Da die Menschen im Grunde genommen gar nicht nach materiellen Gütern gieren, sondern nach einem sinnvollen Leben, werden sie schließlich von einem anderen, größeren Hunger erfasst - dem, so Höhler, unstillbaren Hunger "nach Erkenntnis, nach Verstehen, nach Wahrheit und Werten, die zuverlässiger sind als die Waren im Markt".
Den mutigen Verfechtern eines neuen Lebensentwurfs "jenseits der Gier" ist dieses Buch gewidmet. Die Autorin diagnostiziert eine sich verändernde Rangfolge der Werte und propagiert eine Zukunft, in der mündige Bürger endlich durchschauen, dass materielle Gier nicht nur Werte, sondern zugleich die Freiheit zerstört: "Die Gier macht nicht satt, sondern süchtig."
Gier führt somit unweigerlich ins Unglück. Glück ist nun einmal nicht käuflich; es liegt jenseits der Warenberge. Dem "kranken Staat", in dem immer noch voller Gier um Machtpositionen gerangelt wird, tritt der "gesunde Bürger" gegenüber. Von den "Überbetreuern" aus Wirtschaft und Politik kaum wahrgenommen, nehmen sich die Kunden von heute den Luxus heraus, die gewohnten Standards zu unterlaufen. Das Einfache triumphiert. Je konsequenter diese neue "Kultur der Wünsche" eingefordert wird, desto schneller wird auch die Freiheit von den Verführern zurückgewonnen.
Der Staat, so Höhlers Appell, sollte vom Leistungswillen und von der Flexibilität und Schnelligkeit seiner Bürger lernen, sich endlich selbst zu bewegen und zu verschlanken: "Deutschland muss wieder laufen lernen, um das Fett seiner Verwaltungsgehirne abzubauen."
Langeweile kommt bei der Lektüre dieses mit zahlreichen Cartoons gespickten Buchs nicht auf. Höhlers Generalabrechnung mit der Wohlstandsgesellschaft überzeugt, ihr gesellschaftlicher Gegenentwurf macht Hoffnung. Mit genussvollem Schwung werden hier die "Götter der Gier" vom Sockel gestürzt, um den "Strategien zum Glück" und einer "Logik des Gelingens" zum Durchbruch zu verhelfen.
Leider übertreibt die ehemalige Professorin für Literaturwissenschaft zuweilen ihre Fabulierungskunst. Allzu oft wird das längst vollendet Gesagte in immer neuen Variationen formuliert. Auch lässt Höhler bei der Vermittlung ihrer "Brain-Kontexte" kaum einen Anglizismus aus. Muss man schlichte Begriffe wie "Glaubwürdigkeit" erst zur "Credibility" erheben, damit sie noch zum Schlagwort taugen?
Eine Frage des Inhalts sind hingegen Höhlers untauglichen Versuche, ihren Vorlieben für bestimmte menschliche Verhaltensweisen jeweils auch noch eine evolutionsbiologische Basis zu verordnen. Wenn es neben unserer latenten Gewaltbereitschaft noch eine weitere bedenkliche Konstante in unserem Artverhalten gibt, dann ist es doch wohl genau jene Gier, die dieses Buch quasi zum Aussterben verurteilen will. Und auch jenes "leise Lächeln der Sieger", jene "Freundlichkeit", die Höhler als "Herrschaftstugend" feiert, ist aus ethologischer Sicht ein höchst ambivalentes Verhaltensmuster.
Unser Lächeln leitet sich nämlich verhaltensbiologisch von der "Beißintension" ab. Der lächelnde Chef zeigt seine Zähne nicht nur aus purer Freundlichkeit. Geradezu albern wirkt Höhlers biologistisch eingefärbte Argumentation, wenn sie "Führungscharakteren" einen besonders eindringlichen Blick und damit eine Art Affenmentalität attestiert: Das überlegene "Alphatier" schaut uns an, und wir senken sofort schamvoll den Blick.
Unter normalen sozialen Bedingungen - also jenseits der Führungsetagen, in denen sich in der Regel Unternehmensberatung abspielt - weicht nicht etwa der Schwächere dem Blick des Stärkeren aus, sondern zumeist gibt der Klügere dem aufdringlichen Starrkopf nach. Jenes Fixieren klärt weniger die "Rangordnung", sondern offenbart eher eine peinliche Taktlosigkeit.
Trotz mancherlei Schwächen: Die Autorin hat mit ihrer Analyse den Nagel auf den Kopf getroffen und ein über weite Strecken höchst erfrischendes und kluges Buch vorgelegt. Ein Buch voller energischer Ermutigung - so ganz jenseits der landauf landab gepflegten Larmoyanz. Wer vor lauter Selbstzweifel zu chronischer Unentschlossenheit tendiert, dem sei Höhlers Buch als Therapie empfohlen.
Gertrud Höhler
Jenseits der Gier. Vom Luxus des Teilens.
Econ Verlag, Berlin 2005; 220 S., 22,- Euro