Wortlaut der Reden
Freimut Duve, SPD | Karl Lamers, CDU/CSU >> |
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesem Tag und nach dieser Debatte will ich es noch einmal auch für mich ganz persönlich sagen: Ich habe mich selten so sehr in der Minderheit dieses Hauses gefühlt, derjenigen Minderheit nämlich, die nicht sagen kann, sie sei eindeutig für Bonn oder eindeutig für Berlin. Nach einigen Gesprächen und nach den vielen sehr überzeugenden Reden von heute befürchte ich, daß das vielleicht sogar die heimliche Mehrheit ist. Ich nehme viele Argumente pro Bonn sehr ernst; sie überzeugen mich. Ich nehme viele Argumente für Berlin ernst; auch sie überzeugen mich. Der Vorschlag von Herrn Geißler, alles zu trennen, überzeugt mich überhaupt nicht. Darum habe ich mir eine andere Frage gestellt: Auf welche Weise werden wir von morgen an am besten unserer parlamentarischen Aufgabe gerecht, etwa die Bundesregierung zu kontrollieren? Auf welche Weise wird unser Parlament in der Zukunft seine verfassungsrechtliche Aufgabe wahrnehmen? Wenn wir uns heute abend, meine Damen und Herren, für Bonn entscheiden, dann wird diese Republik auf Jahre hinaus unter einem ständigen Berlin-Druck stehen, und zwar zu Recht; denn es gibt eine Verfassungsverpflichtung. Das ist keine Berlin-Drohung; das ist ein Berlin-Druck, der sich aus der Verfassung ergeben wird. Dieser ständige Berlin-Druck, so scheint mir, ist schlecht für unsere zukünftige Aufgabe vor allem im Zusammenhang mit der zu vollziehenden inneren und sozialen Einigung unseres Landes. Wenn wir uns heute für Berlin entscheiden, wird diese Republik unter einem ständigen Föderalismusdruck stehen, gerade weil es Berlin ist. (Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]) Wir haben -- das will ich denen, die davor gewarnt haben, sagen -- keinen Kaiser, sondern eine Verfassung. Das ist ein entscheidender Unterschied. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Klaus-Dieter Feige [Bündnis 90/GRÜNE]) Wer aus der ganzen Vergangenheit aller historischen Jahrhunderte unseres vielgliedrigen Landes heraus argumentiert, der sagt in Wahrheit: Bonn. Das ist nämlich für unsere Geschichte viel prägender als die relativ kurze Phase Berlin. Wer aus der Zukunft heraus argumentiert, der sagt: Europa. Wer aus den Ängsten und Risiken, aus den Brüchen und Herausforderungen unserer deutschen Gegenwart heraus argumentiert, der sagt: Berlin. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Das ist meine Empfindung, nachdem ich den Debatten heute abend zugehört habe. Ich möchte noch einmal sagen, daß ich den Berlin-Antrag, dem ich zustimmen werde, inhaltlich an einem Punkt für problematisch halte. Ich bitte, dies in der Folge noch zu überdenken. Ich denke, wir brauchen eine ganz lange Zeit, bis die Arbeitsfähigkeit in Berlin hergestellt wird. Ich glaube, das geht nicht in einer und auch nicht in anderthalb Legislaturperioden. Ich meine, wir brauchen eine lange Zeit, bis die Strukturveränderung in Bonn hergestellt werden kann. Auch das geht nicht so schnell. Deshalb: Heute die klare Entscheidung und dann den Umzug wirklich ernsthaft und auf lange Frist vorbereiten. Ich danke Ihnen dafür, daß mir einige zugehört haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine Damen und Herren, das Haus hat mit beachtlicher Ruhe und Disziplin diese schwierige Debatte bis jetzt gut überstanden. Ich wäre Ihnen sehr, sehr verbunden, wenn Sie auch die letzten Redner -- denn es melden immer mehr ihre Redewünsche ab -- in Ruhe ertragen würden, und wäre dankbar, wenn die Damen und Herren wieder Platz nehmen würden. Nachdem dies offensichtlich -- jedenfalls in einem gewissen Umfang -- geschieht, erteile ich dem Abgeordneten Lamers das Wort. |