Das Parlament: Die Vorratsdatenspeicherung bei der Telekommunikation wird mit dem Kampf gegen den Terrorismus gerechtfertigt. Überzeugt Sie das?
Thilo Weichert: Auch ich bin für die Bekämpfung des Terrorismus. Aber es ist doch sehr die Frage, ob die Registrierung aller Telekommunikationsdaten ein akzeptables Mittel ist. Wir Datenschützer sagen nein, und das werden auch viele Bürger so sehen. Fortan wird jedermann als potentieller Terrorist eingestuft. Das ist das Prinzip des Generalverdachts. Mit dem Argument der Terrorabwehr werden faktisch Freiheitsrechte eliminiert. Man denke auch an Berufsgeheimnisträger wie Ärzte oder Rechtsanwälte. Bedroht ist überdies der Quellenschutz für Journalisten.
Das Parlament: Aber die Daten sollen doch nur zur Verfolgung von Straftaten genutzt werden, die unter dem Europäischen Haftbefehl aufgelistet sind?
Thilo Weichert: Jede Begrenzung ist besser als keine. In Zukunft haben wir jedoch eine Umkehrung der Verhältnisse. Bisher galt trotz gewisser Aufweichungen das Prinzip, dass der Staat erst bei einem Verdacht im Einzelfall die Telekommunikationsdaten eines Bürgers erfassen kann. Jetzt wird von vorn herein bei allen alles registriert, Anonymität existiert nicht mehr, nichts ist mehr vertraulich. Zudem lehrt die Erfahrung, dass bei der Verwertung von Erkenntnissen aus Überwachungsmaßnahmen die zunächst festgelegte Schwelle über kurz oder lang heruntergeschraubt wird.
Das Parlament: Der Inhalt eines Telefongesprächs wird doch nicht automatisch mitgeschnitten?
Thilo Weichert: Wenn das Fernmeldegeheimnis als zentrales Freiheitsrecht ausgehebelt wird, dann wird die freie Kommunikation in Frage gestellt, und das ist dann eine andere Gesellschaft. Im Kern zielt die neue Qualität der Überwachung auf die Köpfe der Menschen. Das ist ein Verstoß gegen unsere Verfassung, deren Grundrechte mit Füßen getreten werden. Das Telekommunikationsgeheimnis wird schon dann aufgehoben, wenn gespeichert wird, wer mit wem wann wo Kontakt aufnimmt und wer an welchem Computer welche Internetseite aufruft.
Das Parlament: Wie es scheint, haben Bürgerrechtler und Datenschützer nach der Entscheidung des EU-Parlaments ihren Kampf verloren?
Thilo Weichert: Wir geben nicht auf. Nun muss der Protest erst artikuliert werden. Ich hoffe, dass der Beschluss zur Vorratsdatenspeicherung rückgängig gemacht werden kann. Spannend wird es, falls einzelne Bürger vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg gegen die Verletzung ihrer Grundrechte klagen sollten. Die Umsetzung der EU-Regelung in nationales Recht bietet zudem Bundestagsfraktionen die Möglicheit einer Normenkontrollklage in Karlsruhe. Es geht um die offene Frage, ob das EU-Recht oder unsere Verfassung Vorrang hat. Der Konflikt um die Registrierung der Telekommunikation bleibt auf der Tagesordnung.
Das Interview führte Karl-Otto Sattler