Die vorerst letzte Änderung des Gesetzes zum Kündigungsschutz liegt noch gar nicht so weit zurück: Ende 2003 hat Rot-Grün - damals übrigens gemeinsam mit der Union - gegen den heftigen Widerstand der Gewerkschaften im Wesentlichen drei Lockerungen des Gesetzes zum Kündigungsschutz beschlossen.
So gilt seit dem 1. Januar 2004 das Gesetz in Betrieben mit mehr als zehn Arbeitnehmern, dort allerdings auch nur für neu eingestellte Mitarbeiter. Zuvor hatte der Schwellenwert bei fünf Beschäftigten gelegen. Gleichzeitig sind die Kriterien für die Sozialauswahl konkretisiert worden. Bei betriebsbedingten Kündigungen sind nun das Alter, die Dauer der Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten oder eine Schwerbehinderung entscheidend. So genannte Leistungsträger können aus der Sozialauswahl herausgenommen werden. Arbeitgeber und Betriebsrat haben die Möglichkeit, gemeinsam Namenslisten zu erstellen, die über das Schicksal der Mitarbeiter entscheiden. Wenn der Arbeitgeber bei betriebsbedingten Kündigungen eine Abfindung anbietet, kann der Beschäftigte wählen, ob er gegen die Kündigung klagt oder die Abfindung annimmt.
Der Arbeitgeberseite und der Union gehen diese Veränderungen nicht weit genug. Unterstützt werden sie dabei von einer ganzen Reihe renommierter Wirtschaftsforschungsinstitute. Das Hauptargument: Das deutsche Kündigungsschutzrecht sei zu rigide, die Regelungsdichte mache den Arbeitsmarkt undurchlässig und führe zu einer höheren Zahl von Langzeitarbeitslosen. Christoph Schmidt, der Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), meint, dass das Gesetz vor allem älteren Arbeitsuchenden schade, da die Arbeitgeber wegen der Kündigungsschutzrichtlinien dazu neigten, sie gar nicht erst einzustellen. Und Henning Klodt vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) richtet den Blick nach Dänemark, wo gar kein Kündigungsschutz existiert: Dort lag der Anteil an Langzeitarbeitslosen, also jenen Menschen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, 2003 nur bei 1,1 Prozent, wie der Professor herausfand. In Deutschland waren es 4,6 Prozent.
Vier weitere Wirtschaftsinstitute, unter ihnen das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, kommen in einer Analyse zu dem Schluss: "Mittelfristig wäre zu prüfen, ob der Kündigungsschutz optional durch eine Abfindungsregelung ersetzt werden kann." Ähnlich denken auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und die Union. "Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten im Kündigungsschutzprozess ohne weitere Voraussetzungen einen Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung stellen können, wenn eine Kündigung keinen Bestand hat", fordert etwa die BDA. Und nach dem Willen der CDU sollen Arbeitnehmer schon bei Neueinstellungen zwischen Abfindung und Kündigungsschutz wählen können. Zudem solle bei einer unbefristeten Anstellung der Schutz erst nach zwei Jahren greifen - und nicht, wie derzeit, nach einem halben Jahr.
Außerdem, so die CDU, müsse der Schwellenwert heraufgesetzt werden: Das Kündigungsschutzgesetz dürfe erst für Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten gelten, da kleinere Unternehmen stärker als große von der aktuellen Auftragslage abhängig sind und flexibler reagieren müssen. Die FDP fordert hier eine Schwelle von 50 Beschäftigten.
Die Furcht vor einer zunehmenden Belastung der Arbeitgeber durch Arbeitsgerichtsprozesse, die hinter diesen Forderungen steht, scheint nicht unbegründet: Nach einer zur Zeit an der Juristischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg laufenden Untersuchung zu "Kündigungspraxis und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis" erhalten jährlich rund zwei Millionen Arbeitnehmer eine Kündigung. Im Jahr 2003 landeten davon 328.000 vor Gericht, dreimal so viele wie 1979. Lag die Klagequote 1978 noch bei acht Prozent, hat sie sich bis 2003 auf 16 Prozent verdoppelt.
Demnach müsste der Kündigungsschutz die Personalverantwortlichen gerade in den kleinen Betrieben mehr und mehr davon abhalten, neue Mitarbeiter einzustellen. Die gerade erschienene Untersuchung "Der Kündigungsschutz zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit" des Wirtschafts- und Sozialpolitischen Instituts (WSI) der gewerkschaftlichen Hanns-Böckler-Stiftung, hat nach der Befragung von rund 2.000 Personalern zudem Verblüffendes festgestellt: In zwei Dritteln der Kleinbetriebe mit bis zu fünf Beschäftigten ist nicht einmal bekannt, dass das Kündigungsschutzgesetz für sie keine Gültigkeit hat. Die Wissenschaftler ziehen daraus den Schluss, dass eine weitere Anhebung des Schwellenwertes ohne Wirkung bliebe. Nach den Ergebnissen der Befragung beeinflussen andere Faktoren das Einstellungsverhalten der Unternehmen: die aktuelle wirtschaftliche Situation und die wirtschaftliche Entwicklung in den vergangenen fünf Jahren.
Ohnehin haben Bundeskanzler Gerhard Schröder und SPD-Chef Franz Müntefering klar gemacht, dass es mit ihnen keine weitere Lockerung des Kündigungsschutzes in Richtung "Hire-and-Fire"-Politik geben wird. Selbst kritische Wissenschaftler wie Ulrich Walwei vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) räumen ein, dass auch die Arbeitgeber vom Kündigungsschutz profitierten, da es die Loyalität der Mitarbeiter erhöhe.
Vor weiteren Modifizierungen dürfte dies das Kündigungsschutzgesetz in Zukunft allerdings nicht bewahren - zu groß scheint der Widerstand aus Opposition, Arbeitgebern und Wissenschaft.
Martin Teschke arbeitet als freier Journalist in Berlin.