Mit seinem einstimmigen Votum folgt der Bundesrat in seiner Sitzung am 27. Mai dem Bundestag und macht somit einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einer gemeinsamen europäischen Verfassung. Sämtliche Redner, unter ihnen der ehemalige französische Präsident Valery Giscard d?Etaing, der sich als Präsident des Europäischen Konvents große Verdienste um das Entstehen des Verfassungsvertrages erworben hat, lobten das Werk als "historisch" und "zukunftsweisend".
Es sei sehr bewegend für ihn, so Valéry Giscard d’Estaing auf Deutsch, als Franzose meiner Generation heute hier vor dem Bundesrat zu sprechen. Er freue sich, dabei zu sein, wenn die zweite deutsche Kammer der Europäischen Verfassung zustimmt. Deutschland und Frankreich trügen für diese berechtigterweise als Vollendung des europäischen Aufbauwerks der vergangenen 50 Jahre angesehehene politische Unterfangen eine besondere Verantwortung. Giscard d’Estaing dankte den deutschen Mitgliedern im Konvent und insbesondere dem ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Erwin Teufel für die großartige Mitarbeit. Es habe ein einziges Ziel gegeben, nämlich: Europa in die Lage zu versetzen, in den nächsten Jahrzehnten besser zu funktionieren. Es handle sich also bei der europäischen Verfassung um eine Gebrauchsanleitung für die Zukunft, so der ehemalige Konventspräsident. Man habe den nationalen Parlamenten eine bedeutende Rolle zugesprochen, insbesondere in Bezug auf die Achtung des Subsidaritätsprinzips. Ihm sei bewusst gewesen, dass es ein wichtiges Anliegen des Deutschen Bundesrats war, bei Subsidaritätsfragen den Europäischen Gerichtshof anrufen zu können. Wissend um die föderale Struktur der Bundesrepublik habe er dies immer unterstützt. Ein weiterer großer innovativer Schritt war die bessere Darstellung der Außenpolitik der Union. Der Präsident des Europäischen Rates und der zukünftige europäische Außenminister werden Europa in der Welt vertreten. Doch um alle Ziele zu erreichen, so Giscard d’Estaing, müsse man das politische Europa neu überdenken. Es gelte, sich darauf zu konzentrieren, was man gemeinsam tun könne, anstatt als Mitgliedsstaat im europäischen Aufbauwerk nur den individuellen Vorteil zu suchen. Kein Land der Union könne wirtschaftlich oder politisch allein auf der internationalen Bühne etwas ausrichten.
Der Bundesratspräsident, Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzek (SPD), dankte im Namen des ganzen Hauses dem ehemaligen französischen Präsidenten für seine "effektive, aber stets kompromissorientierte" Leitung des Verfassungskonvents. Er habe somit zum erfolgreichen Verlauf und Abschluss wesentlich beigetragen. Bei der Ausarbeitung des Verfassungsvertrages habe sich das Konventsmodell als gutes Mittel erwiesen, der europäischen Idee mehr Dynamik und neue Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu verschaffen. Platzek teile die Würdigung der Verfassung als "Meilenstein für die künftige Entwicklung Europas". Es sei mit ihr klargestellt, dass man eine Wertegemeinschaft sein wolle, und eben nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft. Außerdem werde die demokratische Kontrolle der Tätigkeit der Union gestärkt. Die Rolle des Europäischen Parlamentes werde gestärkt, da es in Zukunft den Präsidenten der Kommission wählt. Dadurch, so Platzek, werde hoffentlich auch das Interesse an den Europawahlen wieder steigen. Ebenfalls zur demokratischen Kontrolle trage bei, dass die nationalen Parlamente unmittelbar in die europäische Gesetzgebung eingebunden würden. Sie erhielten das Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof. Mit diesen erweiterten Rechten sei auch eine wachsenden Verantwortung verbunden. Die Länderkammer, so sicherte der Bundesratspräsident zu, werde diese Instrumente konsequent, aber auch verantwortungsvoll einsetzen.
Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) sieht in dem Entwurf einen "gelungenen Kompromiss", mit dem die Handlungsfähigkeit Europas gestärkt werde, auch wenn nicht alle Vorschläge des Bundesrates umgesetzt worden seien. In der Grundrechtecharta bekenne sich Europa zu seinen abendländisch christlichen Werten. Zwar habe sich Bayern, ebenso wie andere Bundesländer einen klaren Gottesbezug gewünscht, doch sei dies nicht möglich gewesen. Dafür seien die Länder durch die Möglichkeit der Subsidaritätsklage zu gleichberechtigten Partnern geworden. Bei allem Lob dürfe man jedoch nicht die Probleme der Europäischen Union verdrängen. Noch immer regele die Kommission zu vieles, vor allem zu viel Unnötiges. Einer zunehmenden Erweiterung der EU steht Stoiber kritisch gegenüber. "Wer Europa überfordere, tue Europa keinen Gefallen", sagte er und lehnte ebenso wie sein baden-württembergischer Amtskollege Günther Oettinger (CDU) weitere Vollmitgliedschaften in der EU ab. Die Grenze der europäischen Kräfte sei erreicht, so Oettinger.
Als "kleines Wunder" bezeichnete der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) die Verfassung. Nur 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg habe man ein vereintes Europa geschaffen – dies sei noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen. Dennoch löse die Verfassung nicht alle Fragen. Man müsse die Sorgen der Menschen ernster nehmen, so auch die Sorgen vieler Arbeitnehmer, Verlierer der europäischen Integration zu sein. Sozialdumping sei ein Problem, dem man sich stellen müsse, so Beck. Das Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft ist aus Sicht von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmert (CDU) ein wichtiger Bestandteil der Verfassung ebenso wie die errungenen Mitspracherechte beider deutschen Kammern. Wolle man allerdings die föderale Struktur für Europa anpreisen, müsse man auch zeigen, dass man damit in Deutschland zu Lösungen kommen kann. Das Scheitern der Föderalismuskommission sei dabei kein positiver Faktor. Mit den Worten: "Es geht nicht besser", lobte Bundesaußenminister Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) den Verfassungsentwurf, der ein "optimaler Kompromiss" sei. Eine gemeinsame Verteidigungs- und Sicherheitspolitik sei ebenso zu begrüßen, wie die europäische Grundrechtecharta, die eine freiheitlich demokratische Entwicklung in Europa gewährleiste. Man habe auch gute Lösungen für beide deutsche Kammern gefunden, die es nun auszufüllen gelte. Zwar werde es immer unterschiedliche Interessenslagen zwischen Bund und Ländern geben, doch sollte das gemeinsame Interesse für Deutschland über allem Streit stehen.