Wortlaut der Reden
Ingrid Matthäus-Maier, SPD | Lothar de Maizière, CDU/CSU >> |
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Grundlage der heutigen Debatte ist der Einigungsvertrag. Dort heißt es: Hauptstadt Deutschlands ist Berlin. Die Frage des Sitzes von Parlament und Regierung wird nach der Herstellung der Einheit Deutschlands entschieden. Damit ist die Möglichkeit einer Trennung zwischen Hauptstadt einerseits und Sitz von Parlament und Regierung andererseits ausdrücklich eröffnet worden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Vor diesem Hintergrund sollten wir fair miteinander umgehen und gemeinsam feststellen: Jedermann hat das Recht, sich für Berlin einzusetzen. Jeder von uns hat aber genauso das Recht, sich für Bonn einzusetzen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Berlin-Befürworter stützen sich auf den Bundestagsbeschluß von 1949. Wir Bonn-Befürworter stützen uns auf den Bundestagsbeschluß von 1990, und deswegen kann von Wortbruch keine Rede sein, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Ich bin für eine Aufgabenteilung: Berlin als deutsche Hauptstadt mit wichtigen Funktionen, (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Zum Beispiel?) und Bonn als Sitz von Parlament und Regierung. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine wunderbare Aufteilung!) Zu unserer deutschen Identität gehört eben das doppelte Symbol: Berlin als Symbol für 40 Jahre Freiheitskampf und als Brücke zum Osten; Bonn als Verbindung zum Westen und als Symbol für die besten 40 Jahre, die die Deutschen historisch auf die Beine gebracht haben, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Ich habe die Sorge, daß wir bei der ganzen Debatte zuviel von historischen Erinnerungen und geschichtlichen Argumenten reden, und zuwenig von den Menschen und ihren tatsächlichen Problemen. Was nützt es eigentlich dem arbeitslosen Werftarbeiter in Rostock, wenn neue Regierungsbauten in Berlin entstehen? (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) Was hilft es der alleinstehenden Mutter in Dresden und dem Automobilarbeiter in Zwickau, wenn der Bundestag nach Berlin umzieht? Lieber Wolfgang Thierse, du hast gesagt, eine Entscheidung für Berlin wäre ein wunderbarer Anlaß zur Hoffnung. Solche Worte wecken in mir die Furcht, daß schon wieder neue Illusionen genährt werden, (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP) und das ist gefährlich; denn daß unerfüllbare Illusionen genährt worden sind, ist doch heute schon die schwerste Hypothek der deutschen Einheit, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ein Umzug würde in der Bonner Region große Strukturprobleme schaffen und Zigtausenden Menschen schaden. Vergessen wir nicht: Auch hier geht es um Menschen. Hier geht es nicht um den Umzug von Aktenschränken und Schreibtischen; es geht um Männer, Frauen und Kinder, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte diejenigen, die meinen, sie könnten Strukturprobleme in Berlin mit einem Umzug lösen, daran erinnern: Es gehörte noch nie zur Politik dieser Republik, daß man ein Strukturproblem in einer Region durch das Schaffen eines Strukturproblems in einer anderen Region lösen wollte. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Die Kosten eines Umzugs wären enorm. Keiner kann die Summe genau nennen. Der Bundesfinanzminister hat erschreckende Größenordnungen genannt. Einige zig Milliarden wären es auf jeden Fall. Wir müssen für die Verwirklichung der deutschen Einheit sehr viel Geld aufbringen, und das wollen wir auch. Ich will jedoch, daß wir diese Mittel in Investitionen und Arbeitsplätze, in Beschäftigungsgesellschaften und Kindergartenplätze, aber nicht in einen Umzug stecken. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Der Bundespräsident hat einmal gesagt: Wer die Finanzierbarkeit seiner Politik nicht ernst nimmt, der handelt verantwortungslos. (Zuruf von der CDU/CSU: Was hat er denn noch gesagt?) Deshalb ist es kein Krämergeist, sondern Verantwortungsbewußtsein, wenn wir warnen: Jede Mark, die in einen Umzug geht, steht für den Aufbau in Rostock, Halle und Chemnitz eben nicht mehr zur Verfügung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP -- Zuruf von der CDU/CSU: Das sind aber auch Investitionen!) Müssen wir denn nicht befürchten, daß die Bereitschaft der Bürger zu Solidarität abnimmt, wenn ihre mühsam verdienten Steuergelder in einen Umzug statt in den Aufbau der neuen Bundesländer gehen? (Zuruf von der FDP: Wohl wahr!) Mein letzter Satz: Ich appelliere an Sie: Wir haben doch so viele Probleme zu lösen. Packen wir sie mit Mut, mit Kraft und mit Energie an, aber schaffen wir uns nicht durch einen Umzug ein zusätzliches neues Problem! Wir sind ein reiches und leistungsstarkes Land, aber auch der Stärkste kann zusammenbrechen, wenn man ihm zuviel aufbürdet. Deswegen: Wählen wir den Weg der praktischen Vernunft! Entscheiden wir für Bonn! (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat Herr Abgeordneter Lothar de Maizière. |