"DAS PARLAMENT": Deutsche Krebshilfe für komplettes Rauchverbot
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 30. April 2007)
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Deutsche Krebshilfe für komplettes Rauchverbot
Die Deutsche Krebshilfe dringt auf einen strikten Nichtraucherschutz. Die Präsidentin der Organisation, Dagmar Schipanski, setzte sich in einem Interview der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 30. April) dafür ein, ein Rauchverbot bundeseinheitlich im Arbeitsschutzgesetz zu verankern. Eine entsprechende Initiative der Grünen sei „gerechtfertigt“. Das CDU-Bundesvorstandsmitglied sagte: „Ich bin für ein komplettes Rauchverbot nicht nur in Restaurants, sondern auch in Kneipen.“ Die Gesundheit sei ein Gut der Bevölkerung, und der Staat sei dafür zuständig, dieses Gut zu schützen. „Er muss endlich gesetzliche Maßnahmen erlassen“, so die Krebshilfe-Präsidentin.
Sie verwies auf eine wissenschaftliche Untersuchung des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg zur Feinstaubbelastung. Derzeit seien 50 Mikrogramm Feinstaubkonzentration pro Kubikmeter Luft im Freien zugelassen. Liege der Wert darüber, würden Fahrverbote erlassen. „Aber wenn man in einem geschlossenen Raum drei bis fünf Zigaretten abbrennt, führt das zu einer Feinstaubkonzentration von bis zu 1.000 Mikrogramm pro Kubikmeter“, sagte Schipanski.
Zugleich forderte sie ein vollständiges Verbot von Tabakwerbung. „Die Tabakwerbung ärgert mich wahnsinnig. Sie ist unverantwortlich. Es ist unglaublich, dass die verschiedenen Bundesregierungen noch nichts dagegen unternommen haben“, betonte Schipanski.
Den volkswirtschaftlichen Schaden des Rauchens bezifferte die Präsidentin der Krebshilfe auf 40 Milliarden Euro pro Jahr. Krebserkrankungen seien sehr teuer, fügte sie hinzu. Allein 140.000 Menschen erkrankten pro Jahr an Herz-Lungen-Krankheiten und verschiedenen Krebsarten wie Lungen- und Kehlkopfkrebs sowie Krebs des Rachenraums. Allerdings sprach sich Schipanski dagegen aus, dass Raucher bei den Gesundheitskosten stärker zur Kasse gebeten werden. „Ich bin für ein Anreizsystem und nicht für ein Bestrafungssystem“, unterstrich sie.
Gerda Schipanski, Professorin für Festkörperelektronik, ist seit Juli 2004 Präsidentin des Thüringer Landtags. Seit 2000 ist sie Präsidentin der Deutschen Krebshilfe.
Das Interview im Wortlaut:
Frau Schipanski, die Bundesregierung plant ein grundsätzliches Rauchverbot in allen Einrichtungen des Bundes, in öffentlichen Verkehrsmitteln und auf Bahnhöfen. Wie sehen Sie die Chancen für einen umfassenden Nichtraucherschutz?
Dagmar Schipanski: Es ist richtig, dass der Bund jetzt endlich die Initiative ergreift. Allerdings müssen die Länder entsprechend nachziehen. Mich stimmt die Diskussion im Bundesrat, die kürzlich geführt worden ist, aber zuversichtlich. Ich hoffe, dass Bundestag und Bundesrat zu einer einheitlichen Regelung kommen werden.
Was erhoffen Sie sich von dem Bundesgesetz, das vermutlich am 1. September in Kraft treten wird?
Dagmar Schipanski: Ich hoffe, dass Nichtraucher umfassend geschützt werden und dass dadurch auch die Zahl von Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückgeht.
Die Grünen verlangen, ein wirksames Rauchverbot im Arbeitschutzgesetz zu verankern. Bislang hat der Bund sich für nicht zuständig erklärt. Wie sehen Sie den Vorstoß der Grünen?
Dagmar Schipanski: Die Initiative der Grünen ist gerechtfertigt. Schließlich geht es um die Gesundheit der gesamten Bevölkerung. Ich bin für ein komplettes Rauchverbot nicht nur in Restaurants, sondern auch in Kneipen. Schließlich muss man auch an das Personal denken, das dort arbeitet.
Wie kommt es, dass die meisten Initiativen immer wieder im Sand verlaufen?
Dagmar Schipanski: Viele Politiker rauchen selbst und wollen sich keine Schranken setzen. Für viele gehört die Zigarette zum Bier. Aber auch in Deutschland ist die Diskussion nun in Schwung gekommen. Seit zwei Jahren gibt es vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg eine wissenschaftliche Untersuchung zur Feinstaubbelastung. Derzeit sind 50 Mikrogramm Feinstaubkonzentration pro Kubikmeter die Höchstgrenze, die im Freien zugelassen sind. Liegt der Wert darüber, erlassen wir Fahrverbote und andere Regelungen. Aber wenn man in einem geschlossenen Raum drei bis fünf Zigaretten abbrennt, führt das zu einer Feinstaubkonzentration von bis zu 1000 Mikrogramm pro Kubikmeter. Allein aus diesem Grund hat sich für die Gesetzgeber der Handlungsdruck erhöht. Es ist außerdem nachgewiesen, dass bestimmte Stoffe im Tabakstaub wie etwa Benzole krebserzeugend sind.
In anderen Länder wie Frankreich und Italien gelten strikte gesetzliche Rauchverbote. Warum hinken wir so hinterher?
Dagmar Schipanski: Die Deutschen sind in der Anwendung wissenschaftlicher Ergebnisse immer zögerlich. Nicht umsonst wird beklagt, dass es uns auch auf anderen Feldern nicht gelingt, wissenschaftliche Ergebnisse sofort in die Produktion einfließen zu lassen, sie also zu nutzen. Beim Thema Rauchen betone ich aber zusätzlich: Die Gesundheit ist ein Gut der Bevölkerung und der Staat ist dafür zuständig, dass er dieses Gut schützt. Er muss endlich gesetzliche Maßnahmen erlassen.
Was könnten das für gesetzliche Maßnahmen sein?
Dagmar Schipanski: Die Tabakwerbung ärgert mich wahnsinnig. Sie ist unverantwortlich. Es ist unglaublich, dass die verschiedenen Bundesregierungen noch nichts dagegen unternommen haben. Ich bin besonders oft auf Landstraßen und Autobahnen unterwegs. Ständig lacht mich da ein Cowboy oder ein besonders schönes Mädchen an. Die Werbung vermittelt das Gefühl, Raucher sind anders, sie sind lässig, sie sind toll. Doch in der Wirklichkeit landen die Menschen im Krankenhaus – Diagnose Krebs. Tabakwerbung muss komplett verboten werden.
Hat das Zögern des Gesetzgebers auch damit zu tun, dass der Einfluss der Tabaklobby in Deutschland zu stark ist?
Dagmar Schipanski: Dazu kann ich nichts sagen, weil mir keine Zahlen vorliegen. Es gibt allerdings eindeutige Zahlen aus den USA über den Einfluss der Tabaklobby.
Aber es gibt auch hier immer wieder Veranstaltungen des Verbandes der Zigarettenindustrie, wo sich Spitzenpolitiker recht jovial zum Thema Rauchen äußern...
Dagmar Schipanski: Ich will weder den Verband der Zigarettenindustrie noch meine Kollegen kritisieren. Ich habe solche Veranstaltungen nicht besucht.
Viele Menschen, vor allem Frauen, greifen gerne zu angeblich leichteren Zigaretten, weil sie glauben, die sei weniger schädlich. Stimmt das?
Dagmar Schipanski: Heute ist die Bezeichnung "light" verboten. Die selben Produkte haben jedoch andere Namen. Diese Zigaretten sind genauso gefährlich wie die nicht besonders gekennzeichneten Zigaretten. Auch in den angeblich leichteren Zigaretten sind mehr als 40 krebserregende Stoffe, die im Tabak enthalten sind. Und auch die Feinstaubbelastung ist nicht geringer.
Wie viele Menschen erkranken im Jahr an Krebs als Folge des Rauchens?
Dagmar Schipanski: 140.000 Menschen pro Jahr erkranken an Herz-Lungen-Krankheiten und verschiedenen Krebsarten wie Lungen- und Kehlkopfkrebs und Krebs des Rachenraums.
Kinder können sich am wenigsten dagegen wehren, wenn ihre Eltern rauchen. Wie wirkt es sich auf Kinder gesundheitlich und auch psychosozial aus, wenn sie in einer "Raucherfamilie" aufwachsen?
Dagmar Schipanski: Die Auswirkungen sind groß. Die Kinder leiden an Konzentrationsstörungen und sind für Asthma und Erkältungskrankheiten sehr anfällig, weil ihr Gesamtzustand letztendlich geschädigt ist. Die Kinder haben kaum eine Chance, sich dagegen zu wehren. Die Deutsche Krebshilfe fördert den Wettbewerb „Be smart, don`t start“.
Kürzlich war ich in einer Schulklasse und da war ein Kind, das erzählte: „Ich sage meinen Eltern, dass ich Rauch nicht riechen kann und sie bitte raus gehen sollen.“ Aber um so etwas zu sagen, braucht man ganz schön viel Mut. Die meisten Kinder werden sich kaum gegen ihre Eltern durchsetzen können. Wir unterstützen ganz intensiv, dass Schulklassen sich selbst verpflichten, nicht zu rauchen und so indirekt auch auf ihre Eltern einwirken.
Die Deutsche Krebshilfe versteht sich als Anwalt der Krebspatienten. Was sind die wichtigsten Anliegen und Fortschritte?
Dagmar Schipanski: Wir sind sehr intensiv in der Prävention tätig. Außerdem wollen wir auch denjenigen helfen, die sich das Rauchen abgewöhnen wollen. Schon fünf Jahre nach einem konsequenten Rauchstopp haben sich fast alle körperlichen Schäden wieder zurückgebildet. Das Lungenkrebsrisiko ist nach zehn Jahren wieder auf dem Niveau eines Nichtrauchers. Außerdem erforschen wir die Zusammenhänge von Rauchen und Krebs und treiben intensiv Therapie- und Diagnosemöglichkeiten voran. Jeder zweite Krebspatient wird heute bereits geheilt. Bei Kindern sind es zwei von dreien. Für diese Maßnahmen brauchen wir allerdings Geld, viel Geld. Derzeit bekommen wir im Jahr rund 83 Millionen Euro.
Wie hoch ist der Schaden, den Rauchen der Volkswirtschaft insgesamt zufügt und wie setzen sich die Posten zusammen?
Dagmar Schipanski: Der volkswirtschaftliche Schaden beträgt insgesamt etwa 40 Milliarden Euro pro Jahr. Denn Krebserkrankungen sind sehr teuer.
Sollten Raucher und andere Gruppen wie Extremsportler, Übergewichtige und Alkoholabhängige von den Krankenkassen stärker zur Kasse gebeten werden als Nichtraucher?
Dagmar Schipanski: Ich bin für ein Anreizsystem und nicht für ein Bestrafungssystem. Man sollte die Prävention unterstützen, Sportmöglichkeiten anbieten sowie in Ernährungsfragen beraten.
In Amerika ist Rauchen gesellschaftlich nicht nur öffentlich verboten, Raucher werden auch stigmatisiert. Werden wir bald amerikanische Verhältnisse bekommen? Und ist das gut?
Dagmar Schipanski: Ich wünsche mir für unser Zusammenleben in Deutschland, dass wir vor allem die gegenseitige Rücksichtnahme in den Vordergrund stellen. Und gegenseitige Rücksichtnahme heißt, nicht zu rauchen, wenn ich andere damit störe.
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