Spätestens Florian Illies' Kultbuch "Generation Golf" machte das bis dahin gebräuchliche Erzählmuster "Opa, erzähl vom Krieg!" zum Auslaufmodell. Seither schrumpft die Zahl der Zeitzeugen, die von den wirklich entbehrungsreichen und lebensbedrohenden Jahren berichten können, weiter, wie es umkehrt die Generation derer, für welche die "Gnade der späten Geburt" (Helmut Kohl, Jahrgang 1930) eine solche Selbstverständlichkeit ist, dass sie darüber gar nicht einmal mehr redet, zunehmend in die Öffentlichkeit drängt, ihre Erinnerungen auszubreiten.
Auch Jürgen Brater, Jahrgang 1948, gehört zu ihr. Schon von daher kann sein Thema nichts anderes sein als die im Kern guten, weil friedlichen Zeiten der 50er- und 60er-Jahre. Diese bis auf den heutigen Tag geltende Rahmenbedingung ("Frieden") gibt zwangsläufig auch Richtung und Tendenz vor, wie sich die Vergegenwärtigung jener Zeit entfalten muss.
Brater hat ein freundliches Buch geschrieben, das niemandem weh tut, ja das, wollte man es bösartig kommentieren, von der ersten bis zur letzten Zeile eigentlich aus nichts anderem zu bestehen scheint als aus Zeitkolorit. Doch es erhebt auch nicht den Anspruch, mehr sein zu wollen. Seine Spannung bezieht es aus dem Gegensatz Damals-Heute (Kohlsuppe versus Pizza). Insofern wird es sicher gute Aufnahme finden bei denen, die es angeht und welche die Zeit selbst erlebt haben, darüber hinaus womöglich auch bei Jüngeren, die in ihm ein Stück gefällig einherkommender Erinnerungskultur vorfinden.
Um bei den Stärken des Buches zu bleiben: Wie lässt sich ein so intensives Schwelgen in Zeitbildern erzählerisch bändigen? Antwort: Brater befleißigt sich eines elegant dahingleitenden Parlandos, das im Deutschen nicht häufig anzutreffen ist und das nur gelegentlich in den Stil eines Besinnungsaufsatzes zurückfällt. Meist findet er immer wieder die feine Grenze, an welcher die angenehme Plauderei in penetrante Geschwätzigkeit umzuschlagen droht.
Gleichwohl leistet dieses Parlando mehr als es auf den ersten Blick offenbart: Es entfaltet mit großer Zwanglosigkeit das Panorama nahezu aller relevanten Themen, welche die Lebenswelt jener Jahre so geprägt haben, von der allgegenwärtigen Kommunistenangst über den Päckchenversand in die DDR bis hin zum Kuppeleiparagrafen. Immer freilich bleibt der Käfer , die Perspektive aus dessen hinterem Seitenfenster, die Wahrnehmungslinse für die so erinnerten Wirklichkeiten - geradezu, als ob Brater die aktuelle VW-Werbung mit ihren patina-verliebte Bildern vom Sonntagsausflug mit Worten einholen wollte!
Wer genauer hinsieht, kann überdies erstaunliche Entdeckungen machen. Da verwebt Brater sein Käfer-Erlebnis der 50er-Jahre geschickt mit der Käfer-Werbung (nachdem dieser selbst schon als Mythos galt) der 60er-Jahre ("läuft und läuft", "Form, die man nicht verbessern kann"). Im Buch sieht dies wie eine gleichzeitig gemachte Erfahrung aus, was natürlich nicht stimmt, da es sich in Wahrheit aus zwei verschiedenen Zeit-, Wahrnehmungs- und Reflexionsebenen speist.
Damit ist auch der Unterschied bezeichnet, den dieses Buch von den uns inzwischen inflationär überschwemmenden Konsumbiografien trennt. Autor und Verlag sei gedankt, der Versuchung widerstanden zu haben, diesen in jedem Satz nach Bestätigung durchs Bild geradezu schreienden Text nicht illustriert zu haben. Sollte das Beispiel Schule machen, dann dürfen wir uns schon jetzt auf die kollektive Lebensgeschichte der Generation Handy und deren rhetorische Finessen als SMS freuen (ggggg).
Jürgen Brater
Generation Käfer. Unsere besten Jahre.
Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 2004; 240 S., 17,90 Euro