Einer der wenigen Farbtupfer in dem kleinen Atelier sind die leuchtend orangeroten Acrylfäden auf hohen Pappmacheestelzen. Ein Modell für eine Skulptur, die Kerstin Franke-Gneuß im Oktober vor dem Kulturkaufhaus Tietz in Chemnitz errichten wird. Ansonsten dominiert eine schwarze Druckerpresse den Raum. Radierungen sind ihr eigentliches Metier. Die gebürtige Meißnerin bringt ihre Lieblingsform - Linien in Bewegung - stets in neuen Formen und Farben zu Papier. "Dazu brauche ich den Blick nach draußen, den Wind in den Bäumen", sagt sie und schaut durch das Atelierfenster auf den Loschwitzer Elbhang. Kerstin Franke-Gneuß hat Glück. Werkstatt und Drei-Zimmer-Wohnung im Loschwitzer Künstlerhaus sind erschwinglich. Das geräumige gelbe Haus war vom Architekten Martin Pietzsch im Jahre 1898 für Künstler geschaffen worden; 13 Wohnungen und 17 Ateliers haben dort Platz.
Gleichwohl musste die Künstlerin ihr ursprüngliches, größeres Atelier aufgeben. Der Kunstmarkt im Osten Deutschlands ist heikel. Wo es an Großindustrie mangelt und die Menschen insgesamt wenig Geld haben, da fehlen auch den Künstlern die Kunden. So lebt Kerstin Franke-Gneuß im wesentlichen von Aufträgen öffentlicher Einrichtungen. Das kommt zwar ihrer wachsenden Vorliebe für die "großen Dimensionen" entgegen, ist aber auch dem Diktat der immer leerer werdenden öffentlichen Kassen unterworfen. Gleichzeitig steigt der Preis für ihr Arbeitsmaterial im Sechs-Monats-Rhythmus.
Die Sächsin hat sich allerdings rechtzeitig einen größeren Vorrat angelegt. "Lisa", das Lichtsammelglas aus Acryl, das UV-Licht speichert und deshalb auch bei bedecktem Himmel leuchtet, scheint ein knappes und begehrtes Gut zu sein. Für die Chemnitzer Skulptur werden allein die leuchtenden Stangen 6.000 bis 8.000 Euro kosten, von den gewaltigen Stahlbeinen ganz zu schweigen.
Bauanträge muss sie für solche Arbeiten stellen - keine Freude für kreative Menschen. Doch das gehöre eben dazu, sagt die Künstlerin. Genau wie die zahlreichen Bewerbungen um Aufträge, die dann doch nicht zustande kommen. Vorarbeiten, die nicht honoriert werden. Kerstin Franke-Gneuß sieht das gelassen. "Die konzeptionelle Arbeit versandet ja nicht. Die Projekte sind durchdacht, und ich kann sie vielleicht mal an anderer Stelle verwirklichen."
Kerstin Franke-Gneuß arbeitet seit 1984 als freischaffende Künstlerin und hat sich weit über die Grenzen Sachsens hinaus einen Namen gemacht, unter anderem mit Ausstellungen in Süddeutschland, Salzburg und Brüssel. Doch weitere Kreise zu ziehen, ist für sie aus familiären Gründen nicht möglich: "Als allein erziehende Mutter bin ich nicht so beweglich." Klar, das Angebot im vergangenen Jahr, drei Monate in Südamerika zu arbeiten, hätte sie schon gereizt, "aber man muss wissen, was man will". Ausschließlich für ihre Kunst zu leben, hätte die 46-Jährige nicht erfüllt, Kinder gehören für sie unbedingt auch dazu. Da verzichtet sie lieber auf den internationalen Kulturbetrieb und verschafft sich ein zweites Standbein; denn zum Leben reicht das Geld, das sie mit ihren Kunstwerken verdient, nicht aus. Mit der Technischen Universität Dresden hat sie einen Honorarvertrag für Arbeiten in den Universitätssammlungen Kunst und Technik. Passepartouts zuschneiden, Bilder aufhängen, Besucher führen, auch das empfindet Kerstin Franke-Gneuß als Bereicherung. Selbst wenn der Honorarvertrag alle zwei Monate erneuert werden muss: "Was gibt es Schöneres, als ein echtes Picasso-Blatt in der Hand zu halten. Oder einen Tapies an die Wand zu hängen, und ich hänge mit einem Werk gleich daneben; da kann man doch umkommen vor Glück!"
Die Autorin ist freie Journalistin in Dresden.