Bundeskanzler Gerhard Schröder wird nachgesagt, er verlasse sich bei seinen Entscheidungen auf den politischen Instinkt, auf die "Bild-Zeitung", auf seine Frau Doris und auf Meinungsumfragen. Das mag eine geschickt gestrickte Legende sein. Tatsache ist: Vor allem in Wahlkämpfen und -zeiten achten Politikstrategen darauf, welche Themen beim Wähler ankommen und welche Eigenschaften die Spitzenkandidaten populär machen.
Es gibt im Medienwahlkampf nichts Aufregenderes als ein Kopf an Kopf Rennen. Daran sind, so weisen die Wiener Politikwissenschaftlerin Sieglinde K. Rosenberger und der Innsbrucker Statistiker Gilg Seeber nach, viele interessiert. Das ist auch so, denn die Medien greifen am liebsten Spannendes und Unterhaltendes auf.
Wenn der Wahlausgang offen ist, wenn von zwei Kandidaten der eine oder andere gewinnen kann, dann lohnt es sich für die Journalisten, über viele Monate zu berichten. Denn das Rennen ist ja erst am Wahlabend gelaufen. Jede Woche bringen die Umfrage-Institute neue Zahlen auf den Markt: "Welche Partei würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag gewählt würde?"
Der vorausgesagte knappe Wahlausgang nutzt nicht zuletzt auch den Parteien. Sie wollen, und das ist die wichtigste Funktion eines Wahlkampfes, ihre Wähler mobilisieren. Die Parole "Es kommt auf jede Stimme an" ist nur glaubwürdig, wenn die Situation so ist, dass es tatsächlich zu einem Patt kommen kann.
Welche Bedeutung Meinungsumfragen in Wahlkämpfen zukommt, was vor allem wichtig ist, wenn die Gewinn-Chancen fast gleich sind, analysieren die beiden österreichischen Wissenschaftler anhand der Wahlen zum Nationalrat 2002. Sie machen darauf aufmerksam, wie eng dort die Medien, vor allem die Tageszeitungen und Wochenmagazine, mit den Meinungsforschungsinstituten zusammenarbeiten. Das gilt auch in Deutschland, wo beispielsweise die "Süddeutsche Zeitung" die Forschungsgruppe Wahlen in Mannheim und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" das Institut für Demoskopie in Allensbach beauftragt haben, die Meinungen der Wähler zu erfragen.
Rosenberger und Seeber gehen ausführlich auf die Frage ein, welche Wirkung die Veröffentlichung von Meinungsumfragen auf den Wahlausgang haben kann. Ihre Antwort ist klar und deutlich: Ja, es gibt Wirkungen. Damit werden freilich neue Fragen aufgeworfen: Wissen die befragten Personen wirklich, welche Information für sie bei der Entscheidung in der Wahlkabine ausschlaggebend war? Hat also Allensbach alles oder zumindest mitentschieden?
So spannend, wie Kopf an Kopf Rennen nun einmal verlaufen, so spannend ist es auch, dieses Buch zu lesen. Vor allem deshalb, weil sich die beiden Autoren vor einem Wissenschaftsdeutsch hüten. Eins wird ganz deutlich: Wahlkämpfe ähneln sportlichen Großereignissen, und auch dabei spielen die Medien nach den Umfragen eine entscheidende Rolle. Das gilt vor allem dann, wenn offen ist, wer am Schluss - um im Bild des Titels zu bleiben - die Nase vorn hat.
So ganz am Rande wischen die beiden Österreicher dem Allensbacher Institut noch eins aus. Die Meinungsforscher vom Bodensee hätten vor dem Bundestagswahlkampf 2002 die Unionsparteien in der Wählergunst an erster Stelle gesehen. Nach der Wahl habe dann die Debatte begonnen, ob diese Prognose der Union mehr geschadet als genutzt habe. Antworten gibt dieses Buch, das alle Wahlkampfstrategen gerne in ihre Hausbibliothek stellen werden.
Siedlinde K. Rosenberger / Gilg Seeber
Kopf an Kopf.
Meinungsforschung im Wahlkampf
Czernin Verlag, Wien 2003; 157 S., 15,- Euro