Schapper: Kurnaz galt 2002 als Gefährder
Berlin: (hib/KOS) Nach Angaben von Claus Henning Schapper hat die frühere Bundesregierung den USA im Herbst 2002 nicht zu verstehen gegeben, den fälschlicherweise unter Terrorverdacht mehrere Jahre auf Guantanamo inhaftierten Bremer Türken Murat Kurnaz in dem US-Gefangenenlager zu belassen. Wie der Ex-Innenstaatssekretär am Montag vor dem Untersuchungsausschuss erklärte, habe es damals auch kein Angebot der USA gegeben, Kurnaz nach Deutschland zu überstellen. Seinerzeit sei vielmehr festgelegt worden, den Türken wegen Sicherheitsbedenken im Falle einer auf US-Seite erwogenen, aber dann nicht vollzogenen Freilassung nicht nach Deutschland einreisen zu lassen und dies der völkerrechtlich zu einer Aufnahme ihres Staatsbürgers verpflichteten Türkei zu überantworten. Laut Schapper wurde diese Meinung am 29. Oktober 2002 bei einer Sitzung der Geheimdienstspitzen und mehrerer Staatssekretäre im Beisein des ehemaligen Kanzleramtschefs und heutigen Außenministers Frank-Walter Steinmeier einhellig vertreten. Zum Abschluss der für Montag anberaumten Zeugenvernehmungen zum Fall Kurnaz wollte der Ausschuss auch den früheren Außenminister Joschka Fischer (Grüne) befragen.
Schapper verwahrte sich gegen manche Medienberichte ("Da kann ich nur den Kopf schütteln"), wonach im Herbst 2002 seelenlose Technokraten schulterzuckend ein Freilassungsangebot der USA trotz erwiesener Harmlosigkeit von Kurnaz ausgeschlagen und so dessen Inhaftierung auf Guantanamo verlängert hätten. Der ehemalige Staatssekretär verwies auf die damalige Einschätzung der Geheimdienstspitzen, wonach der Türke als Gefährder einzustufen sei. Auf diese Einordnung habe sich die Regierung verlassen und deshalb beschlossen, als präventive Maßnahme eine Einreisesperre gegen den Betroffenen zu verhängen. Dies bedeute im Übrigen nicht, dass Kurnaz ein Terrorist sei. Er selbst, so Schapper, habe sich nicht im Detail mit den Gründen befasst, die zur Einschätzung des Bremers als eines Sicherheitsrisikos führten. Die Runde im Kanzleramt sei vom seinerzeitigen BND-Chef August Hanning nicht darüber unterrichtet worden, dass nach einem Verhör von Kurnaz auf Guantanamo ein BND-Vernehmer zur Auffassung gelangt war, der Türke könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als ungefährlich gelten.
Der Ex-Staatssekretär kritisierte das Urteil des Bremer Verwaltungsgerichts vom Herbst 2005 als falsch, das die weitere Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis für Kurnaz bestätigt hatte. Nach Auffassung des Bundesinnenministeriums vom Herbst 2002 war die Aufenthaltsberechtigung des Ende 2001 in Pakistan festgenommenen Türken erloschen, weil er sich länger als sechs Monate im Ausland aufgehalten hatte. Den USA, so Schapper, sei mitgeteilt worden, dass deshalb eine Überstellung von Kurnaz nach Deutschland nicht möglich sei. Wäre eine Einreisesperre auf diesem Weg nicht möglich gewesen, hätte man seinerzeit eine Ausweisung von Kurnaz wegen seiner Einstufung als Gefährder prüfen müssen.
Vor Schapper hatte Hans-Georg Maaßen als damaliger Referatsleiter für Zuwanderung und Ausländerrecht erläutert, wieso man im Innenministerium vom Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis ausgegangen sei. Der Zeuge sprach davon, dass im Herbst 2002 eine mögliche Entlassung von Kurnaz im Raum gestanden habe und man für diesen Fall dessen Einreise in die Bundesrepublik habe verhindert wollen. Den schon vielfach geäußerten Vorwürfen, der Türke sei ja wegen seiner Inhaftierung auf Guantanamo zwangsweise außer Landes gewesen, trat Maaßen mit dem Hinweis entgegen, beim automatischen Erlöschen einer Aufenthaltsberechtigung wegen eines mehr als halbjährigen Auslandsaufenthalts spielten die Gründe für diese Abwesenheit nach dem Gesetz keine Rolle. Dies gelte auch für eine unfreiwillige Abwesenheit. Der Zeuge bestätigte, dass das Innenministerium US-Stellen habe bewegen wollen, mit Hilfe eines entsprechenden Stempels im Pass von Kurnaz dessen Aufenthaltstitel "physikalisch ungültig" zu machen. Maaßen wusste allerdings nicht zu sagen, was aus diesem über das Bundesamt für Verfassungsschutz an die USA herangetragenen Begehren dann geworden ist. Wie Schapper kritisierte auch Maaßen das Urteil des Bremer Verwaltungsgerichts zur Fortdauer der Aufenthaltsberechtigung von Kurnaz, das der zuvor gefestigten Rechtsprechung verschiedener Gerichte widerspreche.
Zu dem Hinweis in seinem seinerzeitigen Vermerk zum Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis, im Falle öffentlicher Empörung über diesen Schritt wegen der Inhaftierung von Kurnaz auf Guantanamo solle man die Schuld dem Anwalt des Türken zuschieben, sagte der Zeuge, diese Passage sei vermutlich einer anderen Abteilung des Innenressorts zuzuschreiben.
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