Was sich morgens in vielen deutschen Wohnungen abspielt, ist nicht schön: Zerknitterte Wach-Schlaf-Zombies, die sich mit einer Hand an ihrer Kaffeetasse festhalten und mit der anderen ihre Augen vor dem viel zu grellen 60-Watt-Küchenlicht bedecken, versuchen verzweifelt, sich in einen Zustand zu bringen, der es ihnen erlaubt, das Büro zu erreichen, ohne noch auf dem Weg zur U-Bahn wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses festgenommen zu werden.
Sie kennen dieses Drama aus eigener, bitterer Erfahrung? Dann ist die Diagnose klar: Sie gehören eindeutig zu den 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung, die andere Schlafbedürfnisse haben als die Mehrheit - und die nun, Dank des Vereins "Delta t" endlich eine Lobby in der Gesellschaft haben. Nicht Morgenmuffel oder Schlafmützen nennen sich die Mitglieder dieses Vereins, nein, sie bezeichnen sich selbstbewusst als "zweitnormale" Menschen und haben den Kampf aufgenommen gegen die Diktatur der erstnormalen Frühaufsteher.
Deren Rhythmus orientiere sich am "Idealtypus des frühen Huhns" und dominiere den Tagesablauf der gesamten Gesellschaft - sei es bei Arbeits-, Öffnungs- oder Schulzeiten. In kaum einem anderen Land beginnen Unterricht und Arbeit so früh wie in Deutschland - dadurch fühlen sich die "Delta t"-Mitglieder, die nicht in der Lage sind, bei Tagesanbruch quietschfidel aus dem Bett zu krabbeln, diskriminiert. Schon in früher Kindheit werden die Zweitnormalen zu unchristlichen Zeiten aus dem Bett und in den Kindergarten getrieben, später kämpfen sie dann mit unmenschlichen Arbeitszeiten - und ärgern sich jede Woche schwarz über krachende Müllfahrzeuge, die in aller Herrgottsfrühe rumpelnd den Unrat abholen. Das Motto der Delta-t-ler lautet deshalb: "Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, sind wir, wo es schöner ist." Nämlich im Bett. Etwa 140 Mitglieder hat der "Verein für Zweitnormalität", unter ihnen viele Akademiker und Freiberufler. Sie verweigern sich frühmorgendlichen Anrufern, Lieferanten oder Postboten und beginnen den Tag einfach drei oder vier Stunden später als normale Leute.
Das hat durchaus gesundheitliche Vorteile. Medinzinische Studien haben gezeigt, dass zu wenig Schlaf Gereiztheit, Konzentrationsstörungen und eine erhöhte Anfälligkeit gegenüber chronischen Krankheiten hervorrufen kann. Schlimmer noch: Schlafmangel macht dick, denn bei einem zu geringen Schlafpensum erhöht der Körper dieProduktion von appetitanregenden Hormonen und bunkert mehr Fett.
Grund genug für die Zweitnormalen, sich nicht länger knechten zu lassen. Sie planen die Eröffnung einer Bundesvertretung, in Berlin zwischen Finanz- und Gesundheitsministerium gelegen, um besser gegen die Frühaufsteherdoktrinen kämpfen zu können und präsent zu sein. Wann das Büro geöffnet sein wird, ist noch unklar - nur sicher nicht zu früh. Die Zweitnormalen sind ja keine Hühner.