S o viele Sieger hat selten eine Wahl hervorgebracht: Auch nach der Nachwahl in Dresden am 2. Oktober jubelten wie schon zwei Wochen zuvor wieder alle Parteien - die CDU über das Direktmandat für ihren Kandidaten, die SPD über ihren Zweitstimmensieg und die FDP über ihr fulminantes zweistelliges Ergebnis. Mit der Nachwahl in Dresden, die nötig wurde, weil eine NPD-Kandidation gerstorben war, ist die Bundestagswahl 2005 nun endgültig abgeschlossen. Das Dresdner Ergebnis war zwar mit Spannung erwartet worden, konnte am Endergebnis aber nichts Entscheidendes mehr ändern: Das Direktmandat im Wahlkreis 160 holte der CDU-Kandidat Andreas Lämmel, bei den Zweitstimmen lag die SPD mit mit 27,9 Prozent vor der CDU (24,4 Prozent), der Linkspartei (19,7 Prozent), der FDP (16,6 Prozent) und den Grünen (7,1 Prozent).
Mit ihrer Wahl haben sich die Dresdner als Taktiker erwiesen: Viele CDU-Anhänger gaben ihre Zweitstimmen der FDP und tricksten damit das schwierige deutsche Wahlsystem aus. Rund 38.000 Stimmen konnte die CDU im Wahlkreis 160 auf sich vereinigen - und lag damit um etwa 4.000 Stimmen unter der Grenze, bei deren Überschreiten die Union bundesweit wieder ein Mandat verloren hätte. Möglich macht dieses Paradoxon das komplizierte Sitzverteilungsverfahren nach Hare-Niemeyer: Hätte die CDU in Dresden so viele Stimmen erhalten, dass ihr das Direktmandat auch nach den Prozentzahlen zugestanden hätte, hätte sie ein anderes Mandat wieder abgeben müssen. Dass dies nicht eingetreten ist, belohnte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel denn auch mit einem Kompliment: Die Sachsen seien "schlaue Leute", so ihr Fazit am Nachwahlabend.
Das Dresdner Ergebnis erlaubt es der CDU/CSU-Fraktion, ihren Vorsprung vor der SPD im Bundestag auszubauen. Sie verfügt künftig über 226 Sitze, die Sozialdemokraten über 222. Die Unionsfraktion sieht sich durch das Ergebnis in ihrem Anspruch gestärkt, eine Regierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel zu bilden. Die CDU-Vorsitzende appellierte an die "vernünftigen Kräfte in der SPD, dass die Dinge einen vernünftigen Verlauf nehmen". Auch FDP-Chef Guido Westerwelle sagte, das Wahlergebnis in Dresden sei ein "klarer Fingerzeig an Schröder, mit einem schnellen Rückzug den Weg für die Regierungsbildung im Bund freizumachen".
Die SPD-Führung allerdings hält weiter an Gerhard Schröder fest - obwohl der Bundeskanzler am 3. Oktober erklärte, er wolle "nicht einer Entwicklung zur Fortführung des von mir eingeleiteten Reformprozesses" und der Regierungsbildung im Wege stehen. Es gehe nicht um seinen Anspruch und "schon gar nicht um meine Person". SPD-Chef Franz Müntefering bekräftigte, dass die Sozialdemokraten Schröder für den "besseren Kanzler" hielten. In den Sondierungsgesprächen zwischen CDU/CSU und SPD begegneten sich "zwei gleich große Partner auf gleicher Augenhöhe". Die Kanzlerfrage müsse gemeinsam mit der Verteilung der anderen Kabinettsposten geklärt werden. Der konservative Seeheimer Kreis in der SPD-Bundestagsfraktion schlug unterdessen vor, die Kanzlerschaft in einer großen Koalition zwischen Schröder und Merkel aufzuteilen. Es gehe "nur mit der israelischen Lösung", so der Sprecher des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs.
Um diese Fragen zu klären, rissen die Spitzengespräche in der vergangenen Woche nicht ab: Noch am Wochenende verhandelten die Spitzen von Union und SPD im Acht-Augen-Gespräch.
Auf welche Ergebnisse sich Angela Merkel, Edmund Stoiber, Gerhard Schröder und Franz Müntefering dabei einigten, war bei Redaktionsschluss noch nicht klar. Während der Gespräche hatten die Parteispitzen ein "Schweigegelübde" abgelegt und so die Gerüchteküche angeheizt. Die vieldiskutierte Variante, Gerhard Schröder könne das Amt des Vizekanzlers übernehmen, hatte der amtierende Kanzler aber im Vorfeld gewohnt selbstbewusst ausgeschlossen: Er sei in seinem politischen Leben "noch nie Juniopartner" gewesen.