Nein, leicht machen es einem die "Fetten Jahre" nicht. Gerade hat man angefangen, mit den Revoluzzern zu sympathisieren und Gefallen zu finden an deren Minirebellion - da stellt man plötzlich fest, dass auch ihr "Bonzen"-Opfer vernünftige Ansichten hat und nachvollziehbare Motive. Was denn nun? Steht man auf der Seite der Weltverbesserer oder des Establishments? Oder existieren diese Fronten überhaupt nicht mehr, weil die Revolution längst vorbei ist? Dass die Geschichte, die Regisseur Hans Weingartner erzählt, ziemlich unrealistisch ist, tut ihrer Faszination keinen Abbruch - denn die Fragen, die darin aufgeworfen werden, stellt sich wohl jeder im Laufe seines Lebens. Die einen schwimmen in Geld, die anderen sind arm. Ist das nicht unfair? Ist es unmoralisch, dass der eine seine dicke Limousine fährt und in einem Schloss wohnt und der andere unter einer Brücke schläft?
Jan (Daniel Brühl) und Peter (Stipe Erceg) gehen mit dieser Ungerechtigkeit auf ganz eigene Art um: Die Freunde brechen nachts in Villen ein und "dekorieren" sie um. Das Meißner Porzellan landet im Klo, die Stereoanlage im Kühlschrank, die Möbel stapeln sie zu Pyramiden. Den Hausbesitzern hinterlassen Peter und Jan simple Botschaften: "Sie haben zu viel Geld" oder "Die fetten Jahre sind vorbei", Unterzeichner: "Die Erziehungsberechtigten".
Doch als Jan sich in Peters Freundin Jule verliebt, hat der Spaß ein Ende. Die Kellnerin fliegt gerade aus ihrer Wohnung. Sie hat jede Menge Schulden, weil sie ohne Versicherung bei einem Unfall den Mercedes des millionenschweren Geschäftsmannes Hardenberg (Burghart Klaußner) zu Schrott gefahren hat. Um zu schauen, wie dieser reiche Mann lebt, steigt Jule mit Jan in dessen Villa ein - und vergisst dort ihr Handy, was einen zweiten Einbruch nötig macht. Dabei wird das Duo von Hardenberg erwischt - und Jule erkannt. Gemeinsam mit dem herbeigerufenen Peter entführen Jan und Jule den Manager auf eine einsame Almhütte, immer noch nicht wissend, was sie eigentlich mit ihm tun werden. Laufen lassen? Verstecken? Erschießen?
In den Szenen in der Berghütte verlangsamt der Film sein Tempo spürbar und wird um vieles intensiver. Hatte man sich als Zuschauer eine halbe Stunde zuvor noch dabei erwischt, durchaus Verständnis für Jule zu haben, als sie nach einem Abend voller Schikane im Schicki-Micki-Restaurant mit dem Schlüssel das Auto eines der großkotzigen Gäste zerkratzt, erschrickt man wenig später. Nun erscheinen die Idealisten anmaßend und kaltschnäuzig. Es ist ein schmaler Grat, auf dem die "Rebellen" zwischen Idealismus und Fanatismus wandeln. Dabei macht Weingartner es seinen Protagonisten nicht leicht: Ihr Opfer, so stellt sich heraus, war früher selbst Revoluzzer. Auch der Dutschke-Freund und ehemalige SDS-Funktionär Hardenberg wollte einmal die Welt verbessern und das "Establishment" bekämpfen. Und irgendwie müssen Jan, Peter und Jule sich damit auseinandersetzen, dass auch Hardenbergs Gründe, einen anderen Weg einzuschlagen, sich für ein anderes Lebensmodell zu entscheiden, nachvollziehbar sind. Die Geiselnehmer dis-kutieren mit ihrer Geisel über Ideale, Konsum, Globalisierung und die Revolution. Ist es Verrat, wenn ich ein funktionierendes Auto fahren will? Werfe ich meine Werte über Bord, wenn die eigene Familie irgendwann wichtiger wird als die Weltrevolution?
Der Film des Regisseurs Hans Weingartner ist vieles: Tragikomödie, Liebesfilm und Generationenportrait. Doch hauptsächlich zeigt er, wie schwer es ist, gegen die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu protestieren, wenn alles schon einmal da war und das Projekt Revolution nur wie ein Abklatsch dessen wirkt, was andere schon vor 30 Jahren probiert und wieder aufgegeben haben. Was bleibt von 68, wenn die 68er sich mit und im System arrangiert haben? "Manche Menschen ändern sich nie", heißt es am Schluss von Weingartners Film. Das Problem der Jans, Peters und Hardenbergs besteht aber darin, dass Menschen sich fast immer ändern und mit ihnen ihre Träume und Pläne und ihre Vorstellungen davon, wofür es sich zu kämpfen lohnt.
Ein Beispiel dafür, wie es aussehen kann, wenn man nicht bereit ist, sich zu verändern, gibt ein anderer Film. Auch "Am Tag, als Bobby Ewing starb" beschäftigt sich mit dem, was von der 68er-Revolution übrig geblieben ist. Lars Jessens Film erzählt die Geschichte der letzten Landkommune, die von der Protestbewegung gegen den Bau des Atomkraftwerks Brokdorf übrig geblieben ist. Peter (Peter Lohmeyer), Eckhard (Richy Müller), Gesine (Nina Petri) und ein paar andere leben im "Wohnkollektiv Regenbogen" und haben sich gemütlich eingerichtet. Sie baden nackt und diskutieren endlos. Fleisch ist verboten, Gewalt auch und abends wird "Dallas" geschaut, obwohl das "imperialistisches Schweinefernsehen" ist. In dieses zweifelhafte Paradies gerät der 17-jährige Niels (Franz Dinda), als seine frisch geschiedene Mutter Hanne (Gabriela Schmeide) beschließt, in der Kommune einen Neuanfang zu machen. Von nun an gibt es für Niels Urschreitherapie, vegetarisches Essen und Anti-AKW-Demonstrationen. Das schafft Frust und aus Trotz gegen das pazifistische Gerede der Kommunarden landet Niels gemeinsam mit Freundin Martina (Luise Helm) und Dorfrocker Rakete (Jens Münchow) beim gewaltbereiten AKW-Widerstand. Das alles ist ziemlich lange ziemlich komisch. Doch aus schrulligem Spaß wird bitterer Ernst am Tag, als Bobby Ewing stirbt - an dem Tag, als die Dallas-Episode ausgestrahlt wird, explodiert im Atomkraftwerk Tschernobyl ein Reaktor.
Niels, das ist Regisseur Lars Jessen. Er erzählt in seinem Film die Geschichte der 68er aus der Perspektive ihrer Nachkommen, "einer Generation, die ihre Kindheit in den Wohn- und Beziehungsexperimenten ihrer Eltern verbrachte". Damals seien Sitzblockaden wichtiger als Hausaufgaben gewesen und Weihnachten habe als religiöse Verschwörung gegolten. Jessen hat selbst mit seiner Mutter in einem "alternativen Wohnkollektiv" gelebt. Die Selbstverständlichkeit, mit der dort "jede noch so alltägliche Handlung in einen politischen Kontext gestellt" wurde, verfolge ihn "noch heute", so der Regisseur. Die Vermischung von Privatem und Politischen, gepaart mit Humorlosigkeit, sei lebensfeindlich gewesen. Dennoch ist Jessens Blick in die Vergangenheit nicht bitter. Er zeichnet ein detailverliebtes Bild eines Teils der 68er, die etwas schnurrig erscheinen, schräg und manchmal ein bisschen bekloppt. Es darf gelacht werden über die Demonstranten in Strickpullovern, die vor dem Tor des AKW Brokdorf noch ihre Anti-Atomkraft-Lieder singen, während die Polizei vom Wasserwerfer aus mitteilt, dass die Lieferung am Hintereingang eingetroffen ist. Das ist vielleicht ein wenig herablassend und etwas gemein - wird aber immer wieder durch ein Augen-zwinkern aufgefangen. Anders als bei "Die fetten Jahre sind vorbei" ist bei "Am Tag als Bobby Ewing starb" keine unterschwellige Wut auf die "Verhältnisse" spürbar. Wohl auch deshalb zeigten die Grünen den Film auf diversen Wahlkampfveranstaltungen.
Jessen hat seinen Frieden mit den 68ern gemacht - Weingartner nicht. Vielleicht liegt das am gänzlich verschiedenen Lebensweg des gebürtigen Österreichers. Während Jessen ohne eigenes Zutun in der Protestbewegung landete und so schnell wie möglich wieder raus wollte, erwählte Weingartner sie als sein Biotop. In einem "Zeit"-Interview bekannte er, ein "Spätzünder", das "ewige Schlusslicht der Protestbewegung" gewesen zu sein - erst Mitte der 90er-Jahre, die Zeit der Hausbesetzer war eigentlich vorbei, besetzte er mit Gleichgesinnten ein Haus in Ostberlin. Diese Zeit, nach einem Jahr von der Polizei beendet, blieb ihm als "utopisches Zusammenleben" in Erinnerung. Mit seinem späten Eintritt in eine Kommune, als die "fetten Jahre" des Protests längst vorbei sind, erscheint Weingartner dabei der Mutter Hanne in Jessens Film verwandter als seinen eigenen jugendlichen Rebellen. Weingartner nimmt die 68er ernst, er misst sie an dem Anspruch, den sie vor 30 Jahren einmal hatten und den inzwischen viele bei ihrem eigenen Marsch durch die Institutionen zurückgelassen haben. Diesen Verrat verübelt er ihnen. Jessen hat mit seinem Film eine persönliche "Vergangenheitsbewältigung" betrieben, Weingartner entschied sich für eine politische. Den Manager Hardenberg gestaltete er nach dem Vorbild der Essers und Ackermänner, die, so Weingartner im "Zeit"-Gespräch, das zweihundertfache ihrer Angestellten verdienten, wegen horrender Abfindungszahlungen angeklagt würden - und dann frech in die Kamera grinsten, weil sie sich sicher fühlten. Dagegen müsse man etwas tun. Vielleicht erfüllt sich Weingartners Wunsch, bei seinen Idealen zu bleiben und sich nicht zu ändern. Vielleicht aber lockt auch ihn irgendwann das dicke Auto.