Expertenmehrheit plädiert für Bundesgesetzgebung beim Strafvollzug
Berlin: (hib/BOB) Die vom Bundestag eingeladenen Sachverständigen haben am Mittwochvormittag überwiegend die Übertragung der Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug an die Bundesländer abgelehnt. Clemens Lückemann, Leitender Oberstaatsanwalt aus Würzburg, war als einziger der Auffassung, die beabsichtigte Verlagerung an die Länder sei richtig, weil diese besondere Sachkompetenz hätten. Lückemann wies darauf hin, bereits unter dem geltenden Strafvollzugsgesetz unterscheide sich die Vollzugswirklichkeit in den Ländern auf Grund unterschiedlicher Auslegung des Gesetzes ganz erheblich. Ein weiteres Argument, so Lückemann, sei, dass das Recht der inneren Sicherheit Domäne der Länder sei. Eine Übertragung der Gesetzgebungskompetenz für den Justizvollzug auf die Länder wäre angesichts der herrschenden Auffassung vom Wesen des Strafvollzuges und seinen Aufgaben "nur konsequent". Das Strafvollzugsgesetz sei vor 30 Jahren in Kraft getreten. Der Bundesgesetzgeber habe bei seiner Fortschreibung ebenso versagt wie bei seinen Aufgaben zum Erlass eines Jugendstrafvollzugsgesetzes und eines Untersuchungshaftvollzugsgesetzes. Die Übertragung auf die Länder eröffne insofern neue Chancen für eine Modernisierung. Die Befürchtung mancher Leute, eine Übertragung der Gesetzgebungskompetenz auf die Länder werde im Strafvollzug einen "Schäbigkeitswettbewerb" auslösen, erweise sich - wenn man beispielsweise nach Bayern blicke - als "haltlose Unterstellung".
Anderer Auffassung war Klaus Lange-Lehngut, Leiter der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel. Er sprach sich dezidiert gegen eine Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz im Strafvollzug an die Länder aus. Er appellierte an die Abgeordneten, sie dürften es im Interesse des Schutzes der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten nicht hinnehmen, dass sich unsere Gesellschaft auf ein Vorhaben einlasse, das absehbar jeden von uns der erhöhten Gefahr, Opfer eines Straftat zu werden, aussetze. Er fürchte, so Lange-Lehngut, dass angesichts der Finanzlage der Länder das Strafvollzugsrecht nicht weiterentwickelt werde. Die Folge könne sein, "dass im geschlossenen Vollzug wieder Schlafsäle für acht, zehn oder 20 Gefangene eingerichtet werden, wenn nur eine abgetrennte Nasszelle vorhanden ist". Weitere negative Folgen könnten sein, dass eine Negativliste von Straftatbeständen eingeführt werde, die Gefangene ungeeignet machten, in den offenen Vollzug verlegt oder dort von Anfang an aufgenommen zu werden. Ferner müsse befürchtet werden, dass das Personal - die wichtigste Einsparmöglichkeit der Länder - gekürzt werde. Dies hätte zur Folge, dass wieder Verwahrvollzug mit Nachtverschluss um 17 Uhr eingeführt werde. Lange-Lehngut prophezeite für diesen Fall, dass es Unruhen in den Anstalten geben werde.
Professor Manfred Seebode von der Universität Leipzig sprach sich ebenfalls gegen die Neuregelung aus. Er war der Meinung, die vorgesehene Neuregelung erschwere die Arbeit der ohnehin schon überlasteten Strafjustiz und ihres Vollzuges. Insbesondere die länderübergreifende Zusammenarbeit und die Effizienz der Justiz würden nicht gesteigert, sondern wegen zusätzlicher praktischer Schwierigkeit beeinträchtigt. Bundeseinheitliches Strafrecht müsse bundeseinheitlich umgesetzt werden. Seebode fand im Übrigen, der Verzicht des Gesetzentwurfs auf eine fachliche Begründung der vorgeschlagenen Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug an die Länder sei "bedauerlich und ungewöhnlich".
Gleicher Meinung war Professor Bernd Maelicke von der Universität Lüneburg: Die Zuständigkeit des Bundes für den Strafvollzug müsse erhalten bleiben. Das entsprechende Gesetz hätte sich in der Praxis grundlegend und weitgehend bewährt. Er kritisierte, dass die zuständigen Gremien (Justizministerkonferenz und Strafvollzugausschuss) bisher nicht beteiligt wurden, eine Fachdiskussion und eine öffentliche Debatte seien nicht ermöglicht worden. Für die Bundesvereinigung der Anstaltsleiterinnen und Anstaltsleiter im Justizvollzug e.V. warnte deren Vorsitzender Klaus Winchenbach ebenfalls dringend vor einer Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug an die Länder.
Die vom Bundesrat eingeladenen Experten waren unterschiedlicher Meinung. Thomas Aumüller, Präsident des Landgerichts Darmstadt, war der Ansicht, die Übertragung der Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug an die Länder knüpfe an die fachliche und organisatorische Kompetenz an und sei deshalb folgerichtig. Professor Gerhard Robbers von der Universität Trier war ebenfalls der Meinung, die Übertragung des Strafvollzugsrechts an die Länder könne durchaus verantwortet werden. Hans Herbert Moser von der Justizvollzugsanstalt München äußerte hingegen eine gegenteilige Ansicht: Deutschland hätte "mit dem bundeseinheitlichen Strafvollzugsgesetz eine fundierte Basis für unsere vollzugliche Arbeit". Das Gesetz biete auch genügend Spielraum für die länderspezifische Ausgestaltung des Vollzuges.
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