erzählt, die sich den Stadioneintritt über den Zaun erklettern wollen und dabei mit ihren Händen an den Stahlspitzen hängen bleiben, berichtet Maria Obermeier nüchtern von einer Hand, bei der ihr Daumen durchgepasst habe. "Da empfinde ich nichts. Da bin ich knallhart. Da kenne ich kein Mitleid." Es ist die Voraussetzung, um klar entscheiden zu können. Als wichtigstes Motiv ehrenamtlich für das Rote Kreuz zu arbeiten, nennt sie aber zunächst medizinisches Interesse. "Ich will wissen, wie der menschliche Körper funktioniert." Ein anderer Gesichtspunkt sei, dass man Menschen, denen es schlecht geht, helfen könne. Das habe aber nichts mit ihrem katholischen Glauben zu tun. Sie macht eine kurze Pause, blinzelt in die sonntägliche Nachmittagssonne des Olympiastadions. "Da weiß ich, was ich Gutes getan habe." Ganz im Unterschied zu ihrem Job in der Bank. "Da habe ich ja nur den schematischen Ablauf."
Etwa 20 Stunden im Monat verbringt sie beim BRK. Neben Fußballspielen hat sie auch Bereitschaftsdienste bei Rockkonzerten, Theaterabenden oder beim Marathon. Im Unterschied zum Fußball kämpfen etwa Opernbesucher weniger mit dem Alkohol oder einer verletzten Hand. "Da geht es, wenn überhaupt was passiert, um Herz- und Kreislaufgeschichten." Am liebsten sind Maria Obermeier Veranstaltungen mit Kindern. Gelegentlich fährt sie als dritte Kraft auf dem Rettungswagen mit. "Hier ist der Kontakt zum Patienten am intensivsten. Da bin ich mit dem ja oft eine halbe Stunde und mehr allein." Sie macht gerade ihre Ausbildung zur Rettungssanitäterin. Das bedeutet, dass sie je 160 Stunden Theorie, Dienste auf dem Rettungswagen sowie ein Praktikum in einem Krankenhaus absolviert haben muss. Dafür wird etwa die Hälfte ihres Jahresurlaubes drauf gehen. Aber das mache nichts. Es ist etwas anderes, das sie motiviert: "Es ist einfach schön zu hören: Danke."