Hallstein-Doktrin 1955
Interview des Leiters der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amts, Ministerialdirektor Professor Dr. Grewe, 11. Dezember 1955 (Auszug)
Frage:
Ist es richtig, daß auf dieser Botschafter-Konferenz die
Politik der Bundesregierung dahingehend definiert worden ist,
daß sie die diplomatischen Beziehungen mit jedem Staat
brechen würde, der etwa Pankow anerkennt?
Antwort:
Man wird zunächst sagen müssen, daß man nicht ganz
generell festlegen kann, in welchem Augenblick eine Anerkennung im
völkerrechtlichen Sinne vorliegt. Es gibt da eine Reihe von
Zwischenstufen, die sowohl in der Staats-Praxis wie im
Völkerrecht umstritten sind. Klar ist - und das haben wir oft
genug deutlich gemacht -, daß die Intensivierung der
Beziehungen mit Pankow von uns als eine unfreundliche Handlung
empfunden wird. Auf unfreundliche Akte anderer Staaten kann man mit
verschieden gestuften Maßnahmen reagieren, kann entweder
seinen Botschafter zunächst einmal zur Berichterstattung
zurückberufen, oder man kann auch einen weiteren Abbau einer
solchen Mission vornehmen. Kurz, es gibt eine ganze Reihe von
Maßnahmen, die noch vor dem Abbruch der diplomatischen
Beziehungen liegen. Und es ist klar, daß man einen so
schwerwiegenden Schritt wie den Abbruch diplomatischer Beziehungen
immer nur nach sehr reiflicher Überlegung und in einer sehr
ernsten Situation tun wird. Aber so viel ist klar, daß diese
ganze Frage für uns in der Tat eine äußerst ernste
Frage ist und daß in dem Augenblick, in dem das Problem der
Doppelvertretung Deutschlands bei dritten Staaten auftaucht, wir
wahrscheinlich gar nicht anders können, als sehr ernste
Konsequenzen daraus zu ziehen.
Frage:
Daß wir jede Anerkennung Pankows als unfreundlichen Akt
betrachten würden, haben wir ja auch schon vorher gesagt?
Antwort:
Das ist bereits im Bundestag und bei verschiedenen Gelegenheiten
deutlich genug gesagt worden.
Frage:
Nun könnte natürlich jemand einwenden: Warum stellt ihr
keine diplomatischen Beziehungen zu Polen, der CSSR oder den
südosteuropäischen Staaten her, nachdem ihr ja solche mit
Moskau eingegangen seid?
Antwort:
Ich begrüße es sehr, daß Sie gerade diese Frage
stellen, denn diese nach meinem Gefühl falsche Analogie wird
in der Tat immer wieder gezogen. Wenn wir in Moskau die Tatsache
hinnehmen, daß in Zukunft dort neben unserem Botschafter auch
ein Botschafter des Pankow-Regimes sein wird, so nur deswegen, weil
die Sowjetunion in ihren Beziehungen zu uns eben eine ganz
besondere Stellung einnimmt. Sie gehört zu den ehemaligen vier
Besatzungsmächten. Sie gehört zu denjenigen vier
Mächten, die die Spaltung Deutschlands durch die Einteilung
Deutschlands in militärische B esatzungszonen
herbeigeführt haben und die daher auch allein im
Zusammenwirken die Einheit Deutschlands wiederherstellen
können. Wenn wir die Beziehungen mit Moskau aufgenommen haben,
obgleich solche Beziehungen zur "DDR" bestehen, so doch nur mit der
Maßgabe, die ja auch in dem Notenwechsel mit Moskau ihren
Ausdruck gefunden hat, daß diese diplomatischen Beziehungen
ein Mittel sein sollen auf dem Wege zur Überwindung der
Spaltung und zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands. Dazu
können uns aber diplomatische Beziehungen mit Polen, Ungarn,
Rumänien und anderen kommunistischen Staaten nicht verhelfen.
Das ist der große Unterschied.
Quelle: Bulletin, Nr. 233 vom 13. 12. 1955, S. 1993 f.