Keine neuen Trennlinien
Réne van der Linden, Präsident der Parlamentarischen Versammlung (PV) des Europarates besuchte am Donnerstag, dem 30. November 2006, den Bundestag. Im Interview mit der Wochenzeitung Das Parlament spricht der Präsident über eine Kampagne gegen häusliche Gewalt, Menschenrechtspolitik und den Tod des Ex-Agenten Alexander Litwenko.
Das Parlament
Was kann die Kampagne des Europarates zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt eigentlich konkret bewirken?
René van der Linden
Sie kann Bewusstsein schaffen, denn vielen in unserer Gesellschaft ist nicht klar, dass dies ein sehr großes Problem ist - diese Gewalt findet meist in der Anonymität der Familie statt. Außerdem müssen die Opfer von Gewalt besser geschützt und auch betreut werden.
Das Parlament
Der Bundesaußenminister Walter Steinmeier hat in seiner Rede zur Menschenrechtspolitik im Plenum erklärt, es dürfe keine Überschneidungen zwischen der EU-Grundrechteagentur und dem Europarat geben. Ist das realistisch?
van der Linden
Es ist wichtig, dass sich auch die EU mit Menschenrechtsfragen befasst. Aber es gibt eben einen Europarat mit bald 47 Mitgliedstaaten, der sich seit über 60 Jahren mit Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit und Demokratie beschäftigt. Das Rad muss nicht neu erfunden werden; wir müssen zusammenarbeiten, um Dopplungen zu vermeiden.
Das Parlament
Was kann die geplante EU-Grundrechteagentur anderes machen als der Europarat?
van der Linden
Sie kann nichts wirkliches machen, denn entweder ereignet sich etwas auf der nationalen oder auf der europäischen Ebene - und alle Mitgliedstaaten der EU sind auch Mitglieder des Europarates und haben dementsprechend ihre Verpflichtungen im Rahmen des Europäischen Menschenrechtsvertrags. Und so glaube ich persönlich, dies ist eine politische Entscheidung, aber es hat keinen Mehrwert für das, was wir machen. Es wäre viel besser; wenn die EU die Erfahrungen und Instrumente des Europarates stärker nützen würde.
Das Parlament
Warum kann es nicht zwei Institutionen geben?
van der Linden
Wir müssen vermeiden, dass es in Europa neue Trennlinien gibt. Mit dieser Menschenrechtsagentur riskieren wir Doppelstandards in Europa. Und dann wäre es nicht ausgeschlossen, dass auch Länder wie Russland und die GUS-Staaten sagen, wenn die EU eine Menschenrechtsagentur hat, dann machen wir auch unsere eigene Institution.
Das Parlament
Apropos Russland - es gibt Forderungen, den Tod es russischen Ex-Agenten Alexander Litwinenko auch vor den Europarat zu bringen. Was halten Sie davon?
van der Linden
Wir sind keine Polizei und wir sollten uns auf die englischen Behörden verlassen, dass sie untersuchen, was da genau geschehen ist. Und wenn es dann auch politische Elemente gibt, schließe ich nicht aus, dass sich auch der Europarat damit befasst.
Das Parlament
Mit den CIA-Flügen hat er sich ja befasst...
van der Linden
Ja, weil die Untersuchung der PV des Europarates eine eindeutige Indikation für Menschenrechtsverletzungen ergeben hat. Daher gab es eine klare Verantwortlichkeit des Europarates im Rahmen des Europäischen Menschenrechtsvertrages. Ich glaube, dass damit auch bewiesen ist, wie wichtig ein Gewissen in Europa ist, wenn es um die Menschenrechte geht.
Das Interview führte Annette Sach. Es erscheint am 4. Dezember 2006 in der Ausgabe 49/2006 der Zeitung Das Parlament.