Es klingt lustig, was die Kunstexpertin Doreet LeVitte Harten über Israelis, ihre Landsleute, sagt: "Am Morgen sind sie Europäer, am Nachmittag Orientalen und am Abend mediterran." Es sei zwar eine merkwürdige und manchmal schwierige Situation, aber "ich finde es schön, dass die Sachen noch nicht so fixiert sind. Es gibt keine fest definierte Sicht davon, wie Israelis sich selber sehen, und das macht die Kultur auch sehr dynamisch".
Eine Arbeitserleichterung aber ist das nicht unbedingt - zumindest nicht für die Kuratorin einer so großen Ausstellung wie "Die Neuen Hebräer. 100 Jahre Kunst in Israel", die noch bis Anfang September im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen ist. Denn hier muss die Dynamik der Identitäten gleichzeitig festgehalten, aber auch für die Besucher spürbar werden.
Das gelingt besonders gut, wo es um das Verhältnis zum Orient und zur arabischen Nachbarschaft geht, der die ersten jüdischen Einwanderer aus Europa vor über 100 Jahren begegneten. "Wir haben versucht, diese Veränderungen zu zeigen, angefangen von der Gründung der Bezalel-Akademie 1906 bis hinein in die zeitgenössische Kunst", beschreibt die Kuratorin den Anspruch der Ausstellung. Diese zeigt über 700 Exponate von über 120 Künstlern verschiedenster Genres, vom Kunsthandwerk über Malerei, Grafik bis hin zu Videoinstallationen. Es handelt sich um die größte Schau israelischer Kunst, die jemals in Europa gezeigt wurde, aber um keine reine Kunstausstellung. "Es geht auch darum, den Kontext darzustellen, in dem die Kunst entstanden ist", so LeVitte Harten über das Konzept, das aus Anlass des 40-jährigen Bestehens diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik von den Berliner Festspielen und dem Israel-Museum in Jerusalem erarbeitet worden ist.
Den zeitlichen Ausgangspunkt bildet die Eröffnung der Bezalel-Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Jerusalem. Sie geht auf eine Idee des aus Litauen stammenden Bildhauers Boris Schatz zurück, der von einem geistigen Zentrum des jüdischen Volkes träumte.
Es war die Zeit, in der Europas Juden, vor dem Hintergrund eines zunehmenden Antisemitismus, über Auswege berieten, in der die Idee des Zionismus Konturen annahm, in der die Vision einer Rückkehr nach Palästina - aber nicht als Flucht, sondern als Neuanfang - verstanden wurde. Bezalel war deshalb von Beginn an weit mehr als eine Ausbildungsstätte, nämlich tatsächlich jenes identitätsstiftende Zentrum. Die ausgestellten Arbeiten der ersten Künstlergeneration sprechen davon. Ob nun verzierte Teller und Uhren, ob Wandteppiche oder Gemälde, sie alle erzählen von einem neuen, bis heute gültigen Selbstverständnis in Israel: der Bindung an den Ort. "Das ist der Unterschied zwischen Juden und Israelis. Ein Jude definiert sich durch das Blut. Er ist Jude, weil seine Mutter Jüdin ist. Ein Israeli aber definiert sich durch den Ort. Das ist ganz zentral für einen Israeli, denn es geht nicht nur um einen Ort, sondern um ein Konzept", sagt LeVitte Harten. Ein Konzept, dem die Ausstellung bereits in ihrem Titel gerecht wird. Als Nachfahren der alten Hebräer, ihrer historischen Vorväter auf dem Gebiet des heutigen Israels, verstanden sich die Einwanderer als "Neue Hebräer". Um diese Kontinuität zu dokumentieren, präsentiert der Gropuis-Bau einen regelrechten Schatz: eine 2000 Jahre alte Tempelrolle von Qumran mit ihren religiösen Unterweisungen.
Als Neue Hebräer transportierten auch die Künstler zunächst nicht einfach nur Vorstellungen eines friedlichen Miteinanders zu den Arabern. Sie gingen weit darüber hinaus. In den 20er-Jahren avancierte der Araber zu "einem Modell, dem man näher kommen wollte, weil er das Modell der alten Hebräer verkörperte", so LeVitte Harten. Nicht nur in der Kunst formte man den Neuen Hebräer nach diesen Vorbildern. Viele Fotos dokumentieren das alltägliche Miteinander. Nach arabischen Angriffen 1929, denen mehr als 100 Juden zum Opfer fielen, kippte das Bild. Orientalische Themen gingen in der Kunst drastisch zurück, "die Zeit der Erstlingsfrüchte war vorüber", heißt es dazu im Katalog. In der zeitgenössischen Kunst habe sich dieses Bild wieder gewandelt, erläutert LeVitte Harten. "Es gibt unheimlich viel Sympathie mit der Figur des Arabers." Das äußere sich oft nicht direkt, "weil niemand Plakativkunst machen möchte". "Aber man sieht die Araber in der Zwiespältigkeit des Konflikts." Man sehe zugleich auch die Israelis in der selben Zwiespältigkeit.
Eine Lösung für diesen auch in dieser Ausstellung übermächtigen Konflikt wird man hier aber nicht finden. "Man ist etwas machtlos, weil, was kann die Kunst machen? Sie kann nur zeigen, wie schrecklich die Situation ist." Und so endet die Schau mit einer Frage des Künstlers James Lee Byars, mit weißer Schrift auf einer schwarzen deutschen Flagge "Sollen alle Juden aus Israel zurück nach Deutschland gehen?"