"DAS PARLAMENT": Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung warnt vor neuer Sorglosigkeit im Umgang mit Aids
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 26. März 2007)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung -
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Köln warnt vor einer neuen Sorglosigkeit im Umgang mit der Immunschwächekrankheit Aids. Die Direktorin der BZgA, Elisabeth Pott, sagte in einem vorab veröffentlichten Interview der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 26. März 2007), das Bewusstsein in der Bevölkerung für die Gefahren, die von Aids ausgehen, sei rückläufig. „Vor zehn Jahren hielten 60 Prozent der Deutschen Aids für eine der gefährlichsten Krankheiten; heute sind es nur noch 30 Prozent. Das sind zu wenige“, betonte Pott. Als eine Ursache für das nachlassende Gefahrenbewusstsein nannte sie den „irrigen Glauben, Aids sei eine ganz normale chronische Erkrankung geworden“. Trotz der Behandlungsverbesserungen der vergangenen Jahre gebe es „nach wie vor keine Aussicht auf Heilung. Wer einmal infiziert ist, wird es bleiben.“
Der Bundestag beschäftigt sich an diesem Freitag mit dem Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Aids. Aus diesem geht hervor, dass in Deutschland die Infektionszahlen wieder ansteigen. Im vergangenen Jahr haben sich den Angaben zufolge 2.700 Menschen neu mit dem HI-Virus angesteckt, das waren rund 200 mehr als noch 2004.
Die BZgA-Direktorin sagte, trotz eines weit verbreiteten Basiswissens unter Jugendlichen über die wichtigsten Infektionsrisiken gebe es „Lücken in Detailfragen“. So wisse jeder fünfte Jugendliche nicht, dass man sich auch bei Sexualpartnern anstecken kann, bei denen die Krankheit nicht ausgebrochen ist. Es sei daher eine vordringliche Aufgabe, den nachwachsenden Generationen „immer wieder zu vermitteln, wie wichtig es ist, sich vor Aids zu schützen“.
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Interview in „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 26. März 2007)
mit der Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Dr. Elisabeth Pott
Wortlautfassung
Das Parlament: Nach 20 Jahren Aufklärung sind HIV und Aids keineswegs verbannt, eher im Gegenteil: Seit 2000 verzeichnet das Robert-Koch-Institut eine ständig steigende Zahl von HIV-Neuinfektionen in Deutschland; 2006 zum Beispiel um 20 Prozent. Hat die Aids-Aufklärung versagt?
Elisabeth Pott: Nein, wir wissen, dass unsere Aufklärungsarbeit bereits mehrere 10.000 Neuinfektionen verhindert hat. Der Anstieg der Zahlen ist zugegebenermaßen Besorgnis erregend - aber verantwortlich dafür ist ein ganzes Bündel von Ursachen.
Das Parlament: Was sind das für Ursachen?
Pott: Erstens: Wir leben nicht auf einer einsamen Insel, sondern in einer Welt, in der der Austausch mit Menschen aus Ländern, in denen HIV und Aids verbreiteter sind, ständig zunimmt. 40 Millionen mal im Jahr reisen deutsche Urlauber ins Ausland; gleichzeitig kommen Reisende wie Zuwanderer aus Afrika, aber auch aus Osteuropa, wo wir einen beunruhigenden Anstieg der Infektionen beobachten, nach Deutschland.
Zweitens sind auch andere sexuell übertragbare Krankheiten wie Syphillis wieder auf dem Vormarsch. Für die HIV-Infektion sind sie so genannte "Co-Faktoren" – das heißt, dass diese Krankheiten sonst wirksame Schutzbarrieren des Körpers verletzen und er anfälliger für das HI-Virus wird. Drittens ist aber auch richtig, dass das Bewusstsein für die Gefahren, die von Aids ausgehen, in der Bevölkerung Deutschlands rückläufig ist. Vor zehn Jahren hielten 60 Prozent der Deutschen Aids für eine der gefährlichsten Krankheiten; heute sind es nur noch 30 Prozent. Das sind zu wenige.
Das Parlament: Welche Gefahr geht denn noch von Aids aus? In den vergangenen Jahren konnte man zuweilen den Eindruck gewinnen, die einst tödliche Krankheit sei behandelbar geworden.
Pott: Das stimmt – einerseits. Richtig ist, dass sich vor allem in der westlichen Welt die Behandlungsmöglichkeiten verbessert haben. Dänische Forscher haben jüngst nachgewiesen, dass HIV-Infizierte bei der richtigen Medikamentierung eine Lebenserwartung von 25 Jahren und mehr haben können. Andererseits ist aber wichtig zu wissen: Es gibt nach wie vor keine Aussicht auf Heilung. Wer einmal infiziert ist, wird es bleiben. Auch die Nebenwirkungen, die die regelmäßige Einnahme der sehr wirksamen Aids-Medikamente nahezu zwangsläufig mit sich bringt, sollte man nicht unterschätzen. In jüngster Zeit stoßen Ärzte außerdem immer häufiger auf HI-Viren, die bereits Resistenzen entwickelt haben. Auch das ist eine gefährliche Entwicklung.
Das Parlament: Woran liegt es, dass die Bevölkerung immer sorgloser mit der Gefahr einer Erkrankung umgeht?
Pott: Der irrige Glaube, Aids sei eine ganz normale chronische Erkrankung geworden, hat damit sicher zu tun. Wir drohen aber auch in etwas zu tappen, was man als "Präventionsfalle" bezeichnen könnte. Weil wir seit Mitte der 80er-Jahre die Bevölkerung ausgesprochen erfolgreich über Risiken und Übertragungswege aufgeklärt haben, ist die Infektionsrate in Deutschland erfreulich niedrig. Im europäischen Vergleich stehen nur Schweden, Norwegen und Dänemark besser da. Aber genau weil die Infektionsrate so erfreulich niedrig ist, sagen sich viele heute: Aids? Das ist doch bei uns kein Problem. Das stimmt aber so nicht: Auch in Deutschland leben etwa 50.000 Menschen mit dem HI-Virus. Jedes Jahr kommen rund 2600 neue Infektionen hinzu.
Das Parlament: Wer lebt heute risikoreicher als vor zehn Jahren?
Pott: Das zieht sich durch alle Gruppen. Erwachsene und ältere Menschen, die die "Hochphase" von Aids erlebt haben, verzichten wieder eher auf das Kondom, weil sie meinen und darüber froh sind, dass es wieder ohne geht.
Und vielen Jugendlichen fehlt die Erfahrung der gleichsam allgegenwärtigen Bedrohung der 80er- und 90er-Jahre – das Gefühl: „Aids geht jeden an - und kann jeden treffen.“ Aus Untersuchungen wissen wir, dass nur 60 Prozent der 16- bis 20-Jährigen beim Sex regelmäßig ein Kondom benutzen. Weitere 20 Prozent nutzen es manchmal, aber eben nicht immer.
Das Parlament: Sind die Jugendlichen denn über die Gefahren der Ansteckung ausreichend informiert?
Pott: Ja, nahezu 100 Prozent haben das notwendige Basiswissen über die wichtigsten Infektionsrisiken. Aber es gibt Lücken bei Detailfragen. So weiß jeder und jede fünfte Jugendliche zum Beispiel nicht, dass man sich auch bei Sexualpartnern anstecken kann, bei denen die Krankheit nicht ausgebrochen ist.
Das Parlament: Ist das Thema auch mehr als 20 Jahre nach der Ankunft in Deutschland noch nicht in den Schulen und Lehrplänen angekommen?
Pott: Doch, im Prinzip ist die Entwicklung recht erfreulich. Heute bekommen mehr als 90 Prozent der Schüler Sexualkunde-Unterricht; das sind wesentlich mehr als früher. Was wir aber nicht wissen, ist, wie praxisnah und interaktiv welche Inhalte dort vermittelt werden – also beispielsweise ob dort die alles entscheidende Frage bei der Verhütung von Aids wie auch Schwangerschaften behandelt wird: Wie kommuniziere ich, dass ich ein Kondom benutzen oder benutzen lassen möchte? Intime Kommunikation ist etwas ganz Schwieriges – das muss und kann man lernen. Nur dann wird Prävention nicht Ausnahme, sondern Routine.
Das Parlament: Inwieweit erreicht die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung noch die deutschen Wohnzimmer? Früher hatte man das Gefühl, der Stimme, die quer durch die Drogerie "Was kosten die Kondome?" krähte, nach dem Anschalten des Fernsehers kaum entkommen zu können.
Pott: Das war auch einmal so! In den 90er-Jahren haben unsere Fernsehspots 90 Prozent der Bevölkerung erreicht. Als das Interesse an dem Thema zurückging waren leider auch die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender weniger bereit, unentgeltlich Plätze zur besten Sendezeit zur Verfügung zu stellen. Zu Beginn dieses Jahrtausends erreichten die Spots dann nur noch dreißig Prozent der Bevölkerung. Inzwischen ist es uns gelungen, auch mit den privaten Sendern stärker zu kooperieren. Nach wie vor wichtig für uns sind die bundesweiten Plakate, die aber immer nur eine Erinnerungswirkung haben können.
Das Parlament: Wie hat sich das Budget für die Aids-Aufklärung in der Bundeszentrale entwickelt?
Pott: Gestartet sind wir vor genau 20 Jahren mit einem Jahresetat von 50 Millionen Mark. Nach und nach schmolz dieser Etat dann bis auf gut neun Millionen Euro zusammen. Seit 2005 beteiligen sich die privaten Krankenversicherer erfreulicherweise mit einem Zuschuss von 3,4 Millionen im Jahr. Und seit 2007 hat die Bundesregierung unseren Etat auf zwölf Millionen Euro erhöht, so dass uns in diesem Jahr gut 15 Millionen Euro zur Verfügung stehen.
Das Parlament: Der Bundestag hat in der vergangenen Woche zwei Anträge behandelt, in denen unter anderem eine größere Bandbreite spezifischer Angebote vor allem für Zuwanderer gefordert wird.
Pott: In der Tat benötigen wir mehr zielgruppenspezifische Angebote - aber genau deswegen kann es eine Kampagne für "die Zuwanderer" nicht geben, weil es nämlich "die" sehr individuellen Zuwanderer als einheitliche Gruppe nicht gibt.
Um Migranten und Migrantinnen zu erreichen, müssen Sie eine Vielzahl von Ansätzen verfolgen, die nicht nur auf die sprachlichen, sondern auch auf die jeweiligen kulturellen und religiösen Besonderheiten eingehen. Außerhalb der überregionalen Medien verfolgen wir bereits heute eine Reihe passgenauer Informations- und Präventionsangebote.
Das Parlament: Was sind die größten Herausforderungen der Zukunft?
Pott: Erstens: Den nachwachsenden Generationen immer wieder zu vermitteln, wie wichtig es ist, sich vor Aids zu schützen. Zweitens: Verstärkt auch die zu erreichen, die gemeinhin als schwer erreichbar gelten: Menschen, die wenig lesen und über ein geringes Bildungsbewusstsein verfügen, oder auch Menschen mit Migrationshintergrund.
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