Der amtierende Ratspräsident Jean-Claude Juncker hatte zu Beginn des Treffens die Hoffnungen auf einen Kompromiss schon einmal gedämpft. "Mit einem Vergnügen, dessen Ausmaß sie gar nicht ermessen können", überlasse er es den Briten, in Brüssel eine Lösung im Streit ums EU-Geld zu präsentieren, sagte Juncker am Vortag. Ein kleiner Wink in Richtung seines Kollegen Tony Blair, der am 1. Juli vom Luxemburger Juncker die Ratspräsidentschaft übernehmen wird.
Der Pessimismus des Präsidenten könnte allerdings auch ein Stück Verhandlungstaktik gewesen sein: Zusammen mit der Vorhersage, das Ganze sei hoffnungslos, legte er einen neuen Kompromissvorschlag auf den Tisch des Rates. Danach sollen die EU-Ausgaben von 2007 bis 2013 auf 1,06 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU oder insgesamt rund 870 Milliarden Euro begrenzt werden. Der umstrittene Beitragsrabatt für Großbritannien soll auf dem Durchschnittswert der vergangenen Jahre von 4,6 Milliarden Euro pro Jahr eingefroren werden. Von einem Abschmelzen ist in dem Kompromisspapier keine Rede mehr.
Mit diesem Vorschlag soll den Briten eine goldene Brücke gebaut werden, mit dem Köder, dieses für sie lästige Thema während der eigenen Präsidentschaft vom Tisch zu haben. Mehr könne Blair auf keinen Fall erwarten, heißt es in Brüsseler Diplomatenkreisen.
Erste Reaktionen auf das Kompromisspapier nährten dann doch wieder Hoffnungen auf einen Durchbruch und auf das taktische Geschick Junckers. Denn wenn es um komplizierte und scheinbar aussichtslose Verhandlungen geht, wird dem in einem Alter von gerade einmal 50 Jahren dienstältesten EU-Regierungschef fast alles zugetraut.
Der amtierende Ratspräsident Juncker hat 1991 den wirtschaftlichen Teil des Vertrages von Maastricht entworfen, der Europa den Euro gebracht hat. Und 1996 vermittelte er erfolgreich im Streit zwischen Deutschland und Frankreich über den Europäischen Stabilitätspakt, den viele damals für nicht lösbar hielten. Als beide Länder jetzt gemeinsam versuchten, diesen Pakt wieder auszuhebeln, schaffte es Juncker vor wenigen Monaten erneut, eine Einigung der 25 EU-Staaten herbeizuführen. Der Luxemburger wurde dafür zunächst heftig kritisiert. Er sei den beiden Defizitsündern zu weit entgegen gekommen, hieß es. Was der Kompromiss tatsächlich bedeutet, dürfte allerdings insbesondere Deutschland zu spüren bekommen, wenn im Herbst das Verfahren wegen der zu hohen Verschuldung wieder in Gang gesetzt wird.
So war es von Juncker schon im Vorfeld des Gipfels geschickt eingefädelt, den Konflikt vor allem auf zwei Problemzonen zu fokussieren: Der Brite Tony Blair lehnte Änderungen an seinem Rabatt ab, solange Europa nicht eine Grundsatzdebatte über die Milliardenschweren Agrarsubventionen führt. Dem verweigerte sich wiederum Frankreichs Jacques Chirac, dessen Bauern am meisten von dem Brüsseler Geld profitieren und die bisher noch jede Regierung in Paris in die Knie zwangen, die an diesem Privileg ernsthaft zu rütteln wagte. Chirac hat dabei ein gutes Argument: Der Agrarhaushalt wurde bereits 2002 - mit Zustimmung Blairs - festgeschrieben. Mit einem Trick versucht Juncker in seinem letzten Vorschlag, beiden gerecht zu werden: Der Agrarhaushalt würde danach sogar noch leicht, von 293 auf 295 Milliarden Euro angehoben. Darin sollen dann allerdings rund acht Milliarden Euro enthalten sein, die Bulgarien und Rumänien nach einem Beitritt 2007 zustehen und die bisher an anderer Stelle im Haushalt vorgesehen sind. Die Differenz von rund sechs Milliarden ginge zu Lasten der Bauern der jetzigen Union, vor allem der aus Frankreich.
Der Bereich Agrar-, Fischerei- und Umweltpolitik soll mit 378 Milliarden Euro auskommen, immerhin nur sechs Prozent weniger als ursprünglich veranschlagt. Einschneidender sollen dagegen die Kürzungen im Bereich Forschung und Entwicklung sowie berufliche Förderung ausfallen. Hier ist mit einem Minus von 41 Prozent zu rechnen. Da es hier, anders als bei den straff organisierten Landwirten keine schlagkräftige Lobby gibt, könnten so die erst im Frühjahr gefassten Beschlüsse zur Lissabonner Strategie wieder aufgehoben werden.
Mit einem buchhalterischen Trick senkt Juncker in seinem Vorschlag auch die EU-Ausgaben im Bereich der Außenbeziehungen - zumindest optisch. Damit kommt er den auf drastische Einsparungen drängenden Ländern wie Holland und Schweden entgegen. Danach sollen die Hilfszusagen der EU an die so genannten AKP-Staaten, die ärmsten Länder Afrikas, der Karibik und des Pazifikraums, künftig nicht mehr im EU-Haushalt vorkommen. Die ihnen zustehenden rund 22,7 Milliarden Euro sollen nach einem festgelegten Schlüssel direkt aus den nationalen Haushalten aufgebracht werden. Da die Zahlungen der 25 EU-Staaten für die gesamte Entwicklungspolitik zugleich auf 90 Milliarden Euro deutlich angehoben werden sollen, könnte Blair so einen Erfolg auf dem G8-Gipfel Anfang Juli in Edinburgh für sich verbuchen.
Sollte Juncker mit dieser Strategie Erfolg haben, hätte er erreicht, was niemand für möglich gehalten hatte: Auch wenn das EU-Budget anstiege, würden die tatsächlichen Ausgaben der Union künftig ein Prozent der Wirtschaftsleistung ihrer Mitgliedstaaten nicht mehr überschreiten. Bisher lag die Marge mit 1,24 um gut 20 Prozent höher, auch wenn sie nie voll ausgeschöpft wurde. Ein Prozent ist die Zahl, auf die sich die größten Nettozahler, angeführt von Deutschland, frühzeitig festgelegt hatten. Juncker ist ihnen sogar noch ein Stück weiter entgegen gekommen: Er schlägt zusätzlich vor, den pro Kopf am meisten von EU-Beiträgen belasteten Ländern, also Deutschland, Schweden, den Niederlanden und Österreich, in besonderer Weise entgegenzukommen. Dazu soll die Abführung ihrer Mehrwertsteueranteile in Höhe von 0,15 Prozent in die EU-Kasse halbiert werden.
Deutschland zahlte 2003 insgesamt 90 Euro netto pro Einwohner in die EU-Kasse, Schweden 107 Euro und die Niederlande 120 Euro. Ob allerdings die gegenüber dem Kommissionsvorschlag vorgesehene Kürzung der Hilfen für die ärmeren Länder im Süden und Osten der EU gleich um neun Prozent auf 306,5 Milliarden Euro durchzusetzen ist, muss abgewartet werden.
Sollte eine Einigung auf dieser Grundlage erfolgen - das Ergebnis stand bei Redaktionsschluss noch aus - müssten sich die Regierungen nur noch mit der EU-Kommission und dem Europäischen Parlament einigen. Ihre Zustimmung erscheint aber wenig problematisch, da die Kommission großes Interesse daran hat, eine verlässliche Planungsgrundlage für die nächsten Jahre zu haben, und der Juncker-Kompromiss mit ihren Vorstellungen in vielen Punkten übereinstimmt.
Die Europaabgeordneten hatten bereits am 8. Juni ein Gesamtbudget von 1,07 Prozent der Wirtschaftsleistung vorgeschlagen, das mit 883 Milliarden Euro nur knapp über dem Juncker-Vorschlag lag. Zwar bekundete das Parlament weitere Kompromissbereitschaft, wies aber auch darauf hin, dass es keine Verpflichtung zur Einigung über eine Vorausschau um jeden Preis gäbe. Gemäß EU-Recht sind nur jährliche Haushaltspläne aufzustellen. Ohne Einigung aber würden der EU wieder wie in früheren Jahren heftige, jährliche Haushaltsauseinandersetzungen bevorstehen, bei der das Parlament am etwas längeren Hebel sitzt. Gibt es keinen Kompromiss, würde dies zu einer Situation führen, die es aus Sicht der nationalen Finanzminister unbedingt zu vermeiden gilt.