In den vergangenen Jahren ist das öffentliche Interesse an Kulturstatistiken deutlich gewachsen. So hat sich die Enquetekommission des Deutschen Bundestages "Kultur in Deutschland" bereits auf einer ihren ersten Arbeitssitzungen im Jahre 2003 mit dem Feld der Kulturstatistik befasst. Ein von der Enquetekommission durchgeführtes Expertengespräch zum Thema "Leistungsprofil und Leistungsdefizite der Kulturstatistik" mit Vertretern des Deutschen Städtetages, des Statistischen Bundesamtes und des Arbeitskreises Kulturstatistik e.V. (ARKStat) sollte prüfen, welchen Beitrag die Kulturstatistik zu einer Bestandsaufnahme des Kultursektors leisten kann. In Folge dieses Gespräches wurde das Statistische Bundesamt beauftragt, ein Gutachten zum "Anforderungsprofil einer bundeseinheitlichen Kulturstatistik" zu erstellen. Es liegt inzwischen als unveröffentlichte Untersuchung vor.
Zugleich hat die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Johanna Wanka, bei ihrer Amtseinführung im Januar dieses Jahres angekündigt, dass es wesentliche Impulse zur Verbesserung der kulturstatistischen Arbeit im Hinblick auf eine professionelle Unterstützung der Kulturpolitik geben muss. Auf der Arbeitskonferenz des ARKStat mit dem Titel "Vom Nutzen einer abgestimmten Kulturstatistik" im April 2005 forderte sie, dass - vor allem im Zusammenhang mit Förderentscheidungen - eine komplexere Betrachtung der Träger der Kultur, auch eine erheblich komplexere Kulturstatistik erfordere.
Der "ordnungspolitische" Hintergrund: In Deutschland gehört die Kulturförderung zu den wenigen Politikfeldern, die von den jeweiligen Gebietskörperschaftsebenen in Gemeinden, Ländern und Bund weitgehend souverän und nach eigenen Zielsetzungen gestaltet werden können. Neben diesen staatlichen Körperschaftsebenen existieren die Ebenen der zivilgesellschaftlichen Kulturverbände und freien Kulturszene, der gemeinnützigen Kulturträger und -förderer sowie der privatwirtschaftlichen Kulturmärkte. Die kulturföderalistische Praxis, die Trägervielfalt der Kultureinrichtungen und die heterogene Struktur der kulturwirtschaftlichen Branchen haben bisher zu einer vielfältigen künstlerischen und kulturellen Infrastruktur in allen Regionen Deutschlands geführt.
Durch die besondere föderalistische Konstruktion und die Differenzierung in einen öffentlichen, intermediären und privatwirtschaftlichen Kultursektor gibt es in Deutschland allerdings auch eine besonders komplizierte Lage bei der Steuerung der Rahmenbedingungen von Kunst und Kultur. Während eine zentral aufgebaute Kulturadministration das Feld der Kultur einheitlich definieren, die Mittel zentral steuern und vor allem die Gestaltung der zukünftigen Kunst- und Kulturentwicklung mitbestimmen kann, soweit dies durch die zentrale Setzung der Rahmenbedingungen planbar und steuerbar ist, gelingt das in einem föderalistisch organisierten Staatswesen nur sehr bedingt.
Diese "Nicht-Steuerungsfähigkeit" einer deutschen gesamtstaatlichen Kulturpolitik ist zum Teil sogar erwünscht, wie bis vor kurzem aus der Kultusministerkonferenz - der höchsten kulturpolitischen Ebene in Deutschland - des öfteren zu hören war: Im Gegensatz etwa zu einer einheitlichen Bildungspolitik, gebe es auf dem Gebiet der Kulturpolitik gerade keinen Abstimmungs- oder Koordinierungsbedarf zwischen den Bundesländern. Es gehe ja gerade um die besondere Profilbildung eines Landes und nicht um einheitliche Vergleichsstrukturen in der Kultur. Trotz dieser "ordnungspolitisch" diffusen Lage hat es seit Ende der 80er-Jahre in der Kultusministerkonferenz und zeitgleich bei der damaligen Kulturabteilung des Bundesministeriums des Innern sowie beim Kunstreferat des Bundesbildungsministeriums jeweils getrennte Ansätze zum Aufbau einer bundesweiten Kulturstatistik gegeben. Alle diese Bemühungen haben bis heute jedoch keine gesamtstaatliche Kulturstatistik hervor gebracht.
Die fachspezifische Lage der Kulturstatistik: Der beschriebene Hintergrund hat sich naturgemäß prägend auf die gesamte Struktur und die Arbeitsweise der deutschen Kulturstatistik ausgewirkt. Es ist eine Tatsache, dass der Vielfalt des Kultursektors eine Vielfalt der Träger kulturstatistischer Erhebungen und Datenbestände entspricht.
Natürlich ragen einzelne Erhebungen wie zum Beispiel die Theaterstatistik, die Bibliotheksstatistik oder die Musikschulstatistik, die wegen ihrer Qualität europaweit gerühmt werden, heraus. Darüber hinaus hat das Fehlen einer staatlichen oder amtlichen Kulturstatistik zu einer reichhaltigen Quellenvielfalt von Datenbeständen geführt, mit einer ähnlich großen Vielfalt methodischer Ansätze und definitorischer Bemühungen. Nach dem vom Bonner Zentrum für Kulturforschung Anfang der 80er-Jahre begonnenen "Bestandsaufnahme Kulturstatistik" rechnet der Arbeitskreis Kulturstatistik e.V. inzwischen mit über 200 Institutionen und Organisationen allein im nichtstaatlichen und kommunalen Bereich, die für das Feld der Kultur- und Medienstatistiken das Gros entsprechender Daten liefern.
Fazit: Die langjährigen Erfahrungen der Experten aus dem Arbeitskreis Kulturstatistik e.V. konzentrieren sich auf zwei grundsätzliche Erkenntnisse: Aufgrund der Fülle der vorhandenen kulturstatischen Datenbestände ist es erforderlich, eine fachliche Plattform für die Kulturstatistik zu finden, die die Träger von Kulturdaten auf einer kooperativen und abgestimmten Basis zusammenführt. So sollte die Vielfalt der kulturstatistischen Träger grundsätzlich nicht angetastet, sondern als sensibles Geflecht akzeptiert und die Träger der kulturstatistischen Erhebungen behutsam zu einer weiterführenden Kooperation animiert werden. Dies schließt mit ein, dass es weniger um die Einführung neuer gesamtstaatlicher Sondererhebungen gehen kann, sondern vielmehr um den fachlichen Ausbau von vorhandenen im Feld bereits eingeführten Fachstatistiken gehen sollte.
Diese Hinführung zu einer abgestimmten kulturstatistischen Gesamtplattform erfordert demnach eine neutrale Organisationsform. Eine wissenschaftliche Fachstelle, die sowohl in Unabhängigkeit zu den Fachstatistiken wie zur amtlichen Statistik eingerichtet werden sollte, scheint der geeignete Weg zur schrittweisen Verbesserung der Lage der Kulturstatistik zu sein. So kann die Trägervielfalt der Kulturstatistik über Kooperationen und Netzwerke besser erhalten und auf eine neue Stufe der Grundlagenarbeit zum Nutzen der Kulturpolitik geführt werden.
Eine bundesweite Kulturstatistik in Deutschland kann nicht nach dem Vorbild zentralistischer Staaten, zum Beispiel durch Kulturstatistikgesetze, gefördert werden. Vielmehr wird sie ihren Weg zu einer intelligenten und partnerschaftlich abgestimmten Kulturstatistik finden, wenn die Politik sie zu ihrem eigenen Nutzen dabei unterstützt.
Der Autor ist Vorsitzender des Arbeitskreis Kulturstatistik e.V. im
Haus der Kultur in Bonn, zu dem rund 30 Mitglieder und 100
Teilnehmer/innen aus dem Umfeld der Kulturstatistik zählen.
Der Verein arbeitet ausschließlich ehrenamtlich,
öffentliche Mittel stehen derzeit nicht zur
Verfügung.