Zeugenvernehmung wegen fehlender Akten demonstrativ ausgesetzt
Berlin: (hib/KOS) Auf spektakuläre Weise hat der Untersuchungsausschuss dagegen protestiert, dass dem Gremium die schon vor Wochen angeforderten Akten des Bremer Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) zum Fall Murat Kurnaz bis heute noch nicht vorliegen: Einstimmig beschlossen die Abgeordneten am Donnerstag, die für heute vorgesehene Befragung mehrerer Zeugen wie des BND-Präsidenten Ernst Uhrlau und seines Vorgängers, des heutigen Innen-Staatssekretärs August Hanning, auszusetzen und um eine Woche zu verschieben. Somit kann Außenminister Frank-Walter Steinmeier nicht wie ursprünglich geplant am 8. März aussagen.
Der Ausschuss-Vorsitzende Siegfried Kauder (CDU): "Die Zeugenvernehmung setzt Aktenkenntnis voraus." Die Unterlagen des Bremer LfV spielen eine zentrale Rolle bei der Frage, ob Kurnaz im Jahr 2002 zu Recht oder zu Unrecht als Gefährder eingestuft worden ist. Wegen dieser damaligen Einschätzung als potenzielles Sicherheitsrisiko war im Herbst 2002 eine "Präsidentenrunde" mit den Geheimdienstspitzen und mehreren Staatssekretären unter der Verantwortung des damaligen Kanzleramtschefs Steinmeier zu der Auffassung gelangt, den Guantanamo-Gefangenen im Falle einer Freilassung durch die USA nicht nach Deutschland einreisen zu lassen. Der aus Bremen stammende Türke, der laut Aussage von LfV-Chef Walter Wilhelm vor dem Ausschuss im Rückblick zwar als Islamist, aber nicht als Terrorist oder Gefährder einzuordnen ist, war nach seiner Festnahme Ende 2001 in Afghanistan über Pakistan nach Guantanamo gebracht und dort von Februar 2002 bis August 2006 inhaftiert worden.
Der Beschluss zur Verschiebung der Zeugenanhörung wurde auf Vorschlag Kauders getroffen. Zuvor hatten die drei Oppositionsabgeordneten die nichtöffentliche Sitzung unterbrochen, um den entsprechenden Druck zu verstärken. SPD-Obmann Thomas Oppermann führt die immer noch nicht vollzogene Übermittlung der LfV-Akten lediglich auf verwaltungsinterne Probleme in Bremen zurück. Die Opposition hingegen argwöhnt, dem Ausschuss sollten möglicherweise jene Aktenpassagen vorenthalten werden, welche die Stichhaltigkeit der 2002 zur Begründung der damals vermuteten Gefährlichkeit von Kurnaz herangezogenen LfV-Informationsquellen in Frage stellen. Aus Oppermanns Sicht geht im Bremer Innensenat "offenbar viel durcheinander". Der SPD-Politiker bezeichnete das Bremer LfV als "Minibehörde mit einem überforderten Chef", deren Zusammenlegung mit dem niedersächsischen Verfassungsschutz geprüft werden solle. Die Verzögerung bei der Aktenweiterleitung ist für Oppermann eine "Dummheit".
Nach Erkenntnissen der Opposition "schwirren die Akten schon seit einiger Zeit in Berlin herum", so der FDP-Abgeordnete Max Stadler. Der Liberale bezweifelt, dass der Ausschuss die LfV-Unterlagen vollständig erhalten werde. Sollte sich nämlich nach deren Analyse zeigen, auf welch dünner Grundlage 2002 die Einreisesperre gegen Kurnaz verhängt worden sei, "dann könne man das Vertrauen in den Rechtsstaat verlieren". Bei der Vernehmung von LfV-Chef Wilhelm hatte die Opposition bereits kritisiert, dass sich die Informationen, die der Verfassungsschutz vor fünf Jahren zur Untermauerung des damals von Kurnaz angeblich ausgehenden Sicherheitsrisikos angeführt habe, lediglich auf "Hörensagen" (Stadler) und auf "Gerede im Umfeld einer Moschee" (der Grüne Hans-Christian Ströbele) gestützt hätten. Am heutigen Donnerstag sagte Ströbele, die LfV-Akten würden dem Ausschuss nicht von Bremer Seite, sondern vom Bundesinnenministerium vorenthalten. Der Grüne äußerte die Befürchtung, Teile der Unterlagen könnten in diesem Ressort zensiert werden.
Wolfgang Nescovic von der Linkspartei nannte die demonstrative Aussetzung der Zeugenvernehmung einen "Sieg der Vernunft", Ströbele sprach von einer "Ohrfeige für die Bundesregierung", für CDU-Obmann Hermann Gröhe dokumentiert dieser Beschluss den "entschiedenen Aufklärungswillen" des Ausschusses. Nescovic unterstrich die gemeinsame Absicht von FDP, Linkspartei und Grünen, angesichts der Erfahrungen im Untersuchungsausschuss über eine Klage beim Bundesverfassungsgericht die Informationsrechte der Opposition in solchen Gremien ausbauen zu wollen.
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