Immer wird er übersehen. Das macht ihn richtig fertig, den kleinen dicken Mann in seinem grellen Superman-Kostüm. Schließlich ist er nicht irgendwer, sondern Artikel 18 des Grundgesetzes. Im Kurzfilm "Der Held der Stunde" wird dieser Artikel, der die Verwirkung der Grundrechte zum Inhalt hat, zum Leben erweckt: "Hätten Sie nicht Lust, mal etwas richtig Extremes zu machen? Gegen die Verfassung zu verstoßen?", fragt Artikel 18, gespielt von Josef Ostendorf, einen Zuschauer im Kinosaal. Doch der schaut ihn nur irritiert an. "Kennen Sie überhaupt Ihre Grundrechte?", blafft er den Zuschauer weiter an.
Ein Artikel des Grundgesetzes, dargestellt von einem Schauspieler, das klingt erst einmal absurd, verwirrend. Und genau das wollen die Macher des Projekts "GG19" auch bewirken. Derzeit werden die Grundrechte - also die ersten 19 Artikel des Grundgesetzes - verfilmt. Es sind 19 Episoden, die später zu einem Kinofilm zusammengefügt werden sollen. Wenn alles gut läuft, findet die Premiere auf der Berlinale 2007 statt.
"Die Episoden setzen sich nicht nur mit der deutschen Wirklichkeit auseinander, sondern sollen auch Fragen aufwerfen, die zum Nachdenken und Diskutieren anregen", sagt Harald Siebler. Der Produzent hat gemeinsam mit Autor Thomas Knauf die Idee zu diesem Projekt entwickelt. Es geht ihnen darum, ein Bewusstsein für die Politik und die Rechte jedes Bürgers zu schaffen. "Denn wer ist sich im Alltag schon seiner Rechte bewusst?"
Und was genau steht eigentlich im Grundgesetz, das es seit 1949 gibt? "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Diesen ersten Satz aus Artikel 1 kennen wohl viele. Aber dann? Was steht in Artikel 2? Und müsste man das nicht wissen? In den ersten 19 Artikeln sind neben der Menschenwürde unter anderem folgende Rechte verankert: das Recht auf Freiheit, Gleichheit, Meinungsfreiheit, der Schutz der Familie und das Asylrecht. All das wird nun verfilmt.
Berlin-Prenzlauer Berg, im Büro von Sieblers Filmproduktion "Movie Members". Der 45-Jährige hat die vergangenen Jahre vor allem als Theaterregisseur gearbeitet, seit zwei Jahren widmet er sich ausschließlich dem Projekt "GG19": Von der Idee, der Auswahl der Teams, der Umsetzung bis zur Postproduktion - er ist immer dabei. Auch am Set. Insgesamt sind am Projekt über 700 Menschen beteiligt. Kein Wunder also, dass sich in seinem Büro die Ordner stapeln. 480 Drehbücher wurden beim extra dafür ausgeschriebenen Wettbewerb eingesandt, eine Jury wählte die besten Bücher aus.
Die 19 Autoren gehen dabei sehr unterschiedlich an die Themen heran. Sie spielen mit verschiedenen Genres und Perspektiven. "Es wird sicher nicht jedem alles gefallen", sagt Produzent Harald Siebler. "Das ist wie bei einem Büfett. Im Angebot sind 19 verschiedene Häppchen, da kann man nicht erwarten, dass einem alles schmeckt."
Zwei Artikel sind bereits abgedreht, neben Artikel 18, der als roter Faden durch die Grundrechte führen wird, steht die Rohfassung von Artikel 6, in dem es unter anderem um den Schutz von Familie und Kindern geht. Siebler legt die DVD des Kurzfilms ein. "Alles wird gut", lautet der Titel. Die Episode zeigt, wie leichtfertig eine Familie durch falsche Missbrauchsverdächtigungen auseinander gerissen werden kann.
"In jeder Episode kann natürlich nur ein Aspekt des jeweiligen Artikels verfilmt werden", sagt der "GG19"-Produzent. Gefördert wird "GG19" unter anderem von der Bundeszentrale für politische Bildung, Kulturstaatsministerin Christina Weiss sowie regionalen Fördereinrichtungen wie dem Medienboard Berlin-Brandenburg. Auch das ZDF engagiert sich.
Bei der Umsetzung helfen zudem Sponsoren aus der Wirtschaft, Städtepaten unterstützen die Dreharbeiten. Für 100 Euro kann jeder Pate des Films werden und sich damit zugleich eine Eintrittskarte für die Premiere sichern. Der Film soll zuerst im Kino laufen, später dann im ZDF.
Auch bekannte Schauspieler beteiligen sich am Projekt, so werden zum Beispiel Jürgen Vogel, Maria Schrader und Armin Rohde in einer der 19 Episoden mitspielen. Und Regisseur Dani Levy, der zuletzt für seinen Film "Alles auf Zucker" den Deutschen Filmpreis in Gold gewonnen hat, engagiert sich als einer der Mentoren. Die Erwartungen an das Projekt seien sehr hoch, vielleicht zu hoch, sagt Harald Siebler. "Es wird kein perfekter Film werden, schließlich arbeiten wir trotz prominenter Unterstützung mit vielen Neulingen zusammen. Dennoch ist es ein Projekt auf hohem Niveau." Alle Beteiligten verzichten übrigens bis zur Fertigstellung auf ihre Gagen.
Im Oktober beginnen in Bremen die Dreharbeiten für den Kurzfilm "Flash", der sich mit Artikel 1 beschäftigt. Die genaue Geschichte soll noch nicht verraten werden: Es sei "ein grelles Horrorstück aus dem Fernsehgeschäft über die oft längst verspielte Würde des Menschen", heißt es in der Ankündigung. Und, dass Schauspieler Christoph Maria Herbst mitspielen wird.
Regie führt Johannes von Gwinner. Der 38-Jährige hat an der Hochschule der Künste in Berlin Gesellschaft- und Wirtschaftskommunikation studiert, danach als Regie-Assistent beim Film und in der Werbung gearbeitet, später drehte er Kurzfilme. Ihn reizt am Projekt "GG19" vor allem der aktuelle Ansatz. Und die Frage, wie weit Unterhaltung gehen darf. Dabei denkt er zum Beispiel an TV-Formate wie "The Swan" (Pro7), in der sich Frauen vor laufender Kamera Schönheitsoperationen unterziehen.
Wo ist die Grenze? Was ist Tabu, was nicht? Die Fragen haben für ihn alle etwas mit der Würde des Menschen, also mit Artikel 1 des Grundgesetzes, zu tun. "Die Verhältnisse ändern sich stetig", sagt Regisseur von Gwinner. Wer regt sich heute noch über "Big Brother" oder das "Dschungelcamp" auf? "Was früher schockierte, ist heute längst langweilig."
Bevor er sich mit dem "GG19"-Projekt beschäftigt hat, war auch sein Wissen über das Grundgesetz nicht sonderlich ausgeprägt. "Das Grundgesetz stand zwar in meinem Regal, ich hatte es aber lange nicht mehr in der Hand", sagt Johannes von Gwinner. Das geht wohl den meisten so.