Wortlaut der Reden
Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer, FDP | Heribert Scharrenbroich, CDU/CSU >> |
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, die Diskussion wird heute -- und nicht nur heute -- hier im Parlament, aber auch in der Öffentlichkeit deshalb so heftig geführt, weil es darum geht, welches Bild wir eigentlich von der Rolle und vom Anspruch der Bundesrepublik Deutschland in der Welt selber haben.Für mich ist die Antwort auf diese Frage ganz klar. Ich möchte, daß wir unsere Aufgabe und unsere Verantwortung mit Selbstbewußtsein und Bescheidenheit wahrnehmen. Deswegen, denke ich, ist der richtige Ort für einen Parlaments- und Regierungssitz für einen Staat, der sich in dieser Rolle sieht und sich so versteht, hier in Bonn. (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU und der SPD) Das ist für mich der Ausdruck des Maßvollen, und das erwartet in der Tat die Welt von der Bundesrepublik Deutschland. Ich habe einen Teil der Reaktionen erleben können, als am Montag in Paris angekündigt wurde, daß die nächste und mit Sicherheit die größte Luftfahrtschau, die es je gegeben hat, im nächsten Jahr in Berlin stattfinden wird. Diese Reaktionen zeigten durchaus nicht nur freudige Zustimmung zur deutschen Einheit, sondern ein Stück Sorge über die zukünftige Entwicklung, die wir, denke ich, in unserer internationalen Verantwortung ernst nehmen müssen. Aber ich bin auch davon überzeugt -- viele Gespräche in den vergangenen 20 Jahren in der ehemaligen DDR haben mir das gezeigt --, daß die Bundesrepublik auch deshalb für viele in der ehemaligen DDR so attraktiv war, weil es dort eine Kulturstadt, eine Handelsstadt Hamburg gab, weil es dort einen Bankenplatz Frankfurt gab, weil es dort eine High-Tech-Region Stuttgart und eine heimliche Hauptstadt München gab. (Dr. Dionys Jobst [CDU/CSU]: Sehr gut!) Alle diese Zentren konnten ihre Enwicklungschancen neben der Hauptstadt Bonn phantastisch und wunderbar wahrnehmen. Hier hat nichts dominiert. Das ist in der Tat die Konzeption von Föderalismus, die ich im Deutschland der Zukunft ebenfalls wünsche. (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU und der SPD) Natürlich braucht Berlin die Hilfe, auf die es angewiesen ist, und die Solidarität, die es auch beanspruchen kann, um die wirklich schwerwiegenden Auswirkungen der Teilung der vergangenen 40 Jahre überwinden zu können. Das bedeutet natürlich, lieber Kollege, der Sie vor mir gesprochen haben, daß Berlin nicht Bittsteller ist, sondern ganz selbstverständlich einen Anspruch auf diese Hilfe und diese Solidarität hat. Ich bin davon nicht nur überzeugt, sondern man muß einfach seriöserweise festhalten, daß, egal ob Berlin Regierungssitz wird oder nicht, diese finanziellen Zuwendungen über einen sehr, sehr langen Zeitraum hinweg völlig zu Recht werden fließen müssen. (Beifall der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD]) Meine Damen und Herren, es bedrückt mich, daß hier so ein bißchen die Kontroverse Ost gegen West hochgebracht wird. Deswegen frage ich mich: Von wo können wir das Zusammenwachsen eigentlich am besten fördern? Ist es tatsächlich von der symbolischen Bedeutung einer Entscheidung pro Berlin abhängig, oder sollten wir uns sinnvollerweise nicht ansehen, wie diese Frage wirtschaftlich und historisch betrachtet werden kann? Ich gebe zu -- ich glaube, das ist übrigens auch typisch für Bonn-Befürworter -, daß wir das Irren, die unterschiedlichen Meinungen immer mit einbeziehen. Deswegen sage ich: Es ist meine Einschätzung der Lage. Was mich besonders bewegt, ist die Diskussion über die historische Dimension einer Entscheidung für Berlin. Ich habe die Debatte sorgfältig verfolgt. Ich denke, sie hat ungeheuer viele rückwärtsgewandte Argumente für Berlin beinhaltet. (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU und der SPD -- Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Ich glaube, daß auch deshalb eine Trennungslinie in der öffentlichen Konzeption zwischen jung und alt deutlich wird. Während die Jüngeren in einem sehr viel größeren Umfang in Bonn ihre Zukunft sehen, ist das bei den Älteren anders. (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) Für mich ist auch nicht klargeworden, wo Kontinuität für Berlin denn nun tatsächlich anknüpft. Bei Bonn hingegen ist klar, meine Damen und Herren: Hier ist ein wirklicher Neuanfang der deutschen Geschichte gemacht worden, ohne die Geschichte auszuklammern. Wer wollte bestreiten, daß die Westintegration, die Ostverträge, die Förderung des KSZE-Prozesses und die Aussöhnung mit Israel nicht das Zeugnis dafür sind, daß in dieser Bonner Konzeption eben kein Stück deutscher Geschichte ausgeklammert worden ist, sondern daß -- im Gegenteil -- zum erstenmal eine friedensfördernde und friedenserhaltende Antwort gefunden worden ist! (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU und der SPD) Von hier aus ist nicht nur die deutsche Frage offengehalten, sondern auch die deutsche Einheit gefördert worden; die deutsche Vereinigung ist von hier aus vorbereitet worden. Natürlich hätte es die deutsche Einheit nicht ohne den Freiheitskampf der Berlinerinnen und Berliner gegeben, aber es ist genauso richtig, meine Damen und Herren, daß es die deutsche Einheit auch nicht ohne Bonn und die Bonner Republik und die Bonner Politik gegeben hätte. Deswegen sage ich, lieber Willy Brandt: der Vergleich zwischen Paris und Vichy, den Sie hier gebracht haben, diskreditiert nicht nur, sondern beleidigt geradezu Ihren eigenen Anteil an der deutschen Geschichte. (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU und der SPD) Ich bin mit Bundeskanzler Kohl und vielen hier im Hause der Meinung, daß die europäische Zukunft die osteuropäischen Staaten umfaßt. Aber wo ist das denn vorbereitet worden, wenn nicht hier, durch die Europapolitik der Bundesregierung, die in Bonn angesiedelt ist? Sollte das anders sein, wenn der Parlaments- und Regierungssitz auch in Zukunft in Bonn ist? Meine Damen und Herren, das kann im Ernst ja wohl nicht sein. Deswegen ist mir wohl klar, daß viele Menschen in den fünf neuen Bundesländern erwarten, daß eine Entscheidung für Berlin getroffen wird. Aber ich möchte ihnen auch sagen: Ein funktionsfähiges Parlament und eine funktionsfähige Regierung in Berlin ist unter zehn Jahren nicht zu haben, ein funktionsfähiges Parlament nicht unter vier Jahren. (Peter Conradi [SPD]: Mit Ihrer Verwaltung 20 Jahre!) -- Deswegen bin ich der Meinung, daß es gut wäre, wenn es uns gelingen würde, dies anders zu gestalten, Herr Kollege Conradi. -- Aber es ist eben auch völlig klar: Wenn es uns nicht gelingt, den Prozeß des deutschen Zusammenwachsens in einer kürzeren Zeit als drei Jahren zu bewältigen, dann verspielen wir die deutsche Einheit in der Tat. Deswegen bitte ich auch alle Menschen in den fünf neuen Bundesländern, sich das sorgfältig zu überlegen. Ich bin sicher, sie werden sehr bald sehen, daß Politik aus Bonn, Politik in einer menschlichen Dimension in ihrem Interesse liegt. Ich danke Ihnen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU, der SPD und des Bündnisses 90/GRÜNE) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das Wort hat der Kollege Heribert Scharrenbroich. |