In zweierlei Hinsicht waren die Parlamentswahlen in der nicht anerkannten Kaukasus-Republik Berg-Karbach für die derzeitige de-facto Regierung ein Erfolg: Sie waren frei und fair, wie internationale Wahlbeobachter bestätigten, und das regierungsnahe Lager hat gewonnen. Die "Demokratische Partei" errang 12 der 33 zu vergebenden Parlamentssitze, das Bündnis "Freies Mutterland" zehn, die armenische Revolutions-Föderation "Daschnakzutjun" drei. Acht Personen im neu gewählten Parlament werden eine unabhängige Abgeordnetengruppe bilden. Eines aber haben die Wahlen am 19. Juni nicht erreicht: Sie haben der nach Unabhängigkeit strebenden Region keine größere internationale Anerkennung verschafft. In einer Stellungnahme des französischen Außenministeriums heißt es: "Über die Bedingungen für die Definition eines künftigen Status Berg-Karabachs verhandeln die Konfliktparteien derzeit im Rahmen der Minsker Gruppe. In dieser Hinsicht werden die Wahlen keinerlei Auswirkungen auf den laufenden Friedensprozess oder den künftigen Status Berg-Karabachs haben."
Der Konflikt um den Status der Region und der Versuch, mit einem Volksentscheid den Ausgang des Konfliktes zu beeinflussen, sind nicht neu. Im Dezember 1991 entschied sich die Bevölkerung von Berg-Karabach in einem Referendum mehrheitlich für die Unabhängigkeit ihres Staates. Doch der Status von Berg-Karabach ist bis heute umstritten, weil die rund 12.000 Quadratkilometer kleine Kaukasusregion zwar seit je her überwiegend von Armeniern bewohnt wird, aber niemals ein eigenständiges Staatsgebilde darstellte. Das Gebiet liegt umschlossen vom Staatsgebiet Aserbaidschans und war während der Sowjetunion offiziell Aserbaidschan untergeordnet. Das ist der Grund, warum Aserbaidschan Berg-Karabach bis heute als Teil seines Territoriums beansprucht und warum die internationale Gemeinschaft die Unabhängigkeit ohne die Zustimmung Aserbaidschans nicht anerkennt.
Dennoch bestimmt in Berg-Karabach die von der armenischen Mehrheit gebildete Regierung de facto die Politik. Das hat militärische Gründe. 1988 kam es in Aserbaidschan zu pogromartigen Ausschreitungen gegen Armenier. Kurze Zeit später sogar zum Krieg. Die Armenier gewannen den Krieg und halten Berg-Karabach und die angrenzenden Gebiete seither besetzt. Der stellvertretende Außenminister Masis Mailian erklärt: "Seit 1988 sind wir de facto unabhängig von Aserbaidschan. Und wir werden nie wieder zu einer Enklave werden. Nach den Ereignissen von 1988 wissen wir, was es bedeutet, eine Enklave zu sein. Wir wurden von allen Seiten blockiert. Es war Krieg. Bomben fielen. Wir hatten nichts zu essen, kein Wasser, keine Elektrizität. Viele Leute wurden umgebracht. Auch heute noch hören wir von Aserbaidschan, dass sie uns bekämpfen wollen, wenn wir nicht nachgeben. Wie können die da glauben, dass wir aserische Staatsbürger werden wollen?"
Der Regierung fehlt bis heute die völkerrechtliche Legitimität - ein Misstand, den die Politiker gerne beheben würden, wie Außenminister Arman Melikian zugibt: "Berg-Karabach muss von der internationalen Gemeinschaft als unabhängiger Staat anerkannt werden. Wir haben unsere Wahl 1991 getroffen. Wir hatten ein Referendum. Wir wählten die Unabhängigkeit, und da machen wir weiter. Wir bauen im Moment unseren Staat auf." Unterstützt wird Berg-Karabach dabei vor allem von Armenien. Doch auch die Regierung in Eriwan möchte Berg-Karabach endlich international als einen eigenständigen Staat akzeptiert sehen, und das hat mehrere Gründe. Die Region lebt derzeit wirtschaftlich und politisch vollkommen von der Unterstützung des Mutterlandes Armenien. Das meiste, was auf den fruchtbaren Hügeln angebaut wird - das sind vor allem Weintrauben und Getreide - wird in der sechs Autostunden entfernten armenischen Hauptstadt Eriwan verkauft. Da die Region aber mehr importieren muss als sie exportieren kann, braucht sie zusätzlich finanzielle Hilfe. Armenien gewährt dem nicht anerkannten Staat regelmäßig Kredite. Darüber hinaus übernimmt die armenische Regierung die diplomatische Vertretung Berg-Karabachs im Ausland. Sie stellt den Bürgern der Region beispielsweise die Pässe aus, die sie für Reisen benötigen. Bei den Verhandlungen mit Aserbaidschan bezüglich der Konfliktregion sind die Vertreter Berg-Karabachs ebenfalls nicht anwesend. Der armenische Außenminister Wartan Oskanjan sagt: "Armenien ist nur an den Verhandlungen beteiligt, weil die aserbaidschanische Regierung es ablehnt, dass Berg-Karabach beteiligt ist."
Die Unterstützung hat für Armenien Folgen. Aserbaidschan betrachtet jeden, der der Regierung von Berg-Karabach hilft, als Feind und versucht Armenien daher seit Jahren zu isolieren. Die Türkei, die sich als aserbaidschanische Brudernation sieht, ist dem Aufruf zum Boykott gefolgt. Sie hat den Grenzübergang zwischen Armenien und der Türkei gesperrt.
Armenien will sich dem Druck Aserbaidschans und der Türkei nicht beugen. Dennoch wäre die Regierung froh, das Problem mit dem Rest der Welt zu teilen. "Armenien wird die Gespräche weiterführen", sagt Außenminister Oskanjan. "Aber wenn eine Vereinbarung näher rückt, müssen die Karabacher mitreden können. Unsere Befürchtung ist, dass es, wenn sie nicht von Anfang bei dem Prozess beteiligt sind, sondern zu einem späteren Zeitpunkt dazu kommen, problematischer wird." Allerdings müssten alle Parteien realistisch sein, wenn der Konflikt gelöst werden solle, fügt Oskanjan hinzu. Berg-Karabach werde de facto seit Jahren unabhängig regiert. Auch der Wahlgang am 19. Juni sei eine Tatsache. Die Menschen seien in die Wahllokale gekommen und hätten für die Freiheit und Unabhängigkeit gestimmt.