Der Begriff Elite hat im deutschen Sprachgebrauch einen gewissen Beigeschmack von Ar-roganz und Anmaßung, Dünkel und eitler Ab-gehobenheit. Ein Graben tut sich auf zwischen "de-nen da oben" und dem normalen Volk. Ein Graben, der in Deutschland nur schwer zuzuschütten ist. Der Grund ist vor allem in den großen Zeitenwenden des vergangenen Jahrhunderts zu finden, als die politischen Eliten versagten. Daher war es lange verpönt, sich zur Elite zu bekennen.
Hat unsere Gesellschaft eine Konjunktur der Köpfe oder herrscht immer noch tiefes Misstrauen gegenüber den Eliten in der modernen Wissensgesellschaft? Einen breitgefächerten Themenbereich stellen die Politikwissenschaftler Oscar W. Gabriel und Beate Neuss und der Leiter der Begabtenförderung und Kultur der Konrad-Adenauer-Stiftung, Günther Rüther, in einer Beitragsreihe vor. Zu den Autoren zählen noch andere prominente Namen wie Wolfgang Schäuble, Manfred Eisele und Elmar Wiesendahl - eine Elite eben, aus vielen Bereichen des öffentlichen Lebens.
Einen schlimmen Befund stellt Tilman Mayer von der Bonner Universität an den Anfang seiner Betrachtung. Zwei von drei Top-Vertretern der Wirtschafts-, Verwaltungs- und Politikelite sind nach einer Befragung von Allensbach der Ansicht, dass die Deutschen elitefeindlich gesonnen sind. Fehlt aber das Vertrauen, leidet die politische Kultur. Viel bleibt zu tun, um das gegenseitige Misstrauen abzubauen und im Interesse der gesamten Gesellschaft zu einem fruchtbaren Miteinander zu gelangen.
Zurzeit liegt der Ball im Feld der Führungsgruppen. Parlamentarier müssen sich des Verdachts erwehren, von Konzernen Geld gegen geringe - wenn überhaupt - Gegenleistungen zu erhalten. Topmanager genehmigen sich, während Politiker zu verstärkter Reform- und Opferbereitschaft aufrufen, exorbitant hohe Gehälter und Abfindungen. Auch die aktuelle Reformpolitik stärke mit "nicht eingelösten Versprechungen kaum das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Führungsgruppen", stellt Melanie Walter-Rogg von der Universität Stuttgart fest. Misstrauen gegenüber Eliten könne auf lange Sicht zu Misstrauen gegenüber dem politischen System führen. Allein das zeigt, um was es geht: Um nichts weniger nämlich als um den Bestand der Demokratie.
Während 1972 noch zwei Drittel der Westdeut-schen großen Respekt vor den Fähigkeiten der Abgeordneten hatten, sind knapp 20 Jahre später nur ein Drittel der Bürger dieser Meinung. Bei den Ostdeutschen nimmt das Vertrauen in die Fähigkeiten der politischen Repräsentanten seit 1991 kontinuierlich ab. Noch größer ist die Vertrauenskrise im wirtschaftlichen Bereich; lediglich 18 Prozent der Deutschen vertrauen Managern großer Unternehmen. Dabei ist von großer Bedeutung, wie die Bürger reagieren werden. Bestenfalls, so Walter-Rogg, mit einem verstärkten politischen Engagement, schlimmstenfalls durch Mobilisierung antidemokratischer, populistischer Bewegungen wie in Frankreich oder in Holland.
Hermann Kühnle, Professor in Magdeburg, äußert, die Migrationsbewegungen der Bildungs- und Forschungseliten müssten Alarm auslösen. Die Abwanderung der Höchstqualifizierten aus Deutschland stehe nicht etwa bevor, sie sei vielmehr in vollem Gange. Es scheine, so Kühnle, keine Aussicht auf ein Klima für Innovation und Leistung zu bestehen. Zwar sei das Potential durchaus vorhanden, doch vermögen die deutschen Universitäten nicht die entsprechende Anziehungskraft zu entfalten. Deutschland müsse von "bürokratischem Muff" befreit werden, damit jenes Forschungs- und Arbeitsklima entstehen könne, in dem Leistung, Eigenverantwortung, Mut und Kreativität gesellschaftlich und finanziell belohnt, "statt durch Bürokraten, Bedenkenträger und Neider behindert und diskreditiert" werden.
Hohe Aktualität gewinnt der Sammelband durch gründliche Analysen über die Aufgaben der Eliten in der Demokratie, über Funktionseliten in der modernen Wissensgesellschaft und über die Elitediskussion an den deutschen Universitäten.
Oscar W. Gabriel, Beate Neuss, Günther Rüther
(Hrsg.)
Konjunktur der Köpfe?
Eliten in der modernen Wissensgesellschaft.
Droste Verlag, Düsseldorf 2004; 384 S., 22,95 Euro