So hat der radikale Nachfolger des Reform-Präsidenten Mohammed Chatami während seiner Kampagne "eine einzige Familie und deren Clique" dafür kritisiert, dass sie das Erdölgeld in ihre Taschen steckten, während das Volk darbe. Er versprach, den Augiasstall der Korruption auszukehren und dafür zu sorgen, dass der Ölreichtum auf den Tellern der Iraner sichtbar werde. Jeder wusste, dass Ahmadinedschad seinen Konkurrenten, den gemäßigten Ex-Staatschef Haschemi Rafsandschani, meinte, der zu den reichsten, raffgierigsten und unbeliebtesten Männern des Landes gehört.
Kaum war die Wahl entschieden, bescheinigte der geistliche Führer Ali Chamenei dem Unterlegenen, er sei ein honoriger und erfahrener Mann. Auch eine große Mehrheit des Parlaments sprach Rafsandschani Anerkennung und Dank aus. Fazit: Aus den Rekordeinnahmen von voraussichtlich 40 Milliarden Euro, die Iran dank hoher Ölpreise heuer erzielt, wird der neue Präsident das Millionenvolk seiner Wähler mit Prämien und Brosamen erfreuen können. Aber eine Umverteilung ist nicht vorgesehen. Der Besitzstand wird nicht angerührt.
Ihren Sieg durch Hupkonzerte, Umzüge und andere Kundgebungen zu feiern, verbot Chamenei den Anhängern Ahmadinedschads. Dass der Radikale die Lockerung der streng islamischen Lebensformen - einen der wenigen tief greifenden Erfolge der Reformperiode - rückgängig machen wolle, bestreiten Vertrauensleute. So sagt Mehdi Kalhor, der Wahlkampfstratege des Siegers, das neue Regime werde den Druck auf die Kultur abbauen und eine kritische Presse respektieren. Das Recht auf Satelliten-Antennen, die theoretisch immer noch verboten sind, werde Ahmadinedschad bestätigen. Es gibt erste Stimmen von Ultrakonservativen im Parlament, der Madschlis, der künftige Präsident müsse die Schande beenden, dass Frauen mit nicht mehr als einem bunten Taschentuch auf dem Kopf herumliefen.
Das hätten die Machthaber schon bisher tun können, wenn sie gewollt hätten. Sie hatten die Polizei unter ihrem Kommando, die Volkmiliz Bassidsch, die Revolutionswächter, Justiz, Geheimdienste, die Wirtschaft und einen Großteil der Medien. Aber gerade seit die Konservativen auch das Parlament unter ihre Kontrolle brachten, war die Praxis eher laxer geworden: Junge Paare gehen Hand in Hand, was früher unmöglich war, sitzen auf Parkbänken, treffen sich in Restaurants. Autokorsos mit lauter Musik werden nicht mehr unterbunden, private Parties mit Tanz und geschmuggeltem Alkohol nur noch selten gesprengt. Die Sittenpolizei befand sich deutlich auf dem Rückzug.
Informierte Interpreten der Absichten der "Neuen Konservativen" behaupten, diese träumten vom "chinesischen Modell" - ideologische Kontrolle bei Liberalisierung des Alltags mit Prosperität. Da die Machthaber den Jungen Arbeitsplätze und Wohlstand nicht bieten könnten, dürfen diese im Privatleben an längerer Leine laufen. Missmut soll vermieden werden. Wenn Frauen, die sich nach süßerem Leben sehnen, der "Tscha-Dior" genommen werde, das bunte Seidentuch aus Paris oder Rom, dann ist die Freude bei den Fanatikern weniger wichtig als der Ärger in der Mittelschicht.
Wichtiger als solche Indizien sind die Strukturen. Der Präsident Irans ist kein starker Mann. Chatami war es nicht, wie er selber, die Mehrheit der einst hoffnungsvollen Iraner und seine ausländischen Partner in acht frustrierenden Amtsjahren erfahren mussten. Ahmadinedschad wird es gleichfalls kaum werden. Er will es gar nicht und hätte dazu - im Gegensatz zu Rafsandschani - auch nicht die Hausmacht. Niemand kommt in der Islamischen Republik am geistlichen Führer vorbei. Er steht über Verfassung, Gesetz, Institutionen, Volkswillen oder Wahlen und ist normalerweise lebenslänglich an der Macht. Nach dem Grundsatz des "Welajat-e-Fakih", der Herrschaft des Gottesgelehrten, die Revolutionsführer Chomeini in jene Verfassung einfügte, ist er der irdische Statthalter des entrückten zwölften Imam, des Oberhauptes der Schiiten. Chamenei befehligt die Streitkräfte, ernennt die Chefs der Justiz sowie des Staatsfernsehens und bestimmt die Zusammensetzung des Wächterrates, des geistlichen Verfassungsgerichtes.
Dieses wiederum brachte fast alle Reformgesetze als "unislamisch" zu Fall, welche die Madschlis verabschiedete, als die Reformer dort noch die Mehrheit hatten. Vor den Wahlen zu eben diesem Parlament und jetzt wieder für die Präsidentschaft eliminierte der Wächterrat alle aussichtsreichen Kandidaten der Reformer. Chameneis Justiz wiederum sperrte in den letzten Jahren mehr als 90 Zeitungen zu. Ein geschlossenes System, zu dem auch die wirtschaftlich dominanten Stiftungen gehören, von deren Wohlwollen Millionen abhängig sind. Ohne Chamenei und dieses System wäre der obskure Ahmadinedschad nicht vor zwei Jahren Bürgermeister Teherans und jetzt nicht Präsident geworden. Selber bekennt er, dass er keinen anderen Ehrgeiz habe, als Erfüllungsgehilfe des geistlichen Führers und damit treuer Diener der Nation zu sein.
Nie war die Islamische Republik ein Monolith der Macht. Sie ist es auch jetzt nicht. Die Konservativen sind unter sich zerstritten, noch mehr die Reformer, so weit sie nach der Verdrängung von allen Schalthebeln überhaupt politische Handlungsmöglichkeiten behalten. Weder die eine Seite noch die andere hat ein kohärentes Programm. Anhänger staatlicher Planung und Freiwirtschaftler, Pragmatiker und Ideologen, Orthodoxe und Radikale, Revolutionäre und Reaktionäre, Phantasten und Opportunisten haben ein Vierteljahrhundert lang für ein Patt gesorgt, das wirtschaftliche und soziale Entfaltung behinderte.
Iran entspricht dem klassischen Modell einer Despotie, gemildert durch Schlamperei. Innerhalb der Eliten verbinden nur wenige mit Worten wie Demokratie, Pluralismus, Freiheit konkrete Vorstellungen oder gar Erfahrungen. Von den Revolutionären der zweiten oder dritten Führungsgeneration, zu der Ahmadinedschad gehört, hat kaum einer Kenntnis von der Welt. Andere Länder kennen junge Funktionäre überwiegend von Dienstreisen - wie seinerzeit Apparatschiki der Sowjetunion.
Auf Rafsandschani hätte dies nicht zugetroffen. Er kennt sich aus, war ein gewiefter Makler, der etwas von internationalen Beziehungen verstand, und wollte die Errungenschaften des Reformers Chatami bewahren. Die Fortsetzung des Dialogs mit den Europäern und der Anfang einer Normalisierung der Beziehungen zu den USA wären für ihn vordringlich gewesen, denn er weiß, dass die Misere seines Landes anders nicht zu beheben ist. Zusammen hätten diese Faktoren mutmaßlich die Lösung des Atom-Disputs mit Teheran erleichtert. Es ist jedoch noch nicht lange her, dass Ahmadinedschad sagte: "Wir haben die Revolution nicht gemacht, um Demokratie herzustellen." Die USA hätten die Beziehungen abgebrochen, um das Revolutions-Regime "zu ruinieren". Amerika sei frei gewesen, so zu handeln, aber jetzt liege es am Iran, "zu entscheiden, ob die Beziehungen wieder hergestellt werden sollen". Im November 1979 hatte der damals 23-jährige Ahmadinedschad jener Studenten-Organisation angehört, deren dominanter linker Flügel die amerikanische Botschaft in Teheran besetzte. Er selber plädierte aus radikal konservativer Gesinnung dafür, auch die sowjetische Botschaft zu stürmen.
Es ist gut, sich in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, dass Begriffe wie links und rechts, liberal und konservativ nur begrenzt mit ihrer westlichen Ursprungsbedeutung übereinstimmen. Dass sein Land Atomwaffen will, stellt er heute in Abrede, so wie es der offiziellen Linie entspricht. Doch er meint, die wenigen, die nicht einsehen wollten, dass Iran ein Recht auf friedliche Nutzung nuklearer Energie habe, würden bald zur Raison kommen. Mit seinem Hintergrund als Mitglied einer Spezialeinheit der Revolutionswächter, als maßgebliches Mitglied der Massen-Organisation Bassidsch und mit seinem beschränkten außenpolitischen Horizont dürfte Ahmadinedschad neue Spannung und zusätzliche Lust an der Konfrontation in den Atom-Disput bringen. Günstigstenfalls kann er zu einem populistischen Staatschef nach dem Muster des Venezolaners Hugo Chavez werden, der die Armen für sich mobilisieren kann, aber sein Land weiter in die Isolierung treibt. Bei der geostrategischen Lage Irans wäre dies indessen viel gravierender.
Nicht mehr als ein Drittel der wahlberechtigten Iraner hat für Ahmadinedschad gestimmt. Grundlegende Veränderungen im Machtgefüge haben sie durch ihr Votum nicht bewirkt, aber ein gewaltiges Gewicht verschoben. Zum ersten Mal sind alle Karten in einer Hand, denn nun gehört den Konservativen nach Parlament und Jus-tiz auch die Exekutive. Der scheidende Reformpräsident und seine Regierung waren die letzte Bremse für deren Machtwillen. Auch wenn Chatami und seine Leute nicht viele Wirkungsmöglichkeiten hatten, waren sie ein Korrektiv, das für bessere Manieren im Umgang mit dem Ausland sorgte und für ein milderes Klima im Alltag der Iraner. Nach der Islamischen Republik der Revolutionszeit war Chatamis Baustelle einer Zivilgesellschaft einmal erwartungsvoll als "Zweite Republik" begrüßt worden. Ahmadinedschads "Dritte Republik", falls es denn eine wird, ist eintöniger als ihre Vorgängerinnen.
Manche Iraner blicken mit Nostalgie auf die Zeit der Revolution zurück, andere mit Furcht, dass Gewalt und Rechtlosigkeit jener Epoche wiederkehren könnten. Jene zwei Drittel der Bevölkerung, die jünger als 30 Jahre sind, haben keine persönliche Erinnerung und weder Sehnsucht noch Angst. Sie leben in einer anderen Welt und kümmern sich wenig um das, was ihnen die Obrigkeit erzählt, so lange man sie in Ruhe lässt. Ihre Wünsche orientieren sich an der Konsumgesellschaft und den intellektuellen Moden der USA. Die Propaganda gegen den Großen Satan interessiert niemanden mehr. Ja, paradoxerweise sind die Iraner das einzige Volk des Nahen Ostens und wahrscheinlich der islamischen Welt, das Sympathien für Amerika hat. Alle Parallelen zwischen der revolutionären Frühzeit und Ahmadinedschads Ideen sind schief. Der Revolutionsführer Chomeini zog bei seiner Rückkehr aus dem Exil einen Kometenschweif von Denkern und Praktikern aus der bürgerlichen, liberalen und linken Opposition hinter sich her. Ahmadinedschads Iran ist von intellektueller Dürftigkeit bedroht.
Rudolph Chimelli ist Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in
Paris.