In der Tätigkeit von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank unterscheidet man gemeinhin zwischen drei Formen der Kreditvergabe: Während die Vergabe kurzfristiger Beistandskredite zur Überbrückung externer Zahlungsprobleme die traditionelle Domäne des IWF ist, sind es bei der Weltbank im Wesentlichen die so genannten Investitionsdarlehen und Strukturanpassungskredite. Zu den Investitionsdarlehen zählt alles, was die Bank an Infrastrukturprojekten wie Straßen, Häfen, Schulen oder Krankenhäusern finanziert, aber auch Sektorkredite, etwa zur Entwicklung des Energiesektors eines Landes. Die Strukturanpassungskredite waren seit jeher an ein Set makro-ökonomischer Politikauflagen geknüpft, wobei hier im Wesentlichen die Verwirklichung strukturpolitischer Kernforderungen verlangt wurde, etwa die Privatisierung bestimmter Staatsunternehmen, die Liberalisierung des Außenhandels und der Investitionsbestimmungen für ausländische Unternehmen und die Deregulierung des inneren Marktes.
Daran hat sich auch dadurch nichts geändert, dass die Weltbank in jüngster Zeit ihre Strukturanpassungsdarlehen in "Development Policy Lending" umbenannt hat, was etwa so viel wie "entwicklungspolitisch orientierte Darlehensvergabe" bedeutet. Während also bei den Investitionsdarlehen Projekte und Infrastrukturprogramme im Mittelpunkt stehen, geht es bei der zweiten Kategorie um die Gesamtpolitik eines Landes.
Alle drei Formen der Kreditvergabe durch die beiden Bretton-Woods-Institutionen stehen zu den Bestrebungen der Entwicklungsländer nach Nation-Building in einem überwiegend negativen Spannungsverhältnis. Zwar mag es vom Prinzip her für ein gerade unabhängig gewordenes Land mit schwachen wirtschaftlichen Strukturen von Vorteil sein, im Falle externer Schocks - zum Beispiel eines plötzlichen Einbruchs der Exporteinnahmen - auf einen Stand-by-Kredit des IWF zurückgreifen zu können. In der Praxis erklärt sich das betreffende Land jedoch im Gegenzug zum Verzicht auf Selbstbestimmung in Kernbereichen seiner Wirtschaftspolitik bereit. Auch ein solcher Souveränitätsverzicht mag noch vertretbar sein, wenn er sich auf einzelne Fälle der Mißwirtschaft beschränkt und vorübergehender Natur bleibt.
Faktisch jedoch hatte das massive Eingreifen des IWF seit Beginn der 80er-Jahre einen wesentlichen Anteil daran, dass Nation-Building und wirtschaftliche Souveränität, die auf die Eroberung der politischen Unabhängigkeit von den ehemaligen Kolonialmächten in den 60er- und 70er-Jahren folgen sollten, zur Makulatur wurden. Zwar ging das Kuratel des IWF nicht überall so weit wie im ehemaligen Zaire, wo die Beamten des Fonds zeitweise direkt und unmittelbar die Staatsgeschäfte übernahmen, so dass der Diktator gewissermaßen in Ruhe seinen Luxusbedürfnissen nachgehen konnte. Doch das nahezu flächendeckend angelegte Engagement des Fonds richtete vor allem in Afrika jene Abhängigkeiten wirtschaftlicher und politischer Art wieder auf, die man gerade für überwunden hielt.
Dabei hatte es für den IWF in den 60er- und 70er-Jahren sowohl von seinem Mandat der Überwachung der Wechselkurse aus betrachtet, als auch in den Verhältnissen vor Ort in den heutigen Schuldnerländern kaum Ansatzpunkte für ein Eingreifen in großem Stil gegeben. Paradoxerweise wurde dafür erst durch eine bestimmte Politik der Modernisierung der Boden bereitet. In diesem Zusammenhang galten vielerorts kreditfinanzierte Großprojekte wie Staudämme, Flughäfen und Autobahnen als die "Kathedralen des Fortschritts", an deren Realisierung man meinte, den Grad der modernen "Nationwerdung" und "Staatsbildung" ablesen zu können. Natürlich trug die Weltbank durch ihre Kreditvergabe kräftig zur "Verwirklichung" solcher Träume bei, und wo das Portfolio der Weltbank nicht ausreichte, sprangen in den 70er-Jahren bereitwillig die privaten Banken in die Bresche - ein einträgliches Anlagefeld für reichlich vorhandenes Kreditgeld witternd.
Erst als dieses Modernisierungsmodell platzte, deren integraler Bestandteil auch Nation-Building war, und die Schuldenfalle zuschnappte, war die Stunde des IWF gekommen. Es war zugleich der Auftakt einer neuen historischen Phase der Marginalisierung großer Teile der Dritten Welt, die in vielen Fällen immer auch mit Entstaatlichung und Entsouveränisierung verknüpft war. Das Streben nach Nation-Building erschien jetzt nur noch als blasser Abglanz einer heroischen Vergangenheit. Die heute so oft zitierte Globalisierung ist aus dem Blickwinkel des Südens nichts anderes als die unter dem Druck der Schuldenkrise durchgesetzte, groß angelegte Abtretung von Souveränitätsrechten an internationale Institutionen, in denen die Industrienationen Europas, die USA und Japan den Ton angeben.
Seither kämpfen die Vertreter des Südens unter den schwierigeren Bedingungen eines veränderten Entwicklungsparadigmas namens Strukturanpassung um neue Spielräume, in deren Rahmen sich die Ambitionen von Entwicklung verwirklichen lassen. Doch das Grundprinzip des neuen Paradigmas lautet jetzt nicht mehr, wie die Strukturen der Weltwirtschaft an die Interessen des Südens anzupassen seien (wie es noch in der Forderung der 70er-Jahre nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung anklang), sondern vielmehr, wie die Wirtschaftspolitik der Entwicklungsländer an die Erfordernisse des vom Norden beherrschten Weltmarkts angepasst werden muss. Dabei bleibt so mancher Traum auf der Strecke. Die Weltbank, die Ende der 60er-Jahre schon einmal die Befriedigung der Grundbedürfnisse als zentrales Ziel auf die Tagesordnung gesetzt hatte, hat seit Beginn der 90er-Jahre verstärkt versucht, das Ziel der Armutsbekämpfung in den Mittelpunkt zu rücken. Dabei wurde versucht, die negativen sozialen Auswirkungen der Strukturanpassungsprogramme (SAPs) abzufedern. Da diese Programme jedoch - auch gemessen an ihren wirtschaftlichen Zielsetzungen wie Wiederherstellung nachhaltigen Wachstums - nicht erfolgreich waren, kam man nicht umhin, auf jede Generation von SAPs eine neue folgen zu lassen, mit der Konsequenz, dass die Wirtschaftspolitik vieler Länder inzwischen durch eine ununterbrochene Kette fremdbestimmter Programme geprägt wird, an deren "Internalisierung" es jedoch mangelt.
Die Antwort der Weltbank (und auch anderer Akteure der internationalen Entwicklungszusammenarbeit) auf dieses Problem lautet: Stärkung der "Owner-ship". Damit ist gemeint, dass sich die Klienten im Süden, welche die Programme umsetzen müssen, diese besser als bislang zu eigen machen sollen und dann in größerer Eigenverantwortlichkeit handeln können. Eine zentrale Rolle dabei spielt, inwieweit bei der Erarbeitung dieser Programme Partizipation und Mitwirkung der Bevölkerung vor Ort gegeben ist. Das betrifft nicht nur die Rolle der lokalen Zivilgesellschaft und die Rechte von Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Dazu gehört erstrangig auch die Frage, wieviel nationale Parlamente und Regierungen in diesem Zusammenhang zu sagen haben. Die Frage nach mehr "Ownership" könnte also zurückführen zu der Frage, welche Bedeutung einer gestärkten nationalen Souveränität im Rahmen einer effektiven Entwicklungspolitik heute zukommt, und damit auch zu einer Reaktualisierung von Konzepten des Nation-Building.
Solange allerdings die Bretton-Woods-Institutionen bzw. ihre wichtigsten "Shareholder" nicht bereit sind, den ärmeren Nationen des Globus adäquate Mitspracherechte in den eigenen institutionellen Strukturen einzuräumen, ist die Ausrufung von mehr "Owner-ship" wenig glaubwürdig. Bis heute muss sich die Gruppe der 77 (der inzwischen 132 Entwicklungsländer angehören) mit gut 28 Prozent der Stimmen im IWF begnügen, während die USA mit fast 18 Prozent allein über eine Sperrminorität bei Grundsatzentscheidungen verfügen. Auch Europa ist mit über 30 Prozent der Stimmrechte überrepräsentiert. Ein erster Schritt, dies zu ändern, wäre eine Reform im Bereich der Basisstimmrechte im IWF. Dort sind die Stimmen nicht nach dem Kapitaleinlageprinzip, also nach wirtschaftlicher Stärke, sondern gleichmäßig auf alle Mitgliedsländer verteilt. Nur: Der Anteil der Basisstimmen ist seit Gründung des IWF von elf auf heute nur noch zwei Prozent zurückgegangen. Doch ist auch das Prinzip des "One dollar - one vote" überholungsbedürftig, wenn ein Interessenausgleich zwischen Geber- und Nehmerländern erreicht werden soll. Wer den schwächeren Nationen mehr Eigenverantwortung bei der Verwirklichung von Programmen übertragen will, muss ihnen auch mehr Rechte beim Zustandekommen der damit verbundenen Konditionalität einräumen.
Rainer Falk, freier Publizist in Luxemburg, gibt den monatlich
erscheinenden Informationsbrief "Weltwirtschaft & Entwicklung"
heraus.