Große Konferenzen, die derart erfolgreich zu Ende gehen, dass sie von allen Seiten bejubelt werden, sind eher selten. Die KSZE-Konferenz, die vom 19. bis 21. November 1990 in Paris stattfand, war allerdings ein solcher Fall: Das Treffen von 34 Staats- und Regierungschefs aus Europa und Nordamerika endete mit der Unterzeichnung der "Charta von Paris", die nahezu von allen Teilnehmern und Beobachtern als Meilenstein der Politik betrachtet wurde.
In dem Dokument hatten sich alle europäischen Staaten - mit Ausnahme Albaniens - , die USA und Kanada zur "Demokratie als einziger Regierungsform" bekannt und so offiziell den Kalten Krieg beendet. Bereits im Vorfeld hatten die 16 NATO-Staaten und die verbliebenen fünf Mitgliedsländer des Warschauer Pakts ihre 35-jährige militärische Gegnerschaft für beendet erklärt. Frankreichs Staatspräsident Francois Mitterand betonte in der Schlusssitzung, die KSZE sei von nun an nicht mehr nur durch ein gemeinsames Sicherheitsbedürfnis, sondern durch "eine gemeinsame Vision der Welt und gemeinsame Werte" verbunden.
Ganz im Zeichen der Begeisterung über das Erreichte standen dann auch Regierungserklärung und Bundestagsdebatte am 22. November in Berlin. Bundeskanzler Helmut Kohl bezeichnete das Pariser Dokument als eine "Magna Charta der Freiheit", die sich zu einer "auf Menschenrechten und Grundfreiheiten beruhenden Demokratie" bekenne und so die "Hoffnungen und Erwartungen so vieler Menschen und Völker, die sich über Jahrzehnte mutig für die Ideale der KSZE eingesetzt haben" erfülle. Zudem sei in Paris das "Werk der deutschen Einigung unter dem europäischen Dach" vollendet worden und ein großes Ziel deutscher und europäischer Politik erreicht: "Wir Deutsche überwinden die widernatürliche Teilung, unter der unser Land und Volk mehr als 40 Jahre gelitten hat, und wir Europäer beenden Konfrontation und Kalten Krieg und begründen die historisch gewachsene Einheit unseres Kontinents neu."
Auch die Opposition begrüßte die Pariser Ergebnisse - und betonte, sie seien auch ein Erfolg deutscher Außenpolitik, an der die SPD Anteil habe. Horst Ehmke, stellvertretender SPD-Fraktionschef, erinnerte daran, "dass sich Paris nahtlos in die Architektur der sozialdemokratischen Friedens-, Sicherheits- und Menschenrechtspolitik einfügt, die mit der Person Willy Brandt verbunden ist". Es sei Brandt gewesen, "der die Entspannung in Europa eingeleitet hat, deren Früchte Sie und wir heute ernten". Es sei nicht leicht gewesen, Helsinki und die KSZE gegen die "starre Kalte-Kriegs-Mentalität" der Unionsparteien durchzusetzten. Ehmke mahnte, es sei nötig, nun auch eine "Abrüstungsgemeinschaft" aufzubauen, denn Kooperation in Europa sei nicht möglich ohne den Abbau von Konfrontation: "Der sozialdemokratische Leitgedanke der Angriffsunfähigkeit muss jetzt verwirklicht werden."
Für den FDP-Fraktionsvorsitzenden Otto Graf Lambsdorff war die europäische Friedensordnung nun nicht länger nur Vision, sondern konkretes Handlungsprogramm. Nun gebe es neue Aufgaben: "Die FDP ist - anders als der Herr Bundeskanzler - der Meinung, dass wir Deutschen geradezu verpflichtet sind, den Ungarn, den Polen, den Tschechoslowaken den Weg in die Europäische Gemeinschaft zu öffnen."
Auch die PDS teilte diese Sicht. Den Absichtserklärungen, dass es keine "Wohlstandsmauern" und keine "Europäer erster und zweiter Klasse" geben dürfe, müssten Taten folgen, so Sylvia-Yvonne Kaufmann: "Ein gesamteuropäischer ,New Deal', der von allen Staaten mitgetragen wird, muss schleunigst entwickelt und am besten baldmöglichst zum Gegenstand einer Art ökonomischer Nachfolge-KSZE gemacht werden." Skepsis war dagegen aus den Reihen der Grünen zu vernehmen. "Paris war vorerst nur der Abschluss einer Epoche, deren Ordnung berechenbar, waffenstarrend und ungerecht war. Ob es in der unsicheren Zukunft Europas wirklich keine Verlierer geben wird, hängt ganz und gar davon ab, ob es gelingt, eine gerechte Zukunftsordnung für dieses neue europäische Haus zu entwerfen." Am Anfang der KSZE seien "nur die Träumer klug" gewesen, die "Zweifler waren damals die historisch Dummen" - die CDU habe zu Letzteren gehört.
Trotz aller Zweifel: Das Haus Europa wurde auch nach Paris mit rasender Geschwindigkeit weitergebaut. Im Dezember 1990 leiteten zwei Regierungskonferenzen zur Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft mit der Wirtschafts- und Währungsunion sowie einer politischen Union eine neue Phase europäischer Integrationspolitik ein.