Aber: Dies deutsche Theaterwunder kostet Geld, viel Geld. Obwohl mit acht Milliarden Euro nur 0,8 Prozent der öffentlichen Haushalte für Kultur ausgegeben werden, von denen zwei Milliarden an die Bühnen und Orchester gehen. Doch auf diese Weise wird immerhin jede verkaufte Theaterkarte mit durchschnittlich 96 Euro bezuschusst. Und in Zeiten leerer kommunaler Kassen, in der um die weitere Finanzierbarkeit aller sozialen Systeme gerungen wird, gerät das Theater schnell in den Sparblick der Politiker. Bei steigenden Kosten werden fast überall in Deutschland den Theatern die Zuschüsse gekürzt. Das hatte und hat einschneidende Folgen für die Theaterlandschaft: Es wird ab-, um- und rückgebaut.
Wenn das Saarland seine Förderung für das Saarländische Staatstheater bis zum Jahr 2009 kontinuierlich von 24,5 Millionen auf 18,5 herunterfährt, wird dies mit keiner Strukturreform aufzufangen sein. Wenn die Stadt Schwerin eine Absenkung ihrer Zuschüsse für ihr Theater um 1,6 Millionen wirklich durchführt, müsste das Haus sein Ballett und sein niederdeutsches Ensemble schließen. Und dem Nordharzer Städtebundtheater bleibt wegen weniger Geld, nur bis zum nächsten Jahr sein Personal von 217 auf 182 Mitarbeiter zu reduzieren. Schauspiel und Oper in Frankfurt sollen plötzlich mit 2,2 Millionen weniger auskommen.
All das wird nicht ohne künstlerische Auswirkungen sein. Mittlerweile geht es vielerorts an die Substanz. Denn die Theater haben sich in den vergangenen Jahren bereits mehr als jeder andere Wirtschaftszweig reformiert: Spartenschließungen, Fusionen, Auslagerung von Werkstätten, Koproduktionen, interne und externe Synergieeffekte: Alles wurde versucht, doch nirgendwo ist ein Allheilmittel gefunden worden. Theater können künstlerisch, aber nicht ökonomisch produktiv und selbstständig sein.
Begonnen hat alles 1993, als dem Berliner Senat die nach der Wende aus beiden Teilen der wiedervereinigten Stadt zusammengeführten Bühnen in jeder Hinsicht zu viel wurden. Indem mit dem Schillertheater das größte deutsche Schauspieltheater geschlossen wurde, fiel auch eine kulturelle Hemmschwelle. Zwar wurde mit dieser Schließung keinesfalls ökonomische Erleichterung, sondern nur kulturelle Verarmung erreicht, doch aus dem Misserfolg dieser Maßnahme lernte niemand. Seitdem sind, vor allem im mit Theatern reich versorgten Ostdeutschland, etliche Bühnen ganz geschlossen worden, andere haben einzelne Sparten und viele Mitarbeiter verloren. Von einstmals 45.000 Beschäftigten sind bereits mehr als 6.000 abgebaut worden.
Da aber wegen der tarifrechtlich steigenden Gehälter - an den Theatern werden etwa 80 bis 85 Prozent des Etats für die Löhne eingesetzt - der finanzielle Bedarf der Bühnen stetig steigt, wird die Lösung in immer neuen Strukturkonzepten gesucht. Selbstverständlich - wenn auch nicht immer praktisch - ist, dass Werkstätten ausgelagert und die Bereiche von Aufsichts- und Reinigungspersonal privatisiert werden. Ökonomisch sinnvoll, aber künstlerisch kontraproduktiv ist die Verringerung der theatralen Produktivität. Wieviel mit Fusionen zu gewinnen oder mit dem Wechsel vom Ensemble- zum Ensuite-Spiel ohne allzu großen künstlerischen Verlust ökonomisch zu gewinnen ist, darüber wird ohne jede feste Daten seit langem heftig gestritten. Auch wenn sich viele Theaterleiter mittlerweile betriebsrechtlichen Sachverstand angeeignet haben, scheint es bei der inneren Struktur der Theater als Kunstproduzenten kaum möglich, dass sie wesentlich mehr als die augenblicklichen rund 16 Prozent ihres Etats selbst erwirtschaften.
Mittlerweile gehen die deutschlandweiten radikalen Sparmaßnahmen im Theaterbereich den Bühnen an die Existenz. Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer schlug deshalb allen Ernstes vor, die deutsche Theaterlandschaft zum UNESCO-Weltkulturerbe zu erklären. Der damalige Bundespräsident Johannes Rau führte viele deutsche Kulturinstitutionen in seinem "Bündnis für Theater" zusammen und ließ eine Kommission Vorschläge für den Erhalt der Theater und Strategien gegen die politische Kulturverdrossenheit entwickeln. Daraus folgte immerhin eine Bestandsaufnahme einer unübersichtlich schwierigen Situation.
Lange schien das Heil in der Umwandlung der Theater von staatlichen Regiebetrieben zu finanziell eigenverantwortlichen, nicht mehr Tarif gebundenen GmbH zu liegen. Gelegentlich wurde auch die Umwandlung in Kulturstiftungen unternommen, so in Cottbus, wo das große Theater mit dem kleinen Kunstmuseum vom Land in die Schwierigkeiten einer gemeinsamen Kulturstiftung gedrängt wurde. Doch schnell merkten etliche der mittlerweile als GmbH agierenden Bühnen, dass sich der Staat durch ihre neue Struktur leichter aus der - finanziellen - Verantwortung stehlen kann. Dabei liegt das Sparpotential weniger in der GmbH-Form als in der Abkoppelung der Löhne im Theater vom Tarifsystem des öffentlichen Dienstes.
Als das Nationaltheater Weimar sich 2002 vom Land nicht in eine Zwangsfusion mit dem Theater Erfurt zwingen lassen, sondern selbständig bleiben wollte - inzwischen hat Erfurt sein Schauspiel abgewickelt und für seine Oper ein modernes, neues Theater gebaut! -, gründete Weimars Intendant Stephan Märki eine GmbH mit besonderen Bedingungen. Vom Land Thüringen mit der festen Summe von jährlich 15,845 Millionen ausgestattet, hat er nach Verhandlungen mit dem Betriebsrat Haustarifverträge abgeschlossen.
Die rund 400 Mitarbeiter verzichten auf Tariferhöhungen und akzeptieren Arbeitsregelungen, die sich an den besonderen Arbeitsbedingungen des Theaters statt an den abstrakten Regeln des öffentlichen Dienstes orientieren. Das so genannte Weimarer Modell, das eine Beteiligung seiner Mitarbeiter an einem eventuellen wirtschaftlichen Erfolg vorsieht, sowie die ähnlichen Modelle in Chemnitz und am fusionierten Theater von Altenburg/Gera - bei dem weder Fusion noch Haustarife das Abschmelzen der Mitarbeiterzahl von 585 auf 310 verhindern konnten - ergeben keine radikal neuen Strukturen. Ob es funktioniert, wird sich erst bei den Verhandlungen mit dem Land über die weitere Förderung nach dem Jahr 2008 zeigen.
Mecklenburg-Vorpommern plant, die Bezuschussung seiner Theater von deren Rentabilität und Zuschauerzahlen abhängig zu machen. Ziel ist, noch mehr Kooperationen und Fusionen als die zwischen den 20 Kilometer entfernten Neubrandenburg und Neustrelitz sowie zwischen den 30 Kilometer auseinander liegenden Greifswald und Stralsund zu erzwingen.
Doch Untersuchungen, ob und wieviel Ersparnis diese Fusionen letztlich bringen, gibt es nicht. Dabei sind die Sparwünsche an die Theater auch Ausdruck ihres gesellschaftlichen Bedeutungsverlustes. In einer modernen Medienwelt, in der man sich in Talkshows darstellen und in einer Eventkultur verlieren kann, hat das Theater seine zentrale Funktion als Ort sozialer Integration und Selbstreflexion für ein einverständiges (kultur)bürgerliches Publikum weitgehend verloren. Zumal in Kleinstädten hat es dafür oftmals eine neue Funktion gewonnen: Nämlich Ort sozialer Diskurse für die unterschiedlichsten sozial und altersmäßig strukturierten "Publikümer" zu sein.
Was bedeutet, die Theater müssen unterschiedlichste Formen auf kleinen Bühnen anbieten. So geht der Vorhang nicht weniger, sondern immer öfter auf, gerade weil die Theater weniger Zuschüsse erhalten. Nur gerät dabei die Autonomie der Kunst in Gefahr. Weil sich die Theater nach der Decke strecken müssen, die ihnen die Politiker gewähren und die das Publikum verlangt. Quote ist gefragt, und die kommt vor allem mit Unterhaltung. So bringt der Rotstift nicht nur den Sparzwang, sondern oftmals auch den Spaßzwang.
Ein Beispiel: die Vorpommersche Landesbühne, seit 1993 GmbH und finanziell eigenverantwortlich, erlaubt sich weder Weihnachts- noch Urlaubsgeld, keine Lohnerhöhung und keine Ferien. Man hat eine Theaterakademie gegründet, deren Studenten bereits während der Ausbildung das 14-köpfige Ensemble unterstützen. Man bespielt im Sommer auf Usedom in Heringsdorf ein Tanzzelt am Strand und eine ehemalige Strandkorbhalle im Ort Zinnowitz. Außerdem produziert man auf einer Freilichtbühne in Zinnowitz und auf einer Hafenbühne in Barth zwei Vineta-Festspiele mit Schauspielern und Laien. Überlebenskunst und Theaterkunst kommen sich da zuweilen, aber nicht immer in die Quere.
Das beste Spar- und Reformmodell für Deutschlands Theaterlandschaft ist noch nicht gefunden. Auch, weil die praktizierten Strukturänderungen längst nicht auf ihre Wirksamkeit untersucht sind. Dabei würde es schon helfen, wenn sich die Kulturpolitiker, statt immer wieder so plötzliche wie planlose Kürzungen zu verkünden, einmal zu konzeptionellen Überlegungen durchringen könnten. Die Fragen, die dafür zu stellen sind, hat das Bündnis für Theater des Ex-Bundespräsidenten Rau längst aufgezählt.
Hartmut Krug ist freier Kulturjournalist, Berlin.