Alle Politik der Gegenwart ist zugleich Geschichte in Aktion. Darin gerät die Betrachtung über Chancen, Grenzen und Bedingungen von Entscheidungshandlungen zumeist zum Rekurs auf die Werturteile in unserer Weltwahrnehmung und auf die möglichst synchron zu leistende Überprüfung ihrer Ableitungen für Theorie und Praxis. Immer wieder müssen die Weltprobleme und ihre Wechseldynamik dimensionsgerecht nach Akteuren, Motiven, Strategien und Instrumentarien kartografiert werden.
Das neue Buch von Conze und Kollegen versammelt Referate einer Spezialtagung in Königswinter vor drei Jahren. Thema war die Erweiterung und Erneuerung der Lehre von den Internationalen Beziehungen im Spiegel ihrer eigenen "Historiographie-Geschichte" (Conze). Zwölf Aufsätze sind folgenden Rubriken zugeordnet: Staat und Politik in der Geschichte der Internationalen Beziehungen, ihre globalen Perspektiven, Wirtschaftsbeziehungen, Kulturtransfer und Beziehungen der Gesellschaften, Transnationalität. Die Themenblöcke untergliedern sich jeweils in "Impuls"- und "Fallreferate". Darin verbinden sich Theoriereflexion mit Feldstudien (so Lappenküper über die deutsch-französische Verständigung 1949-1963).
Der ganze Band zeigt einmal mehr, dass alle Außenpolitik die zwischenstaatliche Gestaltung innerstaatlicher Verhältnisse meint und dass sich diese heute mehr denn je um eine Fülle grenzüberschreitender Einflussnahmen ergänzen (Medien, Kapital, Technik, Industrie, Wissenschaft). Sollte ihr Leitinteresse soziale Konsolidierung sein, so empfiehlt sich dafür weltweit Friedrich Meineckes Begriff der Staatsräson "als regulierendes Prinzip für die Entwicklung innerer Kohärenz in Politik und Gesellschaft".
Wer in der Edition nach konkreter Handlungsanleitung forscht, begegnet häufig methodologischer Eigenfürsorge bei hoher Abstraktion, wie sie Wissenschaft wohl benötigt. Damit macht sie aber ihre Entscheidungshilfen für die politische Praxis nicht selten sperrig. Insgesamt bietet das Sammelwerk im neuen Design, was schon bei Kehr, Krippendorff, Senghaas, Hanrieder, Deutsch, Quaroni, Morgenthau, Kindermann und vielen anderen zu finden war und was zurecht in den Magazinen der Theoriegeschichte der Internationalen Beziehungen bewahrt bleibt.
Thematisch handfester ist Dülffers Bilanz der wissenschaftlichen Erträge und Kontroversen zum Ost-West-Konflikt in Europa. Die den Oldenbourgischen Grundrissen eigene Stoffgliederung wurde beibehalten. Beginn, Entfaltung, Dynamik und Ausglühen des Kalten Krieges bietet Dülffer als kompakte Ereignisgeschichte auf gut 100 Seiten. Darauf folgt das Kapitel über Grundprobleme und Tendenzen der Forschung. Ihre Stichworte lauten Allianzen, Antagonismen, Deeskalation, Dekolonisierung, Spannungsgefüge zwischen Metropolen und Peripherien im Weltduell der Ideologien und Machtsysteme. Auch die Abteilung "Quellen und Literatur" sowie Zeittafeln, Karten, Tabellen, Personen-, Sach- und Geografieregister empfehlen den Band als hohes Gebrauchsgut.
Vergleicht man indes Dülffers Werke-Verzeichnis etwa mit denen von Gall, Hildebrand oder von Rödder, deren "Grundrisse" im selben Verlag erschienen, so ist nicht recht die Verlagsorder verstehbar, dass Dülffers Erfassung von 2300 Schriften um 1000 Titel im Druck gekürzt werden musste. Nicht zuletzt geht das wohl darauf zurück, dass Riesenflächen auch dort "nur" sorgfältig gepflügt wurden, wo man die eine oder andere Tiefbohrung erwartet hätte.
Manfred Funke, Eckart Conze, Ulrich Lappenküper, Guido
Müller (Hrsg.)
Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin.
Böhlau Verlag, Köln 2004; 295 S., 34,90 Euro
Jost Dülffer
Europa im Ost-West-Konflikt 1945 - 1990.
Verlag R. Oldenbourg München 2004; 304 S., 24,80 Euro