Der Vorstand der Deutschen Rentenversicherung Bund hat auf einem Presseseminar in Würzburg schweres Geschütz aufgefahren. Sollten die im Koalitionsvertrag der neuen Regierung festgelegten Vereinbarungen umgesetzt werden, "dann wäre dies eine Abkehr vom bisherigen breiten rentenpolitischen Konsens". Der Vorstandsvorsitzende Alexander Gunkel, der für die Arbeitgeber im Vorstand der Rentenversicherung sitzt, betonte, mit den vorgesehenen Maßnahmen würden alle Zielgrößen deutlich verfehlt. Vor allen Dingen die geplante Festschreibung der Bundeszuschüsse hätte fatale Folgen. Bei eingefrorenem Zuschuss würde sich der Bundesanteil an den Rentenausgaben auf Dauer halbieren. Die daraus entstehenden Lasten würden auf Beitragszahler und Rentner abgewälzt.
Der Bund überweist jährlich rund 80 Milliarden Euro an die Rentenversicherung, unter anderem als Bundeszuschüsse oder als Beiträge für Kindererziehung. Auch Arbeitnehmervertreterin Ursula Engelen-Kefer warnte den Bund davor, sich aus der Verantwortung zu stehlen und sich an den in Zukunft zu erwartenden Mehrbelastungen nicht mehr zu beteiligen. Die Beitragszahler müssten mit deutlichen steigenden Beiträgen rechnen. Eine solche Entwicklung wäre aber auch, so Engelen-Kefer, aus arbeitsmarktpolitischen Gründen nicht wünschenswert. Sie würde dem Ziel widersprechen, die Lohnzusatzkosten zu senken. "Die Folgen wären auch eine weitere Verunsicherung der Bevölkerung und letztlich auch die wachsende Gefahr von Altersarmut."
Der zweite Punkt im Koalitionsvertrag, nämlich geringere Rentenversicherungsbeiträge für Empfänger von Arbeitslosengeld II, hätte ebenfalls erhebliche finanzielle Konsequenzen. Allein zwei Milliarden Euro fehlten jährlich, wenn der Bund für Langzeitarbeitslose ab 2007 statt bisher 78 Euro im Monat nur noch 40 Euro an Rentenbeiträgen abführen würde. Würde dieses Sparmanöver umgesetzt, so Engelen-Kefer, müsse zum einen der Beitragssatz zur Rentenversicherung um 0,2 Prozentpunkte erhöht werden. Vor allem aber würde der ohnehin schon sehr geringe Rentenanspruch nochmals nahezu halbiert. Schon nach geltendem Recht erwirbt ein Bezieher von Arbeitslosengeld II für ein volles Jahr des Leistungsbezugs nur eine Rentenanwartschaft von 4,24 Euro Monatsrente. Nach der beabsichtigten Neuregelung wären es nur noch 2,18 Euro.
Allein diese beiden ersten Punkte des Koalitionsvertrages, so rechnete Alexander Gunkel vor, würden die mittelfristige Finanzentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung gravierend verändern. Schon im Jahr 2007 müsste der Beitragssatz auf 20 Prozent und 2008/2009 auf 20,1 Prozent angehoben werden. Die fehlende Dynamisierung der Bundeszuschüsse zeigt bereits jetzt ihre Wirkung, denn bereits im Jahr 2007 müsse der monatliche Beitragssatz um ein weiteres Zehntel angehoben werden, erläuterte der Vorstandsvorsitzende.
Außerdem sieht die Koalitionsvereinbarung vor, dass ab dem Jahr 2012 die Regelaltersgrenze in Monatsschritten vom 65. auf das 67. Lebensjahr angehoben werden soll, spätestens im Jahr 2035 soll diese Anhebung abgeschlossen sein. Auch diese Überlegungen, so Engelen-Kefer, seien innerhalb der Rentenversicherung "in hohem Maße umstritten". Die stellvertretende DGB-Vorsitzende räumte zwar ein, dass die Anhebung der Altersgrenzen langfristig einen entlastenden Effekt auf die Rentenfinanzen haben würde. Andererseits komme es durch die Regelung aber auch zu einer Mehrbelastung, nämlich dann, wenn die Älteren tatsächlich länger arbeiten und später in Rente gehen. Dann führe der in die Rentenformel eingefügte Nachhaltigkeitsfaktor zu einer stärkeren Rentenerhöhung. Diese zehrten die beabsichtigte Entlastungswirkung um rund die Hälfte wieder auf.
Sofern den Versicherten nicht die Wahl bleibt, bis zur angehobenen Regelaltersgrenze zu arbeiten, sondern sie - etwa aufgrund der Arbeitsmarktsituation - nach wie vor mit 65 oder noch früher in Rente gehen müssen, führt die Rente mit 67 aufgrund der Rentenabschläge faktisch zu einer Rentenkürzung. Die Anhebung der Altersgrenze, betonte Engelen-Kefer, fände von allen Optionen zur Anpassung an den demografischen Wandel in der Bevölkerung mit Abstand die geringste Akzeptanz. "Ohne eine entsprechende Verbesserung der Arbeitsmarktchancen älterer Arbeitnehmer wird die Umsetzung dieses Vorschlags auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen."
Engelen-Kefer warnte außerdem davor, die Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner weiter zu erhöhen. Die Rentner müssen heute schon neben der Hälfte des allgemeinen Beitragssatzes zur Krankenversicherung den besonderen Beitragssatz von 0,9 Prozent voll tragen. Müssten die Rentner die Kassenbeiträge alleine bezahlen, dann hätte dies auch deutliche Auswirkungen auf die Rendite der Versicherten. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Hans-Jürgen Papier, habe mehrfach deutlich gemacht, so Engelen-Kefer, dass es mit dem Grundgesetz nicht vereinbar wäre, wenn die Beitragsrendite von heute zwischen vier und fünf Prozent dann negativ ausfallen würde.
Alexander Gunkel zeichnete ein düsteres Bild von der finanziellen Lage der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Finanzen haben sich angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung und hoher Arbeitslosigkeit noch schlechter als bisher angenommen entwickelt. Erstmals mussten die Rentenkassen im Dezember einen Kredit in Höhe von 900 Millionen Euro vom Bund in Anspruch nehmen. Andernfalls hätten die Renten für diesen Monat nicht pünktlich ausgezahlt werden können. Zuvor war noch von einem Kreditvolumen von 600 Millionen Euro die Rede gewesen. Bereits in den Vormonaten war die Rentenversicherung gezwungen gewesen, Zuschüsse des Bundes vorzuziehen.
Die Schwankungsreserve der Versicherung, heute Nachhaltigkeitsrücklage genannt, wird damit von 32 Prozent einer Monatsausgabe auf nur noch sieben Prozent beziehungsweise rund eine Milliarde Euro sinken - ein absoluter Tiefststand. Im nächsten Jahr soll sich die Lage allerdings etwas entspannen. Das liegt daran, dass die Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge künftig am Monatsende überweisen müssen. Mit dieser neuen Regelung konnte eine Erhöhung des Beitragssatzes vermieden werden, sodass dieser im Jahr 2006 unverändert bei 19,5 Prozent bleiben kann. Das neue Verfahren berge allerdings "unvorhersehbare Probleme", wie Gunkel betonte. Diese entstünden durch die knappe Zeitspanne von der Beitragsabführung und der Weiterleitung der Beträge bis zur Rentenauszahlung. Das werde sich vor allem Ende Februar bemerkbar machen.