Michael Loeckle konnte diesen Fall nicht mehr in sein Buch, das auch als Dissertation vorgelegt wurde, aufnehmen, da es schon in Druck war. Er hätte in die fatal lange Reihe seiner Belege, mit denen er die Blockierung des republikanischen Ethos verifiziert, gut gepasst.
Zitatenreich, abgestützt durch viele Anmerkungen und eine umfangreiche Bibliographie (weit über 500 Titel), entwirft er ein düsteres Bild Deutschlands, dessen Kälte, Unfähigkeit zu trauern, Killerkapitalismus, Besitzwahn, Spießertum er beklagt. Mehr denn je sei, in Erinnerung an die unheilvolle Kontinuität vom Bismarck-Reich bis zum Dritten Reich, in Deutschland die schon von Kant und Hölderlin postulierte "Revolution der Gesinnungen" vonnöten.
Damit von vorneherein deutlich ist: "Das Anliegen der hier vorliegenden Schrift möchte kein anderes sein." Im Übrigen bekenne sich der Autor zu Erich Kästners Einsicht, dass Satiriker Schulmeister seien, die im verstecktesten Winkel ihres Herzens die Hoffnung hegten, dass "die Menschen vielleicht doch ein wenig, ein ganz klein wenig besser werden könnten, wenn man sie oft genug beschimpft, bittet, beleidigt und auslacht".
Bei seiner materialreich-anregenden Streitschrift geht der Verfasser kaum einer Provokation, kaum einem stritigen Thema aus dem Wege, was bei der Leserschaft - kollektiver Gesundheit durchaus bekömmlich - den Adrenalinspiegel, teils aus Zustimmung, teils aus Ablehnung, sicherlich erheblich ansteigen lässt. "Satiriker" müssen manchmal zu weit gehen, um zu erproben, wie weit man gehen kann, um staatsbürgerliche Sensibilität und die Zivilcourage des Widerspruchs zu wecken.
Aus meiner Sicht geht jedoch dem Autor in seinem pessimistischen Engagement für Aufklärung des Öfteren das "Gleichgewichtsgefühl" verloren; etwa wenn er - geradezu von einem Furor teutonicus (den er doch eigentlich bekämpfen will) angetrieben, auch unter Heranziehung fragwürdiger Zeugen - gegen bestimmte Strömungen moderner Kultur polemisiert: "Mit dem kakodämonistischen Exhibitionismus des modernen Theaters steht es indessen nicht anders als mit der musica nova und dem degoutanten Jokus der ,modern art' … es geht auch hier um Vernichtung, Atomisierung und Dekomposition durch eine Intendanz aus Chaos, Wahn und Anarchie."
Die "Dialektik der Aufklärung" - ihre Verkehrung ins Gegenteil - besteht nicht zuletzt darin, dass man sie mit unaufgeklärten Mitteln propagiert. Da hätte dem Verfasser sein spanischer "Freund und Mentor" Heleno Saña, der auch ein Vorwort schrieb, zu mehr Coolness raten sollen. Saña wäre zudem nahe zu legen, bei seiner in vielen Publikationen verbreiteten vehementen Deutschlandkritik etwas zurückhaltender zu sein; er bräuchte nur den hohen Stand der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in der Bundesrepublik mit den in dieser Hinsicht gravierenden Versäumnissen im ehemaligen "Franco-Land" zu vergleichen.
Die Wahrheit über die deutsche Geschichte und Gegenwart, der dieses Buch dient, ist oft schmerzlich, verhilft aber zur Heilung. Eine wiederholte Lektüre dieses Buches hat mich jedoch bedenklicher gestimmt: Eine fragwürdige Leistung!
Michael Loeckle
Die blockierte Republik.
Deutschland zwischen Wahn und Wirklichkeit.
battert verlag, Baden-Baden 2004; 396 S., 29,80 Euro