Mit der Bedeutung und der Macht von Angela Merkel, die längst nicht durch Schlagworte wie "Kohls Mädchen" oder die "Macchiavella aus Mecklenburg-Vorpommern" zu beschreiben ist, wächst die Bibliothek über sie. Nicht zufällig sind die meisten Autoren Journalisten.
Die Reihe begann 2000 mit der Biographie von Wolfgang Stock (Olzog), als Angela Merkel die CDU aus ihrer schweren Krise führte. Nicht zufällig von zwei Frauen fortgesetzt, denn Angela Merkel ist eine "Frauenversteherin" und wird von Frauen menschlich und politisch gut verstanden: Jacqueline Boysen "Angela Merkel - eine deutsche Biographie" (Ullstein) und Evelyn Roll "Das Mädchen und die Macht - Angela Merkels demokratischer Aufbruch" (Rowohlt). Im vergangenen Jahr kam Hugo Müller-Voggs Interviewbuch "Mein Weg" (Hoffmann & Campe) hinzu.
Als jüngstes dieser Werke erschien unlängst die Biographie von Gerd Langguth. Sie unterstreicht ihren umfassenden Anspruch auch dadurch, dass auf dem Titelbild mit einer strahlenden Frau unter dem Kokoschka-Porträt Adenauers lediglich "Angela Merkel" steht. Nicht mehr und nicht weniger. Langguth war CDU-Politiker, ist als langjähriges CDU-Bundesvorstandsmitglied ein Insider-Kenner der jüngeren Parteigeschichte und Politologe an der Universität Bonn.
Das kommt dem Werk mit genauen Fußnoten und dem einem solchen Werk leider oft fehlenden Register zugute. Aber Langguth ist kein Professor im Elfenbeinturm, er kann durchaus journalistisch vorgehen. Er wurde bei den Interviews unter anderem von seinem Doktoranden Daniel-Friedrich Sturm begleitet, der schon journalistisch hervorragend gearbeitet hat. Selbst die Fußnoten lesen sich spannend, so Nummer 252 zu Merkels Vater, Horst Kasner, dem bis heute umstrittenen evangelischen Theologen, der aus Hamburg in den Osten ging:
"Kasner war weder zu einem Gespräch mit dem Verfasser noch zur Beantwortung von schriftlich eingereichten Fragen bereit. So sieht er sich veranlasst, ,zur Kenntnis zu geben, dass wir Personen und Institutionen gegenüber, die an Veröffentlichungen über unsere Tochter Frau Dr. Angela Merkel interessiert sind, grundsätzlich keine Auskünfte über unsere persönlichen und familiären Belange erteilen, und dies schon gar nicht, wenn keine ausdrückliche Zustimmung unserer Tochter vorliegt ...'"
Dennoch gelingt Langguth ein Gang zu den Vätern, denn er begreift Merkels Biographie als eine noch nicht abgeschlossene Emanzipation und Auseinandersetzung mit dem eigenen Vater und mit anderen ursprünglichen Vaterfiguren, von denen sie sich längst befreit hat: Lothar de Maizière und Günther Krause im Osten, Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble, erst recht bei den von ihr als Kanzlerkandidatin vorläufig-endgültig überwundenen jüngeren Konkurrenten wie Koch, Merz und in gewisser Weise auch Wulff.
Langguth hat sein Werk schon vor der für die SPD katastrophalen und für Merkel so beflügelnden Wahl in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai 2005 vollendet. Aber in seiner Konsequenz ist es ein Buch über die mögliche Bundeskanzlerin. Langguth verehrt dabei keine Ikone und schreibt keine Heiligen-Legende, obwohl man spürt, dass die Heldin bei allen kritischen Zwischentönen und Zitaten seine Sympathie hat. Noch mehr widersagt er einer "Ministranten-Perspektive", die zur Versuchung führen kann, die ursprünglich verehrten Vorbilder vom Altar herunterzuziehen, weil man sie zu genau kennt.
Man erfährt bei Langguth nicht nur etwas über Vater und Mutter, sondern auch über den ersten und ihren jetzigen Mann genügend, um sich ein Bild von einer Frau zu machen, die als beargwöhnte Pfarrerstochter in der DDR gelernt hat, ihr Privatleben zu schützen. Langguths Biographie gewinnt durch eine Mischung aus wissenschaftlich-kommentierter und dokumentierter Chronologie und den journalistischen Methoden der Zeitgeschichte unter Ausnutzung der Möglichkeiten von Gesprächen, der Oral History.
Besonders fasziniert war der Autor von seinen Recherchen in der Uckermark, in Templin, woher sie ihre Sprachmelodie mit dem A wie "Kanzla" mitgebracht hat. Mit Merkels Biographie schreibt er eine lebendige Geschichte von 16 Jahren deutscher Vereinigung. Gerade an den kognitiven Dissonanzen der CDU-Vorsitzenden zeigt er, dass die "innere Einheit" noch längst nicht vollendet ist.
Am Ende steht ein Deutungsversuch in zehn Thesen. "Sie ist gleichsam fremd im eigenen, nunmehr wiedervereinigten Land geblieben; auch in der eigenen Partei. Da Merkel das spürt, speist sich hieraus ihre gelegentlich feststellbare Unsicherheit, ihr Mangel an situativer Intuition. Ein Meister darin ist, im Gegensatz zu ihr, Gerhard Schröder." Langguth, der Mann aus dem Westen, sieht in dieser Frau aus dem Osten "zwei Leben: das offizielle und wortreich von ihr dargestellte - und den privaten Menschen mit seinen Emotionen, Selbstzweifeln und Irrungen, Ehrgeizhaftem, Spitzbübischem und Lebensfrohem."
Er meint, dass die "blitzgescheite und schnell erfassende Angela Merkel" eine Persönlichkeit sei, "die sich als Spätankommerin in der Bonner und heute in der Berliner Republik noch immer im Zustand des permanenten Lernens befindet ..." Angela Merkel wird auch nach diesem Buch nicht zum gläsernen Menschen. Sie bleibt in ihren politischen Festlegungen eher eine Generalistin wie Helmut Kohl, wobei Langguths Vergleich zwischen ihr und ihrem ehemaligen Lehrmeister besonders lesenswert ist.
Der Kanzlerkandidatin wäre neben Langguths Werk ein Tagebuch eines ihrer Vorgänger im Partei- und Fraktionsvorsitz, des früheren Kanzlerkandidaten Rainer Barzel, als Lektüre zu empfehlen, in dem er bereits 1976 die Schwächen des politischen Betriebes der Bundesrepublik durchschaute. Rainer Barzel hatte damals ironisch eine "Fibel für Wahlkämpfer und Wähler beiderlei Geschlechts" geschrieben. Sie blieb lange in seiner Schublade, bevor sie 2002 endlich herauskam. Sie zeigt, dass sich auch an den Problemen nichts geändert hat, denn Barzel schrieb schon 1976, als er Wahlkampf für seinen ungeliebten Nachfolger Helmut Kohl führte, was 2005 erschreckend aktuell geblieben ist:
"Die Regierung sagt: Wir haben Arbeit, Renten, Kinder gesichert. Die Opposition sagt: Wir werden Arbeit, Renten, Kinder sichern." Barzels Fibel handelt aber auch von der Einsamkeit von Kanzler und Kanzlerkandidat(in): "Bist du ganz oben angekommen, hat man dich fast schon ausgenommen ... Und wenn du ganz oben stehst - dann bist du wirklich allein."
Gerd Langguth
Angela Merkel.
Deutscher Taschenbuchverlag, München 2005;
400 S., 14,50 Euro
Rainer Barzel
Fibel für Wahlkämpfer und Wähler beiderlei Geschlechts. Eine Handreichung.
Verlag Karl-Heinrich Bock, Bad Honnef 2002;
80 S., 6,90 Euro