Nach dieser Wucht an Verantwortungsübernahme und Fehlereingeständnissen wirkte die Opposition etwas überrannt. Als Bundesaußenminister Joschka Fischer seine Eingangsrede nach - wie der Vorsitzende exakt feststellte - zwei Stunden und 18 Minuten beendet hatte, war die Schuldfrage eigentlich klar: "Schreiben Sie rein, Fischer ist schuld", regte der Minister an. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten nun alle nach Hause gehen können.
Was Fischer dem Visa-Untersuchungsausschuss präsentierte, war nach allen Regeln der Kunst gestrickt: viel Demut und Reue wegen der eigenen Fehler, letztlich aber ein selbstbewusstes Bekenntniss für die seine Politik der vergangenen Jahre. Beim Fernsehpublikum wirkt diese Strategie, das weiß ein Medienprofi wie der Außenminister natürlich. Nachdem er so lange zu den Vorfällen an der Botschaft in Kiew geschwiegen hatte, musste er nicht nur vor den Mitgliedern des Ausschusses in die Offensive gehen, sondern auch vor den Fernsehzuschauern.
Es fing mit seinem Vorschlag an, den so genannten "Volmer-Erlass" in "Fischer-Erlass" umzubenennen, "weil jeder Erlass Sache des Ministers ist, und in dem Moment, wo ich das akzeptiere, ist das mein Erlass". Damit hatte das Auswärtige Amt im März 2000 die Visabestimmungen liberalisiert. Für die Opposition stellt vor allem die darin enthaltende Formulierung "im Zweifel für die Reisefreiheit" den Stein des Anstoßes dar. Sie wirft der rot-grünen Bundesregierung vor, dadurch massenhaften Visa-Missbrauch begünstigt zu haben und somit für Zwangsprostitution und Schwarzarbeit in millionenfacher Weise verantwortlich zu sein. Im Zentrum der Visa-Affäre steht die Botschaft in Kiew, an der seit 2000 die Zahl der Anträge sprunghaft anstiegen.
"Dieser Erlass kann niemals der Grund für die Entwicklung in Kiew gewesen sein", behauptete dagegen Fischer. Vielmehr seien Instrumente wie die Reiseschutzpässe oder das Reisebüroverfahren die eigentliche Ursache. Und beides sei schon von der Vorgänger-Regierung eingeführt worden. "Ich will da nichts abschieben, sondern mir geht es um Kontinuitäten", sagte er. Probleme mit Visa-Missbräuchen hätte es immer gegeben und würde es immer geben, stellte auch der Vorsitzende Hans-Peter Uhl (CSU) zu Beginn der Sitzung fest. Zeuge Fischer forderte nun von der Opposition, "nicht mit zweierlei Maß" zu messen und nicht Regelungen zu kritisieren, die man unter der Kohl-Regierung für gut befunden hätte.
Fischer ist Außenpolitiker, weshalb er den Erlass und allgemein eine liberale Visa-Politik auch vor diesem Hintergrund verteidigte: "Wir können uns Zonen der Instabilität in Europa nicht leisten." Und mit Blick auf die Ukraine sagte er: "Die orange Revolution wäre ohne die Öffnung der Grenzen nicht möglich gewesen. Dieser Transformationsprozess muss weiter gehen."
Die Mehrzahl der Ukrainer als Kriminelle darzustellen, die sich illegal Visa beschafft hätten, sei reine Propaganda, verteidigte sich der Grünen-Politker. Er sprach von einer "unsäglichen Skandalisierung" seitens der Union und bezeichnete insbesondere die Vorwürfe an ihn, Zwangsprostitution begünstigt zu haben, als "infam" und "niederträchtig". Zahlen die diese Behauptung belegen würden, existieren bisher nicht. Die Union glaubt jedoch, diese bald vorlegen zu können.
Trotz der zeitlichen und regionalen Bögen kam Fischer nicht drumherum, auf die konkrete Verantwortung des Ministeriums und seine persönliche einzugehen: "Als Minister kann man sich nicht rausreden." Zwar habe er schon im Juni 2000 von den Problemen in Kiew erfahren, sie jedoch zu lange unter falschen Gesichtspunkten betrachtet. "Ich habe die Lage vor allem als Personal- und Resourcenproblem gesehen. Da hätte ich mich früher informieren und eingreifen sollen. Das ist mein Versäumnis." Als "Hauptproblem", als "größten Fehler" bezeichnete Fischer in diesem Zusammenhang "das mangelnde Monitoring" im AA. Nicht nur die Kommunikation von unten nach oben hätte nicht funktioniert sondern auch die zwischen einzelnen Fachreferaten nicht. Den Vorwurf von Union und FDP, das eigene Ministerium nicht im Griff zu haben, wies Fischer empört zurück. Zu viele Krisen hätte das AA in den vergangenen Jahren bewältigen müssen, als dass man an einem einzigen Punkt die Unfähigkeit des Ministeriums beweisen könnte. Außerdem seien die Mängel längst abgestellt. So habe man mittlerweile ein Frühwarnsystem installiert, in dessen Rahmen 40 als kritisch eingestufte Auslandsvertretungen regelmäßig Berichte nach Berlin senden. Für die Union reichen solche Bekenntnisse jedoch nicht aus, sie spricht nach wie vor den Rücktritt des Ministers aus. Fischer jedoch sagte vor dem Ausschuss, sein Verständnis von Übernahme politischer Verantwortung bestehe darin, dass sich Missstände nicht wiederholen könnten.
Versuche von CDU und FDP, die Fehler im Ministerium über den Minister hinaus zu personalisieren, blieben erfolglos. Hartnäckig weigerte sich Fischer da mitzuspielen. Entschieden verteidigte er die Beamten des AA: "Wenn Fehler gemacht wurden, trage ich die Verantwortung." Wie denn nun genau die Versäumnisse der Mitarbeiter ausgesehen hätten, war die Frage. Fischers Antwort: "Ich habe da keine Schuldzuweisungen vorzunehmen, das ist Sache des Untersuchungsausschusses."
Trotz zahlreicher "mea culpa" des Außenministers: In vielen Punkten biss die Opposition auf Granit, entweder, weil sich Fischer in bestimmten Dingen auf Erinnerungslücken berief, oder weil er rethorisch die Angriffe abschmettern konnte. Dass die Sitzung letztlich nur Informationen präsentierte, die bekannt sind, kann man Fischer nicht vorwerfen. Das hieße, die Mechanismen des Untersuchungsausschusses misszuverstehen. Es ist nun einmal Sache der Ankläger, eine Strategie zu fahren, die den Zeugen in die Enge treibt und mit - auch unerwarteten - Dokumenten konfrontiert, die die Anklage stützen können. Beides passierte nicht.
Der Minister, die Opposition und die Regierungsfraktionen zeigten sich zufrieden. Aus Sicht der Union ist ein Rücktritt Fischers nur konsequent, da seine Ausführungen belegt hätten, er habe sein Ministerium nicht im Griff. Sie erwägt eine weitere Vorladung, da sie - wie schon im Vorfeld der Sitzung kritisiert - wichtige Akten so spät erhalten habe, dass sie in die Vernehmung vom 25. April nicht hätten einfließen können. FDP-Obmann Hellmut Königshaus wertete die Aussagen Fischers als "politisches Geständnis". SPD und Grüne meinten, die Affäre sei nun eigentlich beendet. Das wiederum sieht die Opposition anders. Königshaus frohlockte nach der Sitzung: "Jetzt gehts erst richtig los."