Frankfurts Messehallen sind wieder autofrei. Kein glänzendes Chrom mehr, kein polierter Lack, keine optimistischen Vorstände. Wo noch vor wenigen Wochen automobile Träume im Scheinwerferlicht der Internationalen Automobilausstellung (IAA) strahlten, ist der graue Alltag zurückgekehrt. Auch die PS-Branche konzentriert sich nach den Feierlichkeiten in eigener Sache wieder auf ihre Probleme.
Weltweite Überkapazitäten von 20 Prozent, der Wettbewerbsdruck, ausufernde Preiskämpfe in Nordamerika und mittlerweile auch Europa, steigende Rohstoffkosten, ungünstige Wechselkurse oder die mangelnde Nachfrage belasten die Branche. Zudem drängen Billiganbieter aus der Volksrepublik China in die gesättigten Märkte Europas und Nordamerikas. "Gerade der Eintritt neuer, asiatischer Hersteller in den internationalen Wettbewerb, bringt Bewegung in die Branche und beweist, dass die Konsolidierung der Automobilindustrie fortschreiten wird", sagte der Stuttgarter Vorstandsberater und Industrieexperte Karlheinz L. Knöss. Der verschärfte Wettbewerb fordere von den Herstellern selbstkritisches, strategisches Umdenken auf Produkte, Kundenorientierung und Kooperationen.
Drei Trends scheinen sich in der PS-Branche aktuell herauszubilden. Erstens: Die Nachfrage nach Mittelklassemodellen sinkt. Die Verbraucher orientieren sich zunehmend hin zu Klein- und unteren Mittelklassewagen oder aber zu Oberklassemodellen. Das bedeutet, dass sich Volumenhersteller wie Peugeot, Opel, VW, Ford oder Renault neu orientieren müssen, während Unternehmen wie Toyota oder Hyundai im unteren und BMW, Audi oder Mercedes-Benz im oberen Segment bereits gut positioniert sind.
Zweitens: Die Verbraucher wollen keine Autos mehr von der Stange. Gab es 1987 noch neun Fahrzeugsegmente, waren es 1997 schon 26 Marktbereiche. Heute gibt es 40. Allerdings unterstreicht diese Entwicklung auch, wie unsicher die Produktplaner agieren. So gibt es allein vom Golf eine "Plus-Variante", einen Kompaktvan "Touran" und eine Stufenheckform. "Das veränderte Käuferverhalten ist auch eine Reaktion auf die Plattformstrategie der Hersteller, die nicht nur mehrere Marken auf eine Basis setzen, sondern über die Karosserieformen Varianz und Individualität vorgetäuscht haben. Insofern ist hier ein eigendynamisches Verbraucherverhalten entstanden, das zu verkürzten Modellzyklen und am Ende zum Verlust der Produktqualität geführt hat", sagt Knöss. Auch der Vorstandsvorsitzende des französischen PSA-Konzerns (Peugeot Citroën), Jean-Martin Folz, sieht die Branche durch die zunehmende Segmentierung vor großen Herausforderungen. "Auf diesem Markt muss man in der Lage sein, Gewinne mit kürzeren Serien als in der Vergangenheit einzufahren."
Gleichzeitig sinkt die Zahl der unabhängigen Hersteller stetig. 1964 gab es 52 Autobauer, in diesem Jahr sind es noch 14 Hersteller. Experten schätzen, dass die Zahl bis 2010 auf sieben bis elf Unternehmen sinken wird. "Niemand ist sicher in unserer Industrie", bekennt Carlos Ghosn, Vorstandsvorsitzender von Renault Nissan. Das zeigt nicht zuletzt der Einstieg des "David" Porsche bei "Goliath" Volkswagen. Der Sportwagenhersteller hat 18,5 Prozent an Europas größtem Autokonzern gekauft. Allerdings schränkt PSA-Chef Folz ein: "Man stirbt, wie das Beispiel Rover zeigt, sehr langsam in unserer Industrie."
Die Frage ist, ob es zu großen Fusionen, vergleichbar mit dem Zusammenschluss von Daimler-Benz und Chrysler, kommt. Wahrscheinlich ist dies vor allem bei mittelgroßen und kleineren Herstellern. Aus den Erfahrungen bei der deutsch-amerikanischen Allianz von DaimlerChrysler scheinen die Hersteller der großen Automobilkonzerne jedoch ihre Lehren gezogen zu haben - und verzichten auf entsprechende Pläne. Denkbar ist vielmehr eine Zunahme von punktuellen Kooperationen bei einzelnen Projekten. Ein System, das eben der französische PSA-Konzern bevorzugt. Dabei können einerseits Entwicklungs- und Produktionskosten gespart werden, andererseits wollen die Partner keine finanziellen Verflechtung.
Wenn es zu Übernahmen kommt, dürften vor allem chinesische Hersteller wie Shanghai Automotive (SAIC), Dongfeng oder FAW die treibenden Kräfte sein. Sie benötigen vor allem das westliche Know-how und die Vertriebsnetze der Hersteller. Das zeigte sich etwa am Interesse von SAIC an MG Rover.
Der dritte sich abzeichnende Trend ist die steigende Nachfrage nach Dieselmotoren. 1998 etwa lag die Durchdringungsrate von Selbstzündern in Europa noch bei mehr als 20 Prozent, heute sind es über 50 Prozent. In den USA steht der Dieselmotor erst vor dem Durchbruch. Hier sind die deutschen und europäischen Hersteller mit ihrer Kompetenz im Vorteil. Allerdings sind spätestens nach der Rußpartikeldiskussion bei der Diesel-Technik Kritikpunkte bezüglich der gesundheitlichen Schädigungen durch Dieselmotoren öffentlich geworden, die bisher dank der offenen Steuersubvention für diese Antriebstechnik verdeckt geblieben sind. Der hektische Sprung der deutschen Hersteller auf die Hybrid-Technik könnte so auch als Zweifel an der eigenen Motorenphilosophie gewertet werden. "Die Industrie folgt einem Markttrend für Hybridfahrzeuge und will damit in erster Linie das eigene Image polieren. Die Innovationskraft und Zukunftsfähigkeit dieser Technik wird leider nicht in Frage gestellt", gibt der Industrieexperte Knöss zu bedenken.
Deutschlands Schlüsselindustrie steht vor wichtigen Herausforderungen. Ein gewichtiges Problem sind vor allem auch die hohen Arbeitskosten. "Massenautomobile haben am Produktionsstandort Deutschland langfristig keine Chance", sagt Willi Diez, Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft in Nürtingen. Deutschland werde langfristig "nur als Standort für Premiumautomobile überleben können". Entfielen 1995 noch 62,2 Prozent aller in Deutschland produzierten Fahrzeuge auf das Massensegment, sank der Anteil im Jahr 2004 auf 50 Prozent. Ursache für diese Entwicklung seien einerseits die Einführung neuer Modelle durch die deutschen Premiumhersteller Audi, BMW, Mercedes-Benz und Porsche, andererseits aber die zunehmende Verlagerung der Massenfahrzeug-Produktion in ausländische Standorte. Diez: "Ganz offensichtlich sind die Produktionskosten am Standort Deutschland zu hoch, um hier profitabel Volumenfahrzeuge herstellen zu können."
Der Druck in der Branche ist gewaltig. VW leidet unter den Imageschäden durch die VW-Affäre und will Milliarden sparen, Ford und General Motors (GM) wollen und müssen auf ihren Heimatmärkten Zehntausende Stellen streichen und Fabriken schließen. Der italienische Autobauer Fiat ist nur noch ein Schatten früherer Tage. Selbst Mercedes-Benz schrieb im ersten Quartal tiefrote Zahlen und will nun 8.500 Arbeitsplätze abbauen.
Nicht allen geht es jedoch schlecht. Toyota, BMW oder Porsche sind die Gegenbeispiele. Ihr Vorteil im Wettbewerb neben Qualität, Technik und Design ist ihre Originalität. Weltweit sind Autos kaum noch zu unterscheiden. Die Folge: Die Markentreue gehört immer mehr der Vergangenheit an. Toyota, BMW und Porsche aber haben ihr Profil bewahrt. Das erlaubt es BMW und Porsche sogar, weiter Fahrzeuge im Hochlohnland Deutschland zu bauen. Ihr Markenimage ist geprägt von Sportlichkeit/Exklusivität (Porsche und BMW) oder Zuverlässigkeit (Toyota). Ein gutes Preis/Leistungsverhältnis führt im unteren und mittleren Segment wie etwa bei Hyundai zum Erfolg.
Die Lage der Branche wird sich noch verschärfen. Chinas Autobauer werden in Kürze ihre Designschwächen und Verarbeitungsmängel, wie sie zuletzt auf der IAA in Frankfurt noch zu beobachten waren, beheben. DaimlerChrysler, VW und Co. sollten die Newcomer daher auf keinen Fall unterschätzen. Toyota brauchte 20 Jahre, um sich in der Branche hochzuarbeiten - heute sind die Japaner vom Absatz her die weltweite Nummer zwei und schicken sich an in den nächsten Jahren an die Spitze vorzurücken. Die Koreaner waren bereits nach zehn Jahren konkurrenzfähig. Die Chinesen werden die Schlagzahl erhöhen. Waren auf der IAA nur drei Autobauer aus dem Reich der Mitte, werden es auf der IAA 2007 deutlich mehr sein.
Marco Dalan ist Wirtschaftskorrespondent der "Welt" in
Düsseldorf.