173. Sitzung
Berlin, Freitag, den 27. Juni 2008
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet, diesmal ohne Gong.
Ich bitte um Nachsicht.
Ich verstehe die Irritation, aber ich habe keinen Zweifel daran - Sie dürfen sich wieder setzen, weil wir aus diesem Anlass nicht die gesamte Plenarsitzung im Stehen durchführen wollen -, dass eine ohne Gong beginnende Parlamentssitzung unseren geschäftsordnungsrechtlichen Anforderungen im Übrigen genügt.
Ich begrüße Sie also alle ganz herzlich zur letzten Plenarsitzung des Deutschen Bundestages vor der parlamentarischen Sommerpause.
- Ganz genau; dass wir uns verständigen können, hilft gewiss für die Verhandlungen weiter.
Ich darf Ihnen zu Beginn mitteilen, dass der Ältestenrat in seiner gestrigen Sitzung vereinbart hat, während der Haushaltsberatungen ab dem 16. September 2008 keine Befragung der Bundesregierung, keine Fragestunde und auch keine Aktuellen Stunden durchzuführen. Das entspricht unserer bewährten Übung in Haushaltswochen. Ich denke, Sie werden damit einverstanden sein. - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 a bis 37 f auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen (MoRaKG)
- Drucksachen 16/6311, 16/6648 -
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Gesetzes über Unternehmensbeteiligungsgesellschaften (UBGG)
- Drucksache 16/3229 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss)
- Drucksachen 16/9777, 16/9829 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus-Peter Flosbach
Nina Hauer
Frank Schäffler
- Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/9784 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Carsten Schneider (Erfurt)
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Christine Scheel, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Innovationsfähigkeit des Standortes stärken - Wagniskapital fördern
- Drucksachen 16/4758, 16/9777, 16/9829 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus-Peter Flosbach
Nina Hauer
Frank Schäffler
c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken (Risikobegrenzungsgesetz)
- Drucksachen 16/7438, 16/7718 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss)
- Drucksachen 16/9778, 16/9821 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Nina Hauer
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Ahrendt, Carl-Ludwig Thiele, Hans-Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Optimaler Darlehensnehmerschutz bei Kreditverkäufen an Finanzinvestoren
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Karin Binder, Heidrun Bluhm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Ausverkauf von Krediten an Finanzinvestoren stoppen - Verbraucherrechte stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher beim Verkauf von Immobilienkrediten stärken
- Drucksachen 16/8548, 16/8182, 16/5595, 16/9778, 16/9821 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Nina Hauer
e) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Dr. Dagmar Enkelmann, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Arbeitnehmermitbestimmung bei Betriebsänderungen
- Drucksache 16/7533 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)
- Drucksache 16/9789 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Paul Lehrieder
f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Axel Troost, Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Beschäftigte und Unternehmen vor Ausplünderung durch Finanzinvestoren schützen
- Drucksachen 16/7526, 16/9162 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Nina Hauer
Dr. Axel Troost
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der FDP und der Linken vor. Zum Entwurf eines Risikobegrenzungsgesetzes der Bundesregierung hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Entschließungsantrag eingebracht.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Auch dazu gibt es offensichtlich Einvernehmen. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst der Kollegin Nina Hauer für die SPD-Fraktion das Wort.
Nina Hauer (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für unser wirtschaftliches Wachstum brauchen wir Investitionen. Auch Private-Equity-Fonds sind Investoren. Aber die Erfahrungen, die wir mit diesen Fonds machen, sind gemischt. Einerseits übernehmen sie Unternehmen, belasten diese mit hohen Schulden, die sie wegen der Übernahme machen mussten, und verunsichern damit Beschäftigte - es gibt Fälle, in denen Unternehmen geholfen wird, aber es gibt auch Fälle, in denen viele Arbeitsplätze verlorengehen -, andererseits fehlen Investitionen bei neuen Unternehmen, insbesondere bei jungen, technologieintensiven Unternehmen, die einen enormen Kapitalbedarf haben. Wir wollen mit den vorliegenden Gesetzen diesen beiden Problemen abhelfen. Wir wollen positive Investitionen fördern und das Risiko, das wegen der Investoren entsteht, die lediglich an kurzfristigen Renditen interessiert sind, begrenzen.
Wir haben mit dem Risikobegrenzungsgesetz große Fortschritte erreicht. Ich darf für die SPD-Fraktion sagen, dass wir besonders stolz darauf sind, dass wir jetzt eine Regelung haben, die bei börsennotierten Unternehmen schon längst greift, nämlich dass der Bieter bei der Übernahme auch die Beschäftigten über seine Ziele informieren und er den Wirtschaftsausschuss bzw. den Betriebsrat regelmäßig in die Übernahme einbinden muss. Bei den börsennotierten Unternehmen haben wir damit gute Erfahrungen gemacht. Eine Übernahme kann eher gelingen, wenn die Beschäftigten beteiligt werden. Diese Regelung haben wir in diesem Gesetzentwurf auch für die nicht börsennotierten Unternehmen festgeschrieben. Ich finde, das ist ein Erfolg.
So kann den Sorgen derjenigen begegnet werden, die Angst haben, dass ihr Unternehmen von einem Investor übernommen wird, den nur die kurzfristige Rendite interessiert. Dass diejenigen, die langfristig investieren, Beschäftigte haben, die auf ihrer Seite sind, wird dem Unternehmen sicher nutzen.
In diesem Gesetzentwurf steht auch, dass Aktionäre sagen müssen, wer sie sind. Das heißt, dass phantasiereiche Namen im Aktienregister nicht mehr ausreichen. Wer seine Identität verschweigt, wird mit Stimmrechtsentzug bestraft. Das wird dazu führen, dass Investoren, die sich ans Unternehmen anschleichen wollen, das nicht mehr ohne Weiteres tun können.
Wir schreiben in diesem Gesetzentwurf fest, dass Investoren bei wesentlichen Beteiligungen von über 10 Prozent sagen müssen, was die Ziele dieser Investition sind und vor allen Dingen, woher sie ihr Kapital haben. Damit können wir die Ungleichgewichtung zwischen Eigen- und Fremdkapital so transparent machen, dass sich das Unternehmen darauf einstellen kann, ob es neue Fremdkapitalschulden hat oder ob es Geld gibt, um neue Investitionen zu tätigen. Aus dieser Regelung können Hauptversammlungen aussteigen, wenn sie dafür eine Mehrheit haben. Das haben wir extra so gemacht, weil wir eine Option offenhalten wollen. Ich gehe aber davon aus, dass die meisten Aktionäre das nutzen werden, um ihr Unternehmen attraktiver zu machen, weil es für den Kapitalmarkt wichtig ist, dass es da Transparenz gibt.
Wir haben eine Regelung zu dem Acting-in-Concert aufgenommen. Das ist nichts anderes, als getrennt marschieren, vereint schlagen. Es ist nicht mehr zeitgemäß, davon auszugehen, dass sich Aktionäre nur auf Hauptversammlungen absprechen. Wir wissen, dass sie das auf vielfältige Weise mit modernen Kommunikationsmitteln, zum Teil auch über die Medien tun. Durch diese Regelung ist sichergestellt, dass sie auch weiter miteinander kommunizieren können, aber dass geplante Aktionen, die die Mehrheitsübernahme des Unternehmens zur Folge haben, rechtzeitig transparent gemacht werden.
Wir gehen mit diesem Gesetzentwurf auf wesentliche Punkte ein, die in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit und in der Diskussion auch von den Finanzmarktteilnehmern immer wieder als Punkte genannt worden sind, die sie rechtlich gerne anders geregelt haben möchten. Wir tun damit insgesamt nicht nur unseren Anlegern, sondern auch unserem Wachstum einen Gefallen, weil transparent gemacht wird, wie investiert wird und welche Ziele damit verfolgt werden, wodurch letztlich der Standort attraktiver gemacht wird.
Das machen wir auch mit dem zweiten vorliegenden Gesetzentwurf, dem zu Kapitalbeteiligungen. Im Jahr 2007 sind fast 70 000 Patente angemeldet worden. Viele davon werden nie Wirklichkeit. Die Produkte oder Ideen, die erfunden werden, werden nie in die Wirklichkeit umgesetzt, weil Kapital fehlt. Das kann man auch als ein Versagen des Private-Equity-Markts benennen, weil nicht in neue und junge Unternehmen investiert wird. Wir haben daraus Konsequenzen gezogen und sind dem angelsächsischen Modell gefolgt. Wir wollen eine Unterstützung derjenigen, die investieren, und es in einem bestimmten Rahmen attraktiv machen. Das Ganze hat haushalterische Grenzen, weil wir dafür nicht unbegrenzt Geld im Haushalt zur Verfügung haben. Darüber hinaus hat das Ganze einen entsprechenden rechtlichen Rahmen. Aber die Unternehmen, die jünger als zehn Jahre sind und die in Märkten aktiv sind, wo es viel Kapitalbedarf gibt, werden davon profitieren.
Wir machen es auch für Privatpersonen attraktiver, in diese Unternehmen zu investieren. Die sogenannten Business-Angels sind ja nicht nur Investoren, sondern auch Berater. Es handelt sich um Profis, die selber ihr eigenes Unternehmen jahrelang geführt haben und dann in jungen Unternehmen gerade in der schwierigen Anfangszeit beraten und helfen. Dafür sollen sie attraktive steuerliche Rahmenbedingungen vorfinden.
Wir wollen Investoren in unserem Land haben und denjenigen, die im Ausland investieren, das Signal geben, dass es in Deutschland gute Rahmenbedingungen gibt, in neue Unternehmensideen zu investieren. In den letzten 20 Jahren hat sich eine andere ökonomische Situation entwickelt: Es ist nicht mehr so leicht, anderswo Kapital zu beschaffen. Sie kennen die Diskussionen in den öffentlichen Banken, aber auch in der gesamten Bankenlandschaft. Wir versprechen uns von den Gesetzentwürfen, dass viele Ideen, die jetzt auf dem Patentamt liegen oder noch in den Köpfen sind, zu neuen Unternehmen werden, dass sie Arbeitsplätze schaffen und unser Wachstum weiter unterstützen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Kollege Frank Schäffler für die FDP-Fraktion.
Frank Schäffler (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute vor einer Woche konnte die soziale Marktwirtschaft in Deutschland ihren 60. Geburtstag feiern. Für uns Liberale - vielleicht auch für Sie - war das ein Feiertag. Doch angesichts des Handelns der schwarz-roten Koalition ist das Jubiläum für uns Liberale auch ein Anlass, die Marktwirtschaft gegen immer mehr staatliche Eingriffe entschieden zu verteidigen.
Ihr Entwurf eines Risikobegrenzungsgesetzes macht deutlich, dass Sie seitens der Koalition in Sonntagsreden die soziale Marktwirtschaft hochhalten, im praktischen Handeln jedoch immer tiefer in den Markt eingreifen.
Auch wir von den Liberalen sprechen uns für Transparenz aus. So halten wir eine wirksame Regelung bezüglich der Namensaktien durchaus für richtig. Die Zielrichtung der Bundesregierung - ich zitiere aus der Begründung -, nämlich ?gesamtwirtschaftlich unerwünschte Aktivitäten von Finanzinvestoren? zu erschweren oder sogar zu verhindern, teilen wir ausdrücklich nicht. Es ist ein tiefer Eingriff in die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft, wenn die Große Koalition entscheidet, welche Investitionen gewünscht sind und welche nicht. Deshalb hätten Sie dem Gesetz einen viel zutreffenderen Namen geben sollen. Wenn Sie Investitionen verhindern wollen, hätten Sie es ?Investitionsbegrenzungsgesetz? nennen sollen.
Diese Wirkung wird das Gesetz tatsächlich entfalten. Wenn in Deutschland bürokratische Vorschriften gelten, die bei unseren Nachbarn nicht gelten, dann werden ausländische Investoren schon merken, dass sie uns in Deutschland nicht willkommen sind.
Das gilt übrigens auch für Staatsfonds. Sie wollen sie aussperren. Doch gerade die Bankenkrise hat gezeigt, wie hilfreich diese Fonds für europäische Großbanken sein können.
Es bringt auch nichts, immer von gleichen Wettbewerbsbedingungen in Europa zu sprechen, dann aber nach Art des Gutmenschentums nationale Regeln draufzusatteln. Das schadet dem Finanzplatz Deutschland und damit der gesamten deutschen Wirtschaft.
Wie gesagt: Transparenz ist ein Ziel, das wir teilen, aber dazu gibt es eine europäische Transparenzrichtlinie. Die haben wir erst vor kurzem umgesetzt. Deshalb sollten wir nicht schon wieder neuen Aktionismus entfalten.
Ein Fachmann, nämlich der finanzpolitische Sprecher der Union, Otto Bernhardt, hat der FAZ gesagt: Ich brauche dieses Gesetz nicht. - Wo er recht hat, hat er recht. Wir von der FDP brauchen es auch nicht. Niemand braucht es. Also sollten wir es gleich gemeinsam ablehnen.
Weil ich gerade beim Zitieren bin, will ich auch den Wirtschaftsminister zitieren. Er hat im Private Equity Handbuch in einem sehr lesenswerten Vorwort gesagt:
Sorge macht mir, dass die Diskussion um Nutzen und Schaden der Beteiligungsfinanzierung zum Teil sehr undifferenziert geführt wird. Während die Gründungs- und Wachstumsfinanzierung von den meisten Beteiligten als volkswirtschaftlich wertvoll und förderungswürdig angesehen wird, sehen sich die Übernahmefinanzierer häufig dem Generalverdacht ausgesetzt, volkswirtschaftlich schädlich zu wirken und Arbeitsplätze zu vernichten.
Genau das ist unsere Meinung. Wieso fördern Sie diese Bereiche in einem richtigen Private-Equity-Gesetz nicht?
Lassen Sie mich auch noch den Unionsfraktionsvize Michael Meister zitieren. Er hat gesagt, was bisher vorgelegt worden sei, sei unzulänglich.
Um es abzuschließen: Der Vorsitzende des CDU-Wirtschaftsrats, Kurt Lauk, hat gesagt, in ihrer jetzigen Form würden die Gesetze zu Private Equity und Hedgefonds Deutschland auf den Status eines Entwicklungslandes zurückführen.
Ich finde, da haben alle, die ich hier genannt habe, sehr recht.
Das Ergebnis zeigt eines: MoRaKG und Risikobegrenzungsgesetz sind Dokumente des Scheiterns. Was wir in Deutschland tatsächlich brauchen, ist eine fortschrittliche Finanzmarktgesetzgebung. So hatten Sie im Koalitionsvertrag vereinbart, ein Private-Equity-Gesetz vorzulegen. Wir als FDP wollen ein solches Gesetz zur Förderung von Beteiligungskapital. Beteiligungskapital wird jedoch nicht nur in der Frühphase eines Unternehmens benötigt, sondern vor allem auch in der Wachstumsphase. Was Sie tatsächlich vorgelegt haben, ist nur das Gesetz zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen. Sie konzentrieren sich nur auf die Frühphase. Das betrifft letztendlich nur einen ganz kleinen Teil der Branche. Dieses Gesetz sieht für einen begrenzten Teil von Unternehmen Erleichterungen vor, die jedoch nur bei Erfüllung mehrerer bürokratischer Vorschriften gewährt werden.
Die Sachverständigenanhörung, die wir zu diesen Gesetzen durchgeführt haben, war letztendlich ein Desaster für Sie. Nicht einmal die von den Koalitionsfraktionen eingeladenen Sachverständigen haben sich für das Gesetz ausgesprochen.
Der zuständige Branchenverband hat ermittelt, dass sieben Unternehmen bereit sind, die Möglichkeiten des neuen Gesetzes zu nutzen. Bei allem, was Sie uns hier zur Wirkung des Gesetzes erzählen, sollten Sie sich diese Zahl noch einmal vor Augen führen. Wir Liberale trauen einzelnen Unternehmen viel zu.
Aber dass sieben Unternehmen zu einem Quantensprung für Forschung und Entwicklung in diesem Land beitragen sollen, halte ich für einen Treppenwitz der Geschichte.
Was Sie hier vorgelegt haben, ist das Ergebnis Ihrer Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners. Das ist zu wenig für den Mittelstand. Das ist auch zu wenig für Deutschland. Man sieht an diesem Gesetz vor allem eines: Wenn es darum geht, die Bürger einzuschränken und zu belasten, ist sich die Koalition einig. Das ist aber nur ein ganz kleiner Bereich, in dem Sie überhaupt noch handlungsfähig sind. Wenn es aber darum geht, die Bürger zu entlasten, dann bewegt sich bei Ihnen gar nichts. Ich frage Sie: Warum haben Sie heute kurz vor der Sommerpause hier im Parlament kein modernes Erbschaftsteuerrecht vorgelegt,
das die Existenz von Familienunternehmen sichert und Familien nicht zum Verkauf ihres Unternehmens nötigt?
Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie wollen. Es ist doch absurd, wenn Sie mit dem Risikobegrenzungsgesetz auf der einen Seite Politik gegen Finanzinvestoren machen, auf der anderen Seite aber mit der geplanten Erhöhung der Erbschaftsteuer Familienunternehmer gerade in die Hände dieser von Ihnen so gescholtenen Finanzinvestoren treiben.
- Sie können ja gleich darauf reagieren. - Dass Sie dann mit dem MoRaKG auch noch verhindern, dass sich in Deutschland eine eigene Beteiligungsbranche entwickeln kann, setzt dem Ganzen noch die Krone auf.
Ihre Finanzpolitik besteht aus Widersprüchen und Symbolik. Das ist zu wenig für dieses Land. Heute ist deshalb ein schwarzer Tag für das Beteiligungskapital und deshalb auch für den Mittelstand in Deutschland.
Aber es kommen auch wieder bessere Zeiten auf dieses Land zu, spätestens 2009.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Klaus-Peter Flosbach ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gleich drei für den Finanzmarkt wichtige Themen debattieren wir heute:
Erstens. Wie stärken wir die Rechte von Unternehmen im Umgang mit Finanzinvestoren?
Zweitens. Wie können Kreditverkäufe zukünftig geregelt werden? Besonders wichtig ist uns dabei: Wie schützen wir Kreditnehmer vor den negativen Folgen von Kreditverkäufen?
Drittens - darauf werde ich mich konzentrieren -: Wie können die Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen modernisiert werden?
Warum diskutieren wir dieses Thema überhaupt? Kann man das Ganze nicht dem Markt überlassen? Offensichtlich nicht; denn es gibt viele junge Unternehmen mit zukunftsweisenden Ideen, denen einfach die finanzielle Basis fehlt, denen das Eigenkapital fehlt und die auch bei ihren Banken keinen persönlichen Kredit mehr bekommen, um die Entwicklung ihres Unternehmens voranzutreiben. Warum ist das so? Weil den Banken das Risiko zu groß ist, weil die Gefahr zu groß ist, das eingesetzte Kapital vollständig zu verlieren. Aus diesem Grunde erhalten diese jungen Unternehmer bzw. Existenzgründer kein Kapital mehr.
Genau an dieser Stelle setzen wir an. Wir wollen die Rahmenbedingungen verändern, damit Investoren Kapital zur Verfügung stellen, das vor allem junge Technologieunternehmen im Biotechnologie- oder Pharmabereich benötigen. Diesen Weg für moderne und gut bezahlte Arbeitsplätze bereiten wir mit diesem Gesetz. Genau so wird der Grundstein für mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze in Deutschland gelegt.
Wenn Investoren im Rahmen dieses Gesetzes steuerliche Vorteile als Ausgleich für das erhöhte Risiko in Anspruch nehmen wollen, dann müssen sie sich auf junge und mittelständische Unternehmen konzentrieren. Das heißt, die Unternehmen dürfen nicht älter als zehn Jahre sein, und das Eigenkapital darf nicht über 20 Millionen Euro liegen.
Im ersten Entwurf war das Eigenkapital auf 500 000 Euro fixiert worden. Bedenken Sie einmal, was ein innovatives forschungsintensives Unternehmen mit hohen Personalkosten und einer langen Vorlaufzeit mit 500 000 Euro an Eigenkapital anfangen kann. Hier konnten wir uns in der Koalition sehr frühzeitig darauf einigen, das Eigenkapital auf 20 Millionen Euro festzulegen. Somit haben wir eine wesentliche Verbesserung gerade in der Startphase erzielt. Mit diesen 20 Millionen Euro Eigenkapital holen wir die Gründer aus der Garage heraus.
Wir verfolgen mit diesem Gesetz mehrere Ansätze: Wir wollen Investitionen möglichst in deutsche Unternehmen, wir wollen möglichst deutsche Investoren, und wir wollen vor allen Dingen Kapitalbeteiligungsgesellschaften, Private-Equity-Fonds, Venture-Capital-Fonds oder Wagniskapital-Fonds in Deutschland. Sie müssen in Deutschland ansässig sein, weil auch im Ausland längst bewiesen ist, dass die Unternehmen, die Fonds und die Manager nahe zusammen sein müssen, damit sich die Investitionen in diese neuen wachstumsintensiven Betriebe rentieren und sie auch durchgeführt werden.
Worin liegt nun der Vorteil für den Investor?
Weil junge Unternehmen ihr eigenes Kapital verbraucht haben und die Produkte noch nicht zur Marktreife gelangt sind, sind keine Gewinne, sondern in aller Regel hohe Verluste aufgelaufen. Diese Unternehmen müssten aufgeben. Sie wären pleite.
Wenn jetzt Wagniskapitalgesellschaften ihr Eigenkapital - das ist wichtig - zur Verfügung stellen, dann können diese Verluste im Unternehmen steuerlich berücksichtigt werden, und zwar in Höhe der vorhandenen stillen Reserven. Insofern ist das eine Lockerung der scharfen Besteuerung im Rahmen der Unternehmensbesteuerung, die im letzten Jahr verabschiedet worden ist. Die Unternehmen können jetzt mit den neuen Investitionen und mit dem verstärkten Eigenkapital ihr Ziel, nämlich die Gewinnzone, erreichen.
Die Beteiligungsgesellschaft, an der sich der Einzelne mit mindestens 25 000 Euro beteiligen muss, gilt zudem als vermögensverwaltend. Das heißt, sie ist nicht gewerbesteuerpflichtig. Die Besteuerung findet ausschließlich auf der Ebene des Anlegers statt.
Es gibt aber nicht nur Beteiligungsgesellschaften, sondern auch einzelne Personen, die bereit sind, ihr Kapital in Risikoinvestitionen zu stecken. Man nennt sie Business-Angels. Diese können sich mit maximal 25 Prozent an einem Unternehmen beteiligen. Business-Angels bringen neben dem Kapital auch ihr gesamtes Know-how, ihre Aktivitäten und ihre Netzwerke in das Zielunternehmen ein.
Die Förderung der Business-Angels konzentriert sich auf einen Veräußerungsfreibetrag von insgesamt 200 000 Euro. Bei einem einzelnen Business Angel, der sich mit maximal 25 Prozent beteiligen darf, gelten eben 25 Prozent dieses Freibetrags. Er kann also von maximal 50 000 Euro Freibetrag profitieren. Das macht uns zuversichtlich - das zeigen auch die Vergleiche im Ausland -, entsprechendes Risikokapital für einen dynamischen Wachstumsmarkt, für höchst qualifizierte Arbeitsplätze in Deutschland lockerzumachen.
Es ist vielfach Kritik geübt worden, wir würden mit diesem Gesetz den deutlich größeren Teil des Beteiligungsmarktes - vor allem Beteiligungen in etablierten Unternehmen - draußen vor der Türe lassen. Diese ist zunächst nicht unberechtigt. Diese Private-Equity-Unternehmen müssen sich, wenn sie ebenfalls als vermögensverwaltend gelten wollen, strikt an einen entsprechenden Erlass des BMF aus dem Jahre 2003 halten. Bisher haben viele damit ganz gut leben können.
Wir werden uns dennoch mittelfristig diesem Thema stellen müssen. Es geht auch hier wieder um mittelständische Betriebe. Denn mehr als 80 Prozent der durch Private-Equity-Gesellschaften finanzierten Unternehmen haben höchstens 100 Mitarbeiter und durchschnittlich weniger als 10 Millionen Euro Umsatz. Hier hat übrigens niemand Förderanreize gefordert. Aber diese Unternehmen brauchen Planungs- und Rechtssicherheit und sollten nicht langfristig auf diesen Erlass verwiesen werden.
Die Hightech-Strategie der Bundesregierung findet durch dieses Gesetz volle Unterstützung. Unsere Wissensgesellschaft braucht diese innovativen Unternehmen aus der Spitzen- und hochwertigen Technologie. Wir machen den Investoren ein faires Angebot, dieses Risiko auch einzugehen. Wir bringen hiermit den Finanzstandort Deutschland ein großes Stück nach vorn. Es gibt eben nicht nur Heuschrecken, sondern auch fleißige Bienen. Ich denke, dieses Gesetz ist ein Geschenk an die soziale Marktwirtschaft zum 60. Geburtstag.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist Axel Troost für die Fraktion Die Linke.
Dr. Axel Troost (DIE LINKE):
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei den vorliegenden Gesetzentwürfen haben wir es mit einem äußerst widersprüchlichen Paket zu tun. Einerseits will die Union durch das MoRaKG Finanzinvestoren - dank Franz Müntefering unter der treffenden Bezeichnung ?Heuschrecken? bekannt - weitere Steuersparmodelle eröffnen und verkauft dies in der Öffentlichkeit als Förderung von jungen kleinen und mittelständischen Unternehmen.
Die SPD wiederum, so war zumindest der Ursprung des Risikobegrenzungsgesetzes, will den Anschein erwecken, dass sie genau diesen Finanzinvestoren nun ans Leder wolle. Würden beide Gesetze halten, was die Koalitionäre versprechen, hätten wir einen absurden Widerspruch. Die Ampel für Finanzinvestoren würde gleichzeitig auf Rot und Grün gestellt. Bei genauerem Hinsehen handelt die Koalition aber überhaupt nicht widersprüchlich, sondern macht sich zum Anwalt der Finanzinvestoren und begrenzt gleichzeitig die Risiken der Manager, von ungewollten feindlichen Übernahmen überrascht zu werden.
Beide Gesetzgebungsverfahren sind vor der aktuellen Finanzkrise angelaufen. Sie sind nun seit über einem Jahr auf dem Weg, und die Koalition hat es nicht geschafft, auch nur kleinste Schlussfolgerungen aus dieser Finanzkrise in das Gesetz aufzunehmen. Ein Risikobegrenzungsgesetz, das die in der Finanzkrise offensichtlich gewordenen Risiken mit keiner Silbe erwähnt, ist schlicht eine totale Blamage.
Unsere Fraktion hat schon im November 2007 in einem Aktionsplan ?Finanzmärkte demokratisch kontrollieren, Konjunktur und Beschäftigung stärken? erste Konsequenzen eingefordert. Wie lange sollen wir noch warten?
Das MoRaKG ist aus unserer Sicht eine Farce. Sie fördern nicht junge kleine und mittelständische Unternehmen, die Unterstützung wirklich brauchen könnten, sondern nur die Kapitalgeber solcher Unternehmen, nämlich bestimmte Private-Equity-Fonds, die durch Bereitstellung von Kapital diese Unternehmen fördern sollen. Auch diese vermeintlich indirekte Förderung ist genauso zielsicher wie eine Schrotflinte auf 500 Meter.
Zum einen - das ist eben schon gesagt worden - gilt die Förderung für Fonds mit Beteiligungen an Unternehmen mit bis zu 20 Millionen Euro Eigenkapital und einem Alter von bis zu zehn Jahren. Herr Flosbach sprach davon, dass die Gründer aus den Garagen geholt werden sollen, also auf Deutsch: Garagen, die seit zehn Jahren existieren und die einen Inhalt von 20 Millionen Euro haben. So hatten wir uns kleine und mittelständische Unternehmen nicht vorgestellt.
Wenn man ins Unternehmenspanel der KfW schaut, dann sieht man, dass es nicht ein einziges kleines oder mittelständisches Unternehmen gibt, das 20 Millionen Euro Eigenkapital hat.
Zum anderen geht die mangelnde Zielgenauigkeit weiter. Um vom Gesetz zu profitieren, muss ein Private-Equity-Fonds nur 70 Prozent seines Kapitals in solche Unternehmen stecken. Die restlichen 30 Prozent sind frei verfügbar, um heute auf Öl, morgen auf Aktien und übermorgen auf Weizen zu spekulieren.
Das ganze Gesetz mit seiner Befreiung von der Gewerbesteuer, mit den fortgesetzten Steuerprivilegien für die Fondsmanager und die sogenannten Business-Angels ist nichts anderes als ein riesiges Steuergeschenkpaket für Leute in Gehaltsklassen, bei denen sich Normalsterbliche gar nicht vorstellen können, was man mit so viel Geld anfangen kann.
Ich bin sehr gespannt, wie die Parteien der Großen Koalition, die angeblichen Volksparteien, ihren Wählerinnen und Wählern in den Fußgängerzonen erklären wollen, warum man den Steuerfreibetrag für wohlhabende Manager auf das 22-Fache erhöhen muss.
Nicht viel besser ist es um Ihr Risikobegrenzungsgesetz bestellt. Statt die Beschäftigten und die Unternehmen vor Auszehrungen durch Heuschrecken zu schützen, leistet Ihr Gesetz praktisch gar nichts. Wir haben in unserem Antrag ?Beschäftigte und Investoren vor Ausplünderung durch Finanzinvestoren schützen? und in unserem Gesetzentwurf zur Stärkung der Arbeitnehmermitbestimmung bei Betriebsänderungen konkret aufgezeigt, wie die Risiken bei Finanzinvestitionen beschränkt werden können. Sie wollen das aber gar nicht.
Es mag ja Einzelfälle geben, in denen Beteiligungskapital einen sinnvollen und sozialverträglichen Beitrag leistet. Das können aber am besten die Beschäftigten einschätzen, die um die Gefährdung ihrer Arbeitsplätze wissen. Keine Heuschrecke soll ein Unternehmen gegen den Willen der Belegschaft übernehmen dürfen. Damit wäre schon sehr viel gewonnen.
Wie man das machen könnte, haben wir Ihnen konkret aufgezeigt.
Um das zu verdeutlichen: Der jüngste spektakuläre Fall ist die Ausschlachtung des Modekonzerns Hugo Boss durch den Finanzinvestor Permira. Permira hat durchgesetzt, dass Boss 350 Millionen Euro neue Schulden aufnimmt, um anschließend 450 Millionen Euro Dividenden an die Investoren auszuzahlen. Nachher wird den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesagt, wegen der hohen Verschuldung müsse der Gürtel nun enger geschnallt, die Lohntüte verkleinert und die Arbeitszeit verlängert werden. Das geht nicht.
Das Geschäftsmodell Private Equity ist untrennbar mit dem Einsatz von Kredithebeln verbunden. Wir fordern in unseren Anträgen daher:
Erstens. Bankkredite an Private-Equity-Fonds müssen mit mehr Eigenkapital unterlegt werden, damit sie teurer werden und damit das Geschäftsmodell ?Heuschrecke? unattraktiver wird.
Zweitens. Das nachträgliche Aufbürden der Kredite auf das übernommene Unternehmen muss untersagt werden. Kreditfinanzierte Ausschüttungen wie im Fall Boss müssen verboten werden.
Drittens. Die Möglichkeiten neu einsteigender Anteilseigner sollen begrenzt werden, indem die Stimmrechte der Aktionäre, die ihre Aktien seit mindestens zwei Jahren halten, doppelt gewichtet werden.
Viertens. Private-Equity-Fonds sollen künftig grundsätzlich gewerbesteuerpflichtig sein. Sämtliche Steuerprivilegien sollen abgeschafft werden.
Damit kommen wir zur Wurzel des Übels: Private-Equity-Fonds sind Ausdruck der Tatsache, dass Multimillionäre nach immer neuen Wegen suchen, aus unendlich viel Geld noch unendlich viel mehr Geld zu machen. Mittelfristig kann nur eine radikale Umverteilung von Einkommen und Vermögen den Anlagedruck auf den Finanzmärkten verringern.
Die Hypothekenblase in den USA ist geplatzt. Nun drängen die Anleger in den Bereich der Rohstoffe und Nahrungsmittel. Bei den aktuellen Spekulationen mit Weizen und Reis wird auf makaberste Weise deutlich, wie die systematische Gier der Reichen nach immer mehr die Armen in den Entwicklungsländern buchstäblich in Elend und Tod treibt.
Eine andere Tragödie - wenn auch zum Glück nicht tödlich - spielt sich seit jüngerer Zeit bei vielen kleinen Häuslebauern in Deutschland ab. Menschen, die sich für Wohneigentum verschuldet haben und mit viel Einsatz ihre monatlichen Zahlungen leisten, stellen plötzlich fest, dass ihr Kredit ohne ihr Wissen weiterverkauft wurde, zum Beispiel an einen Finanzinvestor, der ihnen per Zwangsvollstreckung über juristische Tricks die eigenen vier Wände buchstäblich unter den Füßen wegzieht.
Mit der Aufnahme der Thematik Kreditverkäufe ins Risikobegrenzungsgesetz haben Sie bei vielen Menschen die Hoffnung geweckt, dass dieses Unrecht endlich aufhört. Der Gesetzentwurf bringt zwar einige wenige Verbesserungen aus der Sicht des Verbraucherschutzes, springt aber viel zu kurz. Die Hoffnungen der meisten vorgenannten Menschen werden herb enttäuscht. Mit unserem hier vorliegenden Antrag ?Ausverkauf von Krediten an Finanzinvestoren stoppen - Verbraucherrechte stärken? stellen wir deutlich weitergehende und von vielen Verbraucherschützern und Fachleuten geteilte Forderungen auf.
Die Koalition hat in der letzten Woche behauptet, das Bundesjustizministerium hätte alle in den Medien skandalisierten Fälle von Kreditverkäufen geprüft und festgestellt, dass alle Medienberichte falsch und unsachgemäß gewesen seien. Diese Ignoranz schlägt dem Fass den Boden aus.
Wir alle - da bin ich mir sicher - haben in den vergangenen Monaten eine hohe Zahl an Briefen von verzweifelten Immobilienschuldnern und ihren Anwälten bekommen, in denen sie ihre eigenen Fälle schildern. Gerade gestern kam vom Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Hanns-Eberhard Schleyer, ein Brief, in dem er Fälle von Handwerksbetrieben nennt, in denen Kredite trotz ordnungsgemäßer Bedienung weiterverkauft worden sind.
Ich komme zum Ausgangspunkt der Kritik an den beiden Gesetzentwürfen zurück. Beide ziehen keinerlei wirkliche Konsequenzen aus der aktuellen Finanzkrise. Die mangelnde Beschränkung von Kreditverkäufen war ein zentraler Grund für die Hypothekenkrise in den USA, wo die Regulierungen wesentlich lascher als bei uns sind. Wenn wir keine Richtungsentscheidung treffen, entwickelt sich auch die Bundesrepublik in diese Richtung. Insofern fordern wir Sie auf, den Gesetzentwurf im Sinne unseres Antrages und vor allem im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher nachzubessern.
Wann, wenn nicht jetzt, wollen Sie Konsequenzen aus der Finanzkrise ziehen? Wie groß muss der Vertrauensverlust der Bürgerinnen und Bürger in die Politik und in Ihren Willen zur Vermeidung von Wirtschaftskrisen denn noch werden? In Ihrem Entwurf eines Risikobegrenzungsgesetzes fehlt leider der Wille zu einem Kurswechsel in Richtung Regulierung der Finanzmärkte.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, die Linksfraktion macht es sich hier insgesamt sehr einfach. Wir alle wissen, dass junge innovative Unternehmen auf Beteiligungskapital angewiesen sind. Das hat übrigens der Sachverständigenrat in einer ganz aktuellen Expertise bestätigt. Es geht nicht nur darum, dass wir uns die Frage stellen müssen, ob genügend Kapital nach Deutschland kommt, sondern es geht auch darum, die Investoren vor Ort zu halten.
Ob ein innovatives Unternehmen in der Frühphase Kapital bekommt, hängt ganz entscheidend davon ab, ob im regionalen Umfeld Wagniskapitalfirmen angesiedelt sind. Trotz Internet, Globalisierung und weltweit vernetzten Kapitalmärkten ist die Standortnähe ein Schlüssel zum Erfolg. Das negieren Sie schlicht und ergreifend.
Sie sagen: Alle Unternehmen, die mit Wagniskapitalfinanzierungen zu tun haben, sind per se böse. Deswegen sage ich: Die Linksfraktion schadet nicht nur unserem Standort, sondern vor allen Dingen auch den kleinen und mittleren innovativen Unternehmen in dieser Republik.
Wir brauchen ein - auch im internationalen Maßstab - attraktives steuerliches Umfeld für Wagniskapitalfinanzierung. Sie verweigern sich dieser Problematik völlig. Aus diesem Grund werden wir den Antrag der Linksfraktion ablehnen.
Ich muss auch sagen: Die Förderung von Wagniskapital ist kein Selbstzweck. Innovationen sind die Triebfedern für nachhaltige Wertschöpfung und für zukunftsfähige Arbeitsplätze. Aus diesem Grund brauchen wir mehr Unternehmen, die hierzulande forschen. Diese Unternehmen brauchen mehr Geld für Entwicklung und Vermarktung, damit sie ihre Produkte hier nicht nur entwickeln und patentieren lassen können, sondern sie hier auch produzieren können. Sie brauchen auch für die zweite Phase entsprechende Finanzierungsmöglichkeiten. Das ist nämlich oft das Problem. In der ersten Phase klappt es, in der zweiten Phase fehlt aber oft das Kapital.
Gemessen am Bruttoinlandsprodukt wurden in Deutschland nur halb so viele Wagniskapitalfinanzierungen getätigt wie im europäischen Durchschnitt. Hier liegt ein sehr wertvolles Potenzial brach.
Wir haben es begrüßt, dass die Bundeskanzlerin auf verschiedenen Tagungen, auch bei der Internationalen Handwerksmesse in München, gesagt hat: Wir müssen unseren Standort stärken und den Unternehmen mehr Möglichkeiten geben. - Auch die Bundesforschungsministerin, Frau Schavan, hat, wenn sie in der Republik Unternehmen oder Messen besucht hat, immer wieder darauf hingewiesen, dass es notwendig ist, vernünftige Rahmenbedingungen für Unternehmen am Standort Deutschland zu schaffen.
Wenn ich mir anschaue, was dabei herausgekommen ist, muss ich allerdings sagen: Sie haben nicht nur das Versprechen des Koalitionsvertrages, in dem Sie vereinbart haben, vernünftige steuerliche Bedingungen für Wagniskapital zu schaffen, nicht umgesetzt, sondern Sie haben leider auch den Inhalt all Ihrer schönen Sonntagsreden in diesem Gesetz nicht verwirklicht. Zwischen Ihren Worten und Ihrem Handeln klafft eine sehr große Lücke. Das finde ich sehr schade; denn damit wird eine Chance vertan.
Wir wissen, dass im Rahmen der Unternehmensteuerreform auch Entscheidungen getroffen worden sind, die es unseren Unternehmen schwer machen. Durch den schnellen Wegfall von Verlustvorträgen und die Besteuerung von Funktionsverlagerungen werden Forschung und Entwicklung gefährdet. Last, but not least werden Beteiligungsfinanzierungen durch die schlechte Verzahnung von Abgeltungsteuer und Unternehmensbesteuerung ab 2009 der steuerlich unattraktivste Finanzierungsweg sein. Das hat auch der Sachverständigenrat vor kurzem bestätigt.
In diesem Kontext müssen wir uns fragen: Hat sich die Große Koalition vorgenommen, Wagniskapitalfinanzierungen zukünftig zu verhindern, oder wollen Sie sie fördern? Ich habe fast den Eindruck, Sie haben versucht, sie zu verhindern. Kreditzinsen werden mit 25 Prozent besteuert, Dividenden und Veräußerungsgewinne mit fast 50 Prozent. Das kann nicht Sinn und Zweck des Ganzen sein. Das ist nicht der richtige Weg. Ich bin gespannt, ob Sie, wenn das Gesetz zur Abgeltungsteuer näherrückt, an der einen oder anderen Stelle nicht doch noch Korrekturen vornehmen. Ich hoffe es sehr. Für Sie ist das aber schwierig. Das Problem ist nämlich, dass Sie sich bei kaum einem Thema einigen können.
Fest steht: Was die Behandlung von Private-Equity-Gesellschaften angeht, haben Sie Regularien entwickelt, die eher schaden als nutzen. Fest steht allerdings auch, dass wir Private-Equity-Gesellschaften brauchen. Auch in einer Untersuchung des DIW wurde eindeutig bestätigt, dass die Private-Equity-Branche für unsere mittelständischen Unternehmen gut ist. Diese Untersuchung ist, wie gesagt, eine Studie des DIW, keine Stellungnahme der Grünen.
Es ist bedauerlich, welche Regelungen Sie an dieser Stelle getroffen haben. Natürlich gibt es ausländische Private-Equity-Gesellschaften, die großen Schaden angerichtet haben; das ist richtig. Es gibt in dieser Branche aber auch sehr viele Beispiele für Private-Equity-Gesellschaften, die Unternehmen geholfen haben, sich wieder vernünftig aufzustellen, sich weiterzuentwickeln und mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Damit haben Sie letztendlich dazu beigetragen, dass die Steuereinnahmen in Deutschland gestiegen sind. Auch das muss man in diesem Kontext sehen; denn häufig hängen sehr viele verschiedene Aspekte miteinander zusammen.
Zum Schluss noch eine kurze Anmerkung zum Risikobegrenzungsgesetz. Wir Grüne haben vor einem Jahr im Hinblick auf das Problem der Immobilienkreditverkäufe gute Vorschläge gemacht. Es ist gut, dass Sie viele dieser Vorschläge übernommen haben. Es hat zwar ein bisschen gedauert, aber das ist bei der Großen Koalition oft so.
Wir hätten gern gesehen, dass Regelungen getroffen worden wären, die einen größeren präventiven Schutz der Betroffenen vorsehen, nicht nur erleichterte Schadenersatzansprüche im Nachhinein. Es wäre gut gewesen, den präventiven Ansatz zu stärken. Nichtsdestotrotz wurde der Weg an dieser Stelle zumindest ein Stück weit richtig eingeschlagen. Was den anderen Gesetzentwurf, den Sie heute vorgelegt haben, betrifft, muss ich allerdings sagen: Hier sind Sie verdammt kurz gesprungen. Ich befürchte, dieses Gesetz wird uns insgesamt nicht voranbringen.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Der Kollege Hans-Ulrich Krüger ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.
Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir in der letzten Woche mit der Verabschiedung des Eigenheimrentengesetzes dafür gesorgt haben, dass der Erwerb eines Eigenheims im Rahmen zusätzlicher Altersvorsorge staatlich gefördert wird, beschließen wir heute eine nachhaltige Verbesserung der Verbraucherrechte bei der Inanspruchnahme von Immobiliarkrediten. Damit führen wir unsere Erfolgsstory zugunsten der Verbraucher fort und setzen einen erfolgreichen Schlusspunkt unter eine seit gut einem Jahr währende Debatte.
Künftig werden Meldungen, dass der Verkauf von Forderungen an ausländische Finanzinvestoren zu unberechtigten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen geführt hat, der Vergangenheit angehören. Schlagzeilen wie ?Schulden auf Reise? oder ?Die Banken sagen einfach servus? können wir vergessen.
Mit einer Vielzahl von Maßnahmen stärken wir die Stellung des Kreditnehmers, damit der Traum von den eigenen vier Wänden nicht zu einem Albtraum wird.
Künftig muss jeder Kunde vor Abschluss eines Vertrages ausdrücklich - und nicht nur über Allgemeine Geschäftsbedingungen - darüber informiert werden, ob sein Vertrag verkauft werden kann. Welche Bedeutung dies hat, zeigt die Reaktion der Märkte: So bieten zum Beispiel Sparkassen, Volksbanken, aber auch einzelne Privatbanken Finanzierungsmodelle an, die ausdrücklich nichtabtretbare Kredite zum Gegenstand haben.
Ist ein Vertrag zustande gekommen, so ist der Darlehensgeber im Falle eines Verkaufs der Forderungen verpflichtet, seinem bisherigen Kunden dies mitzuteilen.
Ferner hat er spätestens drei Monate vor Auslaufen der vereinbarten Zinsbindung die Pflicht, dem Kunden mitzuteilen, ob und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen ein Anschlussvertrag zustande kommt. Der Schuldner bekommt dadurch das, was er in einer solchen Situation am dringendsten braucht: Zeit und Sicherheit.
Die gleiche Sicherheit bekommt der Kunde durch die Neufassung von § 498 Abs. 3 BGB, bei der es darum geht, wann ein Kredit wegen Zahlungsverzugs gekündigt werden kann. Bislang hing dies davon ab, was im Kreditvertrag vereinbart war. Waren die dort genannten Voraussetzungen - in aller Regel ein Verzug von zwei oder drei Monatsraten - erfüllt, galt der Kredit als notleidend. Nach der neuen Rechtslage hat der Kreditnehmer die Gewissheit, dass sein Kredit erst dann gekündigt werden kann, wenn er mit zwei aufeinanderfolgenden Teilraten und mindestens 2,5 Prozent des Nennbetrages in Verzug ist. Bei einem Kredit über 100 000 Euro und einem Zins von 4,5 Prozent heißt dies, dass der Kreditnehmer mit circa fünf Monatsraten in Verzug sein muss, bevor ihm sein Vertrag gekündigt werden kann. Das bedeutet nicht nur einen erweiterten Verbraucherschutz, das bringt vor allem Rechtssicherheit.
Im Bereich der Zwangsvollstreckung ist ein komplexer, aus verschiedenen Einzelteilen bestehender Schutzschirm zugunsten der Verbraucher zusammengesetzt worden. Storys in Zeitungen und Fernsehberichte, in denen von unberechtigten Zwangsvollstreckungen die Rede ist, gehören damit der Vergangenheit an.
Mit der neu gefassten Sicherungsgrundschuld haben wir ein effektives Instrument geschaffen: Ungeachtet der Höhe der eingetragenen Grundschuld kann zukünftig nur noch in Höhe der aktuell bestehenden Forderung vollstreckt werden, egal welchen guten Glauben der Erwerber an die Höhe der Forderung hatte.
Ferner muss jeder Vollstreckung aus einer Grundschuld eine Kündigung vorangehen, die mit einer Sechsmonatsfrist belegt ist. Das ist ausreichend, um dem Schuldner den Ernst der Lage vor Augen zu führen und ihm die Zeit zu geben, das drohende Unheil abzuwenden. Das ist gut so, und das ist richtig so.
Ergänzt wird dieser Schutzschild um die Möglichkeit, die Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne zusätzliche Sicherheitsleistung zu erreichen, sofern ein unabhängiger Richter dem Vorbringen des Schuldners Aussicht auf Erfolg beimisst.
Sollte trotz all dieser Sicherungsmaßnahmen im Einzelfall ein Fehler passiert sein, ist nach der neuen Rechtslage Vorsorge getroffen, nämlich in Form eines verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruches. Das heißt, niemand kann sich mehr darauf berufen, er habe gutgläubig eine Vollstreckungsmaßnahme eingeleitet. Es geht künftig nur darum, ob die Vollstreckungsmaßnahme objektiv berechtigt war. War sie es nicht, steht dem Schuldner Schadensersatz zu.
All diese Maßnahmen also - vom vorvertraglichen Hinweis auf abtretbare oder nichtabtretbare Kredite bis zu den Zwangsvollstreckungsmaßnahmen - sorgen dafür, dass Rechtssicherheit eintritt und Leistungsstörungen genauso behandelt werden, wie es vorher vereinbart war und ?Heuschrecken? - dieser Name klingt ja immer wieder an - in Zukunft richtigerweise hier nicht mehr ihr Futter finden.
Heute ist ein guter Tag dafür, dass sich Kreditgeber und Kreditnehmer trotz der wirtschaftlichen Ungleichgewichtigkeit rechtlich wieder auf Augenhöhe begegnen können. Das Risikobegrenzungsgesetz, dessen Bestandteile die von mir vorgetragenen Regelungen zum Kredithandel sind, hat daher schon im Vorfeld und parallel zu den Beratungen seinen Lackmustest für Fairness und mehr Klarheit bei der Kreditvergabe bestanden. Das ist gut so.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Christian Ahrendt für die FDP-Fraktion.
Christian Ahrendt (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Dr. Krüger, die Worte höre ich wohl; allein mir fehlt der Glaube. Ich kann, wenn ich mir das Risikobegrenzungsgesetz und den jetzt vorgesehenen Kreditnehmerschutz anschaue, nicht feststellen, dass es tatsächlich eine wirksame Verbesserung für die Kreditnehmer in Deutschland gibt.
Sie machen einen einzigen Sprung bei den Informationspflichten. Aber Tatsache bleibt: Die Abtretung der Forderung als solche ist nicht geregelt. Das heißt, Kreditforderungen können nach wie vor ohne Einschränkung an internationale Finanzinvestoren verkauft werden. Diese haben damit im Fall der Abtretung der Kreditforderungen Zugriff auf die Grundschulden und das notarielle Schuldanerkenntnis.
Wenn Sie sich die Regelung zum Kündigungsschutz, die Sie eben hervorgehoben haben, anschauen, dann werden Sie feststellen, dass man selbst mit der Gesetzesbegründung, die Sie vorgelegt haben, nicht viel weiterkommt. Zwar ist es richtig, dass Sie den Kreditnehmer dahin gehend schützen, dass erst ein Rückstand von zwei aufeinanderfolgenden Raten oder von 2,5 Prozent des Nominalbetrages dazu führen soll, dass ein Kredit gekündigt werden kann. Aber Sie haben § 490 BGB vergessen. Es ist nach wie vor so - das steht auch in Ihrer Begründung zum Gesetz -, dass der Kredit gekündigt werden kann, wenn sich die Vermögensverhältnisse des Kreditnehmers verschlechtern. Das kann der Fall sein, wenn er arbeitslos wird. Das kann der Fall sein, wenn sich der Wert der Immobilie mindert. Damit haben Sie den Auffangtatbestand, der den Menschen schon heute Schwierigkeiten bereitet, im Grunde genommen nicht repariert. Deswegen gibt es nach wie vor keinen verbesserten Kreditnehmerschutz.
Es ist auch nicht so, dass Sie etwas Wesentliches im Hinblick auf die Grundschuld verbessert haben. Sie haben unnötig in den Bereich der Grundschuld eingegriffen. Sie schreiben zwar in das Gesetz, dass Einwendungen aus dem Schuldverhältnis auch gegen die Grundschuld geltend gemacht werden können. Gleichwohl ist es aber so, dass Sie den zweiten Schritt, nämlich konsequente gesetzliche Änderungen dahin gehend, dass es einer Sicherheitsleistung im Zwangsvollstreckungsverfahren nicht bedarf, nicht vollziehen. Damit haben Sie beim einstweiligen Rechtsschutz, um eine Zwangsvollstreckung abzuwehren, nicht genug getan.
Wir, die FDP, haben den besseren Vorschlag gemacht. Wir haben gesagt: Wir wollen den Kreditnehmer vollständig auf Augenhöhe mit den Banken bringen. Erst dann, wenn er die Abtretung seiner Kreditforderung genehmigt, soll diese auch wirksam übergehen können. Damit hat er die Chance, dann zu entscheiden, wenn es so weit ist, und sieht sich nicht bereits bei Vertragsschluss vor diese Alternative gestellt. Das wäre der bessere Weg gewesen. Denn der Kreditnehmer setzt mit den vielfältigen Sicherheiten, die er den Banken zur Verfügung stellt, auf eine lange Geschäftsbeziehung. Er hat Vertrauen. Er gibt Selbstauskünfte, er gibt seine Vermögenswerte preis und hat dann auch das Recht, über den Verkauf seiner Kreditforderung selber zu entscheiden. Er bekommt dann die Tatsache des Verkaufs nicht einfach nur im Rahmen der Informationspflicht zur Kenntnis.
Sie haben im Winter großzügig einen verbesserten Kreditnehmerschutz angekündigt. Der erste Gesetzesvorschlag war möglicherweise bärenstark. Aber jetzt sind Sie tatsächlich als Bettvorleger in der Bankenbranche gelandet. Insofern gibt es keine Verbesserung des Kreditnehmerschutzes für die Menschen in Deutschland.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Heinz Riesenhuber für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Herr Troost hat in seiner feurigen Rede dargestellt, wie übel die Heuschrecken den Menschen und den Unternehmen mitspielen. Wir reden heute aber gar nicht über Heuschrecken und auch nicht über Private Equity. Insofern ist Ihr Antrag neben der Sache. Wir reden von Wagniskapital.
Das sind zwei völlig verschiedene Welten.
Durch Private Equitiy, worüber wir heute nicht diskutieren, können durchaus Werte in Unternehmen gehoben werden, die nicht erkannt worden sind. Wagniskapital führt dazu, dass neue Werte, neue Arbeitsplätze und neue Märkte geschaffen werden. Wagniskapital und junge Technologieunternehmen - das ist die Welt, in der in offenen Märkten das Neue entsteht und in der ein absolutes und maximales Risiko für alle Investoren und auch für die Gründer selber besteht, die Jahre ihres Lebens darauf setzen. Auf der anderen Seite besteht aber auch eine enorme Chance für die Volkswirtschaft; denn durch die Gesamtheit der Wagniskapitalgesellschaften und der jungen Technologieunternehmen wachsen der Wohlstand und die Zahl der Arbeitsplätze. Deshalb ist es richtig, dort zu helfen und zu unterstützen, dem Neuen zum Durchbruch zu verhelfen und dafür zu sorgen, die Arbeitsplätze zukunftsfähig und gut bezahlt zu machen.
Es gab hier eine ziemlich komplexe Debatte. Unser Konsolidierungsziel ist hoch gesteckt. Der Bundesfinanzminister schätzt, dass die Umsetzung der Regelungen im MoRaKG zu Kosten in Höhe von 475 Millionen Euro führen wird. Wie viel es wirklich sein wird, wird man sehen. Weiter konnten wir nicht gehen, als unsere Ziele in diesem engen Rahmen so zu setzen. Wie wir das getan haben, hat Klaus-Peter Flosbach dargestellt.
Ich wiederhole die Ausführungen zur Behandlung der Verlustvorträge, zum Alter der Firmen und zur Höhe des Eigenkapitals nicht. Ich gehe nicht auf die einzelnen Bedingungen für die Business-Angels und die Erhöhung der Freigrenzen beim Verkauf ihrer Anteile ein. Ich spreche auch nicht über die transparente Besteuerung. Dies alles sind Elemente einer Strategie, die in dem begrenzten Umfang, der uns gegeben war, richtig ist.
Hierzu hat die Expertenkommission Forschung und Innovation der Bundesregierung gesprochen. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Bundesregierung hat am 17. Juni 2008 ebenfalls dazu gesprochen.
Sie sagen, wir könnten uns hier eigentlich noch sehr viel mehr wünschen.
Sie sagen aber auch, dass das ein Schritt in die richtige Richtung ist.
Lesen Sie einmal bei den Kirchenvätern nach: Melius est in via claudicare, quam praeter viam fortiter ambulare - besser ist es auf dem rechten Weg, und sei es auch manchmal, zu humpeln, als auf dem falschen Weg wacker voranzuschreiten.
Insofern sind wir noch nicht da, wo wir hinwollen. Das sagen auch die Bundesregierung, der Bundesrat und die Sachverständigen aus den verschiedenen Kommissionen. Die Richtung stimmt aber. Weil wir wissen, dass wir noch nicht da sind, wo wir hinwollen, ist beschlossen, dass in zwei Jahren das, was geschehen ist, evaluiert wird.
Dann wird es sehr konkrete Fragen geben. Es wird dann gefragt: Sind die Grenzen - Höchstalter von zehn Jahren und 20 Millionen Euro Eigenkapital - zu eng gesteckt? Schneiden wir damit nicht gerade diejenigen von der Beteiligung ab, die den Durchbruch zu wirklich großen Unternehmen schaffen können? Brauchen wir nicht gerade sie?
Von den größten 55 Unternehmen, die seit 1960 gegründet worden sind, befinden sich 53 in den USA und zwei in Europa. Das ist nicht das, was Europa für seine Zukunft braucht. Hier müssen wir schauen, ob wir genauer ansetzen können.
Wir werden zu prüfen haben, wie viele neue Wagniskapitalfonds es in zwei Jahren tatsächlich geben wird. Frau Scheel, ich glaube, Sie waren es, die davon sprach, dass das nach aktuellen BVK-Umfragen wahrscheinlich nur wenige sein werden. Wir werden schauen, wie viele Unternehmen in unserem Land neu gegründet worden sind; denn all dies wollen wir. Wir werden dann auch sehen, wie hoch die tatsächlichen Kosten für die Steuerzahler sind und ob die Business-Angels einsteigen oder ob sie noch zögern, weil die Bedingungen hier nicht gut sind. Wir werden dann schauen, ob wir die Bedingungen von Frankreich und England auf Deutschland übertragen können. Das sind unsere Vorbilder. Wir werden prüfen, ob die geteilte Aufsicht zwischen den Länderwirtschaftsministern für die Unternehmensbeteiligungsgesellschaften und der BaFin für die Wagniskapitalgesellschaften sinnvoll ist.
An einige dieser Punkte gehen wir heran. Vom Ergebnis müssen wir es abhängig machen, wie die nächste Runde sein wird. Wir alle wollen das Gleiche: eine dynamische Volkswirtschaft und mehr Gründer in der Spitzentechnologie. Frau Hauer hat schon zu Beginn ihrer Rede von den 70 000 Patenten und unserer Mächtigkeit im Erfinden der Zukunft gesprochen. Aber an der Umsetzung in die Wirklichkeit, also in Arbeitsplätze, müssen wir arbeiten. Hier die optimalen Bedingungen herauszuarbeiten, wird unsere Aufgabe sein.
In zwei Jahren wissen wir mehr. Voraussichtlich wird auch dann das Geld relativ knapp sein. Voraussichtlich werden wir in einer sehr viel härteren internationalen Konkurrenz stehen. Dann müssen wir abwägen. Der Finanzminister hat auch dann sein pflichtgemäß steinernes Herz.
Aber in der Tiefe seiner Brust glimmt doch der Funke des Unternehmungsgeistes, der Freude am Neuen, der Begeisterung, eine Zukunft für Deutschland auch mit den Mitteln des Finanzministers zu entfesseln.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Riesenhuber, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.
Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU):
Mit dem Wunsch, aus der Tiefe des Herzens die Zukunft zu bauen, Herr Finanzminister, mit der Begeisterung am Wettbewerb, die wir auch vom Fußball kennen, mit der Begeisterung, die Sie auch am Sonntag beim Endspiel haben werden, sollen Sie an das Thema Wagniskapital und damit an die Zukunft der deutschen Firmen herangehen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Mir ist, Herr Kollege Riesenhuber, am Ende nicht ganz deutlich geworden, ob Sie hiermit den Einsatz des Bundesfinanzministers am Sonntagabend als Bestandteil der deutschen Mannschaft ausdrücklich beantragen wollten.
- Nach der großzügigen Überschreitung Ihrer Redezeit denke ich jetzt nicht daran, für eine mögliche Klarstellung zusätzliche Kapazitäten zur Verfügung zu stellen.
Im Übrigen habe ich vorhin bei Ihrem lateinischen Zitat gedacht: Wenn sich noch größere Teile der Debattenbeiträge in lateinischer Sprache vortragen ließen, würde das Maß an Meinungsverschiedenheiten in der Aussprache vermutlich deutlich geringer.
Wenn wir dann in diesem Zusammenhang wenigstens für Business-Angel einen lateinischen Begriff fänden, wenn uns schon kein deutscher einfällt,
hätten wir vielleicht sogar einen Beitrag zur größeren Verständlichkeit der deutschen Gesetzgebung geleistet.
Nun hat der Kollege Dr. Gerhard Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt bin ich natürlich gezwungen, in der Fußballterminologie weiterzumachen.
- Oder auf Lateinisch. Da mein Lateinunterricht schon etwas zurückliegt, möchte ich lieber beim Thema Fußball anknüpfen. Ich glaube, hier ist ein guter Vergleich möglich.
Wenn wir zu der Frage der Kreditverkäufe kommen, dann geht es um das Stichwort - Sie entschuldigen, dass ich es auf Englisch sage - Level Playing Field,
die Frage, ob das Spielfeld eben ist. Beim Fußball ist das eine ganz entscheidende Frage. Deswegen ist jedes Stadion so gebaut, dass beide Tore auf gleicher Höhe sind und beide Mannschaften ein ebenes Feld haben. Die Frage ist, wie es auf den Finanzmärkten zugeht und wie das Verhältnis zwischen dem Kreditnehmer und dem ist, der die Forderung in den Händen hält. Dieses Verhältnis hat sich in den letzten Jahren verschoben. Es ist nämlich so, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher sozusagen bergauf spielen müssen. Genau das ist die Verschiebung.
Damit sieht man bei diesem Bild sehr deutlich: Von sozialer Marktwirtschaft können wir nur dann reden, wenn das Spielfeld eben ist. Durch Veränderungen auf den Finanzmärkten und durch Veränderungen in Bezug auf die Globalisierung, die dazu führen, dass Kredite weiterverkauft werden, kommt es zu keinem fairen Ausgleich auf Augenhöhe mehr.
Jetzt behauptet Herr Krüger, dass dieses Missverhältnis mit dem neuen Risikobegrenzungsgesetz wieder in Ordnung gebracht wird, sodass Verbraucherinnen und Verbraucher wieder auf Augenhöhe mit denen sind, die die Forderung in der Hand haben, sei es die Bank, sei es der erste, der zweite oder dritte Käufer, weil Kreditforderungen sehr häufig verkauft werden. Genau darin widerspreche ich Ihnen. Sie bringen die Verbraucherinnen und Verbraucher zwar wieder ein Stück weit in eine stärkere Position, aber das ebene Spielfeld wird nicht erreicht.
Genau das ist aber das Ziel einer verbraucherorientierten Politik, die wir auch auf den Finanzmärkten brauchen und die wir Grünen schon vor einem Jahr im Bereich der Kreditverkäufe angestoßen haben, als wir gefordert haben, dass dies wieder auf Augenhöhe gelingen muss.
Es geht um folgende drei Punkte: Erstens. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher waren überrascht, als sie plötzlich von irgendjemandem unter dem Stichwort Zwangsvollstreckung angeschrieben wurden, mit dem sie nie ein Geschäftsverhältnis hatten. Das gehen Sie an, indem Sie eine sechsmonatige Kündigungsfrist einräumen und fordern, dass im Vertrag und bei Verkauf informiert wird.
Zweitens. In der Frage, wann ein Kredit gekündigt werden darf, gehen Sie die Sache nur halb an. Da bleibt das Spielfeld schief. Sie klären zwar die Frage des Zahlungsverzugs, aber nicht die des Wertverfalls. Heute kann der Forderungsinhaber schon dann kündigen, wenn nur ein Wertverfall droht. Das ist für die vielen Menschen, die in ländlichen Regionen - gerade auch im Osten unseres Landes - Immobilienkredite haben, sehr schwierig, weil dort die Sicherungen an Wert verlieren und ein Kredit sehr schnell gekündigt werden kann. Hier wäre eine klare Regelung notwendig gewesen.
Drittens besteht in Deutschland viel zu leicht die Möglichkeit der Vollstreckung in die Grundschuld. Das heißt konkret, dass es für Verbraucherinnen und Verbraucher schwierig ist, sich gegen eine Zwangsvollstreckung zu wehren. Auch dabei bleiben Sie auf halbem Wege stehen.
Richtig ist, dass eine stärkere Koppelung durch die Sicherungsabrede erfolgt. Das haben Sie richtig dargestellt. Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen sich aber erst wieder in einem Rechtsstreit, bei dem sie kundig sein müssen und in dem eine Sicherheitsleistung erforderlich ist, gegen eine Verletzung ihrer Rechte wehren.
Herr Dautzenberg hat das im Ausschuss sehr gut ausgedrückt. Das heutige Recht ist für Kundige gar nicht so schlecht, aber für Unkundige ist es extrem schwierig. Diese Problematik bleibt bestehen.
Deswegen haben wir als Grüne als zentrales Sicherungsnetz vorgeschlagen, dass immer ein Sanierungsversuch zu unternehmen ist, bevor vollstreckt wird. Wir wollen ein sicheres Netz einziehen, damit der Verbraucher nicht mit dem Rücken zur Wand steht oder - um beim Fußball zu bleiben - bergauf spielen muss. Das erreichen Sie mit Ihrem Gesetzentwurf nicht.
Lassen Sie mich abschließend noch etwas zur FDP sagen. Ich fand die Unterschiede der beiden Redebeiträge der Schäffler-FDP und der Ahrendt-FDP interessant. Auf der einen Seite wurde festgestellt, dass mit dem Risikobegrenzungsgesetz Investitionen verhindert würden und dass dieses Gesetz ein weiteres Beispiel für ein ständiges Eingreifen sei - dabei ist im Kern des Gesetzentwurfs wenig enthalten, was die Kapitalmärkte verändern würde; es erreicht nicht mehr als einen Hauch von Transparenz -; auf der anderen Seite hat Herr Ahrendt gefordert, dass wir mehr zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher tun.
Ich kann Ihnen darin zustimmen, dass es notwendig gewesen wäre, bei den Forderungsverkäufen mehr für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu tun. Dann müssten Sie aber auch endlich Ihre marktradikale Position, die besagt, dass man nicht in den Markt eingreifen darf, zu den Akten legen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nun hat der Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück, das Wort.
Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen:
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin Herrn Riesenhuber sehr dankbar, dass er das komplexe Thema der Wagniskapitalfinanzierung in seinem Schlussakkord zielführend auf das Endspiel der Europameisterschaft hingeführt hat. Auf die Frage des Herrn Präsidenten, ob Ihre Ermunterung an meine Adresse auch darauf hinauslaufen könnte, dass ich einen aktiven Part dabei spielen sollte, möchte ich Ihnen nicht vorenthalten, was Herr Dautzenberg mir zurief: ?Aber wir wollen doch gewinnen!? - Recht hat er.
Als ich einige Reden verfolgte, war ich fasziniert davon, welcher Spagat sich dabei auftut. Aus der Rede von Herrn Troost, in der es in der Tat nicht um Wagniskapitalfinanzierung ging, hatte man den Eindruck, dass wir mit einem solchen Gesetzentwurf, wie er heute verabschiedet werden soll, die Knechte eines internationalen Finanzkapitals würden. Sie haben die antikapitalistischen Reflexe in allen Tönen rauf- und runtergespielt.
Das macht keinen Sinn.
Die FDP argumentiert dagegen, das Ganze sei eher ein Investitionsbegrenzungsgesetz, und den angeblich so interessenfreien Renditevorstellungen der Investoren müsse viel mehr Raum gegeben werden. Das Ganze zeugt geradezu von einer ungeheuren Risikovergessenheit, als ob wir es nicht mit einer ganzen Reihe von Risiken in der Entwicklung der Finanzwirtschaft sowohl national als auch international zu tun hätten. Man hat den Eindruck, dass man mit einem mittleren Weg, einer Common-Sense-Position und einem gesunden Menschenverstand bei den beiden Gesetzentwürfen, die heute verabschiedet werden, eigentlich ganz gut und richtig aufgehoben ist.
Ich will gleich zu Beginn folgende Tatsache sehr deutlich machen: Es gibt kein anderes Land, das international so vernetzt ist und in seiner Wohlstandsentwicklung von Außenwirtschaftsbeziehungen so abhängig ist wie die Bundesrepublik Deutschland. Das heißt, jeder, der das Chancenpotenzial der globalen und internationalen Entwicklung in Abrede stellt, weil er die damit verbundenen Risiken so hochstilisiert, dass man gar keinen Blick mehr für die Chancen hat, hält ein Plädoyer für Wohlstandsverluste in der Bundesrepublik Deutschland.
Wir müssen den Menschen vermitteln, dass Deutschland ein massives Interesse hat, seine Außenwirtschaftsbeziehungen weiterzuentwickeln sowie an den vernetzenden und integrierenden Effekten oder Entwicklungen weiter teilzuhaben. Dazu gehören nicht nur eine sehr starke Realwirtschaft - diese haben wir als Exportweltmeister -, sondern auch eine eigene Finanzwirtschaft, die mit den weltweiten Entwicklungen in etwa mithalten kann.
Daher macht die ständige Verleumdung, die ständige Diskreditierung - so schwierig die Prozesse auch sein mögen - keinen Sinn. Das bedeutet nicht, dass man die damit verbundenen Risiken verleugnen sollte, die gerade in der Finanzmarktkrise offenbart werden.
- Aber beides bitte. - Ich möchte außerdem darauf hinweisen, dass das deutsche Bankensystem bzw. die Finanzdienstleister in Deutschland inzwischen einen hohen Stellenwert haben und mit 1,3 Millionen bzw. 1,4 Millionen hochqualifizierten Arbeitsplätzen rund 4 Prozent zu unserem Bruttosozialprodukt beitragen.
Das heißt, die Diffamierung, die Verleumdung oder die Bedienung von Vorurteilen und Antireflexen in diesem Zusammenhang hat in meinen Augen nichts mit politischer Verantwortung zu tun.
Damit ich nicht missverstanden werde: Nationale und internationale Finanzmärkte sind für uns sehr wichtig. Sicherlich ist die Schieflage zwischen einer sehr starken Realwirtschaft und im Vergleich dazu einer unterentwickelten Finanzwirtschaft in Deutschland sehr groß. In Großbritannien ist es umgekehrt. Großbritannien hat fast seine gesamte industrielle Basis aufgegeben und dafür eine riesige Finanzwirtschaft geschaffen, übrigens mit hoher Anfälligkeit gegenüber den damit verbundenen Risiken. Vor diesem Hintergrund ist nicht in Abrede zu stellen - ich finde, das sehen Sie von der FDP nicht richtig -, dass die Finanzmärkte erhebliche unerwünschte Risiken, fehlerhafte Entwicklungen und Exzesse als Begleiterscheinungen haben und dass alleine der Markt das keineswegs richtet. Herr Schäffler und Herr Ahrendt, wenn wir in der Rationalität einen Marktmechanismus hätten, dann hätte es zu der aktuellen Finanzmarktkrise gar nicht kommen dürfen, weil die selbstdisziplinierenden Kräfte des Marktes dafür hätten Sorge tragen müssen, dass dieser fast eingetretene Super-GAU auf den Finanzmärkten nicht stattfindet.
Diese Analyse führt automatisch dazu, dass Spielregeln erlassen werden müssen. Wir wissen, dass die Spielregeln vor dem Hintergrund des freien Kapitalverkehrs nicht nur unter den Bedingungen der Europäischen Union, sondern auch darüber hinaus nicht allein auf nationalstaatlicher, sondern nur noch auf internationaler Ebene funktionieren können.
In den letzten acht, neun Monaten hat sich hier einiges getan. Den Menschen muss sicherlich vermittelt werden, dass es sich um komplexe Sachverhalte handelt. Aber wir sind im Hinblick auf das Erlassen von Spielregeln weitergekommen. Ich nenne als Beispiele die kritische Betrachtung der Ratingagenturen, die Tatsache, dass Exzesse nicht mehr in dem Maße möglich sind, weil kein Eigenkapital mehr unterlegt werden muss, die Definition von Liquiditätsstandards und die Verbesserung der die Grenzen der Nationalstaaten übergreifenden Aufsicht. Hier hat sich einiges entwickelt, was gelegentlich auch in Ihren Analysen einen größeren Stellenwert haben sollte, wenn Sie nicht nur meinungsstark und faktenschwach, sondern auch faktenstark sein möchten.
Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen stellt, wie ich finde, einen richtigen und wichtigen Schritt dar. Er hat eindeutig auch etwas mit Defiziten in der Marktentwicklung zu tun. Nach unserer Analyse wird in Deutschland Wagniskapital - da stimme ich Herrn Riesenhuber zu - vom Markt nicht in dem Ausmaß zur Verfügung gestellt, wie dies eigentlich notwendig wäre. Das heißt, hier ist staatliches Handeln geboten, und dem werden wir gerecht: durch eine sogenannte transparente Besteuerung ausschließlich auf der Ebene des Anlegers.
- Man kann nicht beides haben; man kann doch nicht immer alles haben. Im Übrigen wird es auch uferlos. Ich entnehme Ihren Worten, Herr Schäffler, dass Sie glauben, wir hätten die Private-Equity-Branche insgesamt steuerlich besserstellen müssen. Weshalb? Weshalb sollen wir denen steuerliche Vorteile gewähren? Sie sollen ihre Rendite erzielen, aber warum denn mit dem Geld des Steuerzahlers?
Es gibt überhaupt keinen Grund, dies zu fordern, nach dem Motto: Wenn der Steinbrück schon einmal dabei ist, gewisse Steuererleichterungen in einem begrenzten Rahmen zu gewähren, warum dann nicht gleich mit der Gießkanne Steuerleichterungen für die gesamte Private-Equity-Branche? Ich deute nur an, dass es sich da um Volumina handelt, die jeder anderen haushaltspolitischen Zielsetzung deutlich entgegenwirken.
Ich habe in diesem Zusammenhang ebenfalls nie verstanden, warum Sie aufgrund Ihrer ordnungspolitischen Vorstellungen - zumindest subkutan - einer Art steuerlicher Rundumförderung das Wort reden.
Aus Zeitgründen und weil in den meisten vorherigen Beiträgen, angefangen bei dem von Frau Hauer, darauf hingewiesen worden ist, will ich auf diesen Gesetzentwurf nicht weiter eingehen.
Ich möchte noch einmal Folgendes deutlich machen: Ich glaube, dass es richtig ist, sich auch mit den Risiken zu beschäftigen und gewissen Fehlentwicklungen auf nationalstaatlicher Ebene mit einem solchen Risikobegrenzungsgesetz einen Riegel vorzuschieben. Im Übrigen kritisiere ich all diejenigen, die so tun, als ob der Staat da gar nicht eingreifen müsste. Dass der Staat eingreift, ist der explizite Wunsch der Branche selber gewesen. Der Inhalt dieses Gesetzentwurfs entspricht zum überwiegenden Teil den Vorschlägen der Branche.
Das haben sich doch nicht irgendwelche verrückt gewordenen Politiker ausgedacht.
Wir wollen damit die Transparenz stärken. Wir wollen mehr Rechtssicherheit auf dem Kapitalmarkt. Wir wollen, dass der Einfluss, den Investoren allein oder gemeinsam auf Unternehmen ausüben, in Übereinstimmung mit ihrem Stimmrechtsanteil steht und nicht darüber hinausgeht. Wir wollen verhindern, dass leistungsfähige Unternehmen durch die übermäßige Belastung mit Krediten ausgeplündert werden. Sie alle kennen diesen Mechanismus: Der Preis, den man zum Aufkauf eines Unternehmens zahlt, wird dadurch refinanziert, dass man sich dieses Geld über Sonderausschüttungen zurückholt. Wir wollen, dass vor allem diejenigen, die von solchen Übernahmen in der Regel als Erste negativ berührt sein können, nämlich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Informationsrechte bekommen und sich darauf einstellen können.
- Im Rahmen dessen, was das deutsche Mitbestimmungsrecht ihnen eröffnet, dürfen und sollen sie auch mitbestimmen. Sie wissen, dass die Mitbestimmungsgesetzgebung in Deutschland im internationalen Vergleich nicht die schlechteste ist.
Ich will einem verbreiteten Vorurteil entgegenwirken, das auch Herr Troost bedient hat. Sie alle kennen die Medienberichte über den Verkauf von Immobilienkrediten durch Banken und die dadurch bei den Immobilienkäufern ausgelösten Verunsicherungen. Viele Menschen haben den Eindruck, ihre Hypothekenverträge fänden sich plötzlich ganz woanders wieder und es könnte jemand kommen, an der Wohnungstür klingeln und sagen: Jetzt hast du die Zwangsvollstreckung vor dir. Vor dem Hintergrund dieser enormen Verunsicherung will ich hier zwei Klarstellungen machen:
Erstens. Kreditverkäufe sind weltweit ein wichtiges Refinanzierungsinstrument für Banken.
Es macht insgesamt keinen Sinn, diese Kreditverkäufe zu diskreditieren; denn von diesem Refinanzierungspotenzial profitieren alle Kunden von Sparkassen, Genossenschaftsbanken und anderen Banken: Kredite werden dadurch billiger. Das muss ausgesprochen werden.
Zweitens - mir ist sehr daran gelegen, darauf hinzuweisen -: Bisher sind in Deutschland keine Fälle bekannt, in denen nach Erwerb einer Hypothek durch Finanzinvestoren trotz ordnungsgemäßer Bedienung dieser Kredite eine Zwangsvollstreckung erfolgt ist.
Das gibt es nicht.
- Nein, das gibt es definitiv nicht. Verbreiten Sie doch nicht diesen Schwachsinn!
- Die Bedingung ist: wenn der Kredit ordnungsgemäß bedient wird. Wenn ein Kredit nicht ordnungsgemäß bedient wird, dann kommt man in eine schwierige Lage. Dazu muss ich ehrlich sagen: Da wird auch Vater oder Mutter Staat nicht jedem Kreditnehmer die Risiken von der Backe nehmen können. Das ist nicht unsere Aufgabe.
Mit diesem Teil des Risikobegrenzungsgesetzes ist klar, dass Banken die Verbraucher künftig vor Vertragsabschluss - also nicht von hinten durch die Brust ins Auge - darüber informieren, ob ein Kredit verkäuflich ist oder nicht. Es steht dem Kunden dann offen, selber zu entscheiden, ob er anderswo einen entsprechend garantierten Kreditvertrag abschließen will.
Auch deshalb haben wir in diesen Gesetzentwurf - ich bin dankbar, dass die Koalitionsfraktionen zu diesem Ergebnis gekommen sind - gezielt kein Sonderkündigungsrecht aufgenommen; denn ein solches Sonderkündigungsrecht würde dazu führen, dass die Zinsen steigen,
weil das Geschäft für die Banken unkalkulierbarer wird, weil sie dann keine Vorfälligkeitsentschädigung mehr bekommen würden. Das würde automatisch zu einer Verteuerung der Kredite führen. Insofern ist die Tatsache, dass wir kein Sonderkündigungsrecht im Gesetz haben, im Sinne des Verbrauchers, der auf diese Weise niedrigere Zinsen zu zahlen hat.
Gerade in der jetzigen Situation, vor dem Hintergrund einer noch nicht ausgestandenen Finanzkrise, sind wir darauf angewiesen, Vertrauen in die Finanzmärkte zurückzugewinnen; denn wir brauchen diese Finanzmärkte für eine Volkswirtschaft in der Dimension der Bundesrepublik Deutschland. Von Verantwortlichen ist Vertrauen missbraucht worden; wir haben es mit Exzessen zu tun, wie ich gesagt habe. Aber es macht keinen Sinn, auf dieser Klaviatur der Vorurteile und Reflexe weiterzuspielen. Bundestag und Bundesregierung sind gemeinsam aufgefordert, alles zu tun, damit Vertrauen in die Finanzbeziehungen in der Bundesrepublik Deutschland zurückgewonnen werden kann.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Leo Dautzenberg ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Leo Dautzenberg (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach intensiver Beratung verabschieden wir heute nicht nur das Gesetz zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen, sondern auch das Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken oder kurz: das Risikobegrenzungsgesetz.
Auch wenn die Bezeichnung des Gesetzes anderes suggerieren mag, betone ich gleich zu Beginn: Es geht bei dem Gesetz nicht an erster Stelle um Regulierung und den Aufbau von Schutzzäunen. Nein, Transparenz ist das entscheidende Stichwort.
Ziel des Gesetzes ist es, den Finanzmarkt, insbesondere mit Blick auf die großen Finanzinvestitionen, transparenter zu machen. Alle Marktteilnehmer, vom Emittenten bis zum Kreditnehmer, sollen informiert sein. Sie sollen die Informationen erhalten, die sie brauchen, um im Finanzmarktgeschehen auf Augenhöhe mit den anderen Akteuren agieren zu können. Dieses Ziel erreichen wir mit den Gesetzesänderungen, auf die wir uns im parlamentarischen Verfahren verständigt haben. Das gilt ausdrücklich auch für das neue Maßnahmenpaket zu den Kreditverkäufen, das ursprünglich im Regierungsentwurf nur als Prüfauftrag enthalten war.
Doch zunächst zum originären Teil des Risikobegrenzungsgesetzes. Dieser Teil umfasst diverse transparenzverbessernde Maßnahmen im Bereich des Aktien- sowie des Wertpapierhandelsrechtes. Ein gutes Beispiel für verbesserte Transparenz in diesem Bereich sind die verschärften Anforderungen an das Aktienregister mit Blick auf die Namensaktien. Meine Fraktion unterstützt die bereits im Regierungsentwurf enthaltene Verschärfung ausdrücklich. Es ist das gute Recht der Emittenten von Namensaktien, zu erfahren, wer ihre wahren Aktionäre sind. Ebenso verständlich ist der Wunsch einiger börsennotierter Unternehmen, mehr über die Absichten der Inhaber wesentlicher Beteiligungen an ihren Unternehmen zu erfahren. Dafür sieht das Gesetz diverse neue Meldepflichten vor.
Ich möchte an dieser Stelle nicht verschweigen, dass meine Fraktion hier durchaus Bedenken hatte. Im internationalen Vergleich ist ein derartiges Meldesystem nicht üblich. Zudem haben wir mit dem Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz jüngst erst EU-Anforderungen in diesem Bereich umgesetzt. Ich bin daher froh, dass wir uns in den Beratungen dazu entschlossen haben, die ursprünglich fünf Meldepflichten auf vier zu reduzieren. Zudem ermöglichen wir es den Unternehmen, per Satzungsbeschluss einen Verzicht auf sämtliche Meldungen zu erklären.
Neben dieser Verbesserung des Gesetzentwurfs haben wir uns im parlamentarischen Beratungsverfahren auf weitere Änderungen verständigt, die den Marktgegebenheiten besser gerecht werden. Besonders wichtig ist mir dabei die Konkretisierung der Regelung zu dem abgestimmten Verhalten von Investoren, dem sogenannten Acting in Concert. Mit der neuen Regelung schaffen wir mehr Rechtssicherheit und stellen klar, dass ein abgestimmtes Verhalten immer nur dann den Tatbestand des Acting in Concert erfüllt, wenn es auf dauerhafte Wirkung abzielt, und nicht, wenn auch Investoren sich darüber absprechen, wie beispielsweise eine Ausschüttungspolitik eines Unternehmens gewährleistet werden soll. Das gehört im Grunde zum aktiven Handeln und nicht zum Acting in Concert.
Ebenso wichtig ist mir eine Klarstellung im Bericht des Finanzausschusses zu den neuen Informationspflichten für nicht börsennotierte Unternehmen im Betriebsverfassungsgesetz. So verständlich die Informationswünsche von Arbeitnehmern bei Übernahmen sind, so muss klar sein, dass dadurch nicht die Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse des Unternehmens gefährdet sein dürfen. Das haben wir im Bericht des Finanzausschusses ausdrücklich betont.
Erlauben Sie mir nun einige Worte über das Maßnahmenpaket zur Verbesserung des Schutzes beim Verkauf von Immobilienkreditforderungen. Dieser Punkt war, wie bereits eingangs erwähnt, im Entwurf des Risikobegrenzungsgesetzes ursprünglich nur als Prüfhinweis der Bundesregierung enthalten. Wie auch die Anträge der FDP, der Grünen und der Linken deutlich machen, hat die Diskussion darüber im Parlament in den letzten Wochen und Monaten einen breiten Raum eingenommen. Quer durch alle Fraktionen und Fachbereiche lautete die Frage: Wie viel Schutz brauchen die Verbraucher, brauchen die Unternehmen, wenn Banken ihre Immobilienkredite oder auch Betriebsmittelkredite an andere Banken oder auch an Finanzinvestoren verkaufen? Die Antwort darauf war nicht leicht, zumal unsere Beratungen von, wie auch der Finanzminister schon betont hat, teils Panik verbreitender, sachlich falscher Medienberichterstattung begleitet waren. Umso mehr freut es mich, dass wir uns am Ende auf ein ausgewogenes, vernünftiges Maßnahmenpaket verständigt haben. Meine Fraktionskollegen aus dem Rechtsausschuss und aus dem Verbraucherausschuss werden auf die Einzelheiten noch eingehen.
Als Finanzpolitiker begrüße ich das Ergebnis deshalb, weil es sowohl die berechtigten Schutzinteressen der Verbraucher und Unternehmen aufgreift als auch die betriebswirtschaftlichen Belange der Kreditwirtschaft berücksichtigt. Wir begegnen mit den Maßnahmen dem tatsächlichen Kern der Probleme: Wir beheben das Informationsdefizit aufseiten der Kreditnehmer und verbessern bei der Grundschuld ihren Schutz vor ungerechtfertigter Zwangsvollstreckung. Künftig muss jede Bank ihre Kunden vor Vertragsabschluss explizit über die Möglichkeit des Kreditverkaufs aufklären. So erhält der potenzielle Kreditnehmer rechtzeitig die Möglichkeit, einen solchen Verkauf eben auch auszuschließen.
Erleichtert bin ich auch darüber, dass wir auf sämtliche Maßnahmen verzichtet haben, die den Kreditverkauf grundsätzlich eingeschränkt hätten. Schließlich wären davon nicht nur offene Abtretungen an Finanzinvestoren, sondern sämtliche Variationen des Kreditverkaufs von ABS-Transaktionen bis hin zum Pfandbrief betroffen gewesen. Das hätte erhebliche Auswirkungen auf den deutschen Finanzplatz gehabt und letztlich auch den Kreditnehmern geschadet. So hätte beispielsweise ein Sonderkündigungsrecht die verbraucherfreundliche deutsche Kultur des Langfristzinses gefährdet und insgesamt mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Verteuerung der Kredite beigetragen. Es ist daher gut, dass wir uns hier in Verzicht geübt haben.
Für meinen Teil darf ich also abschließend zum Kreditverkauf sagen: Die intensive und fachübergreifende Beratung des Themas mit Rechts-, Verbraucher- und Finanzpolitikern hat sich gelohnt. Das Maßnahmenpaket ist in allen Belangen ausgewogen. Das gilt auch für sämtliche Maßnahmen des Risikobegrenzungsgesetzes, die ich eingangs skizziert habe. Ich werbe daher um die Zustimmung zum Gesetz.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Marianne Schieder für die SPD-Fraktion.
Marianne Schieder (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ziel des Gesetzentwurfes, über den wir heute diskutieren, ist es, unerwünschten Entwicklungen in Bereichen, in denen Finanzinvestoren tätig sind, entgegenzuwirken. Zu diesen unerwünschten Entwicklungen - das ist heute schon mehrfach erwähnt worden, und das zeigten vor allem Medienberichte auf - gehört die Gefahr für Privatpersonen, die mit einem Kredit ihr Eigenheim finanzieren, dazu wie üblich ihr Grundstück mit einer Grundschuld belasten und sich der Zwangsvollstreckung unterwerfen, plötzlich mit einem ganz anderen Gläubiger konfrontiert und in einen Strudel von unwägbaren Risiken gezogen zu werden. Insbesondere wurde darüber diskutiert, ob durch den Weiterverkauf von solchen Kreditverträgen ein Erwerber auch dann Immobilienvermögen vollstrecken könne, wenn Kredite ordnungsgemäß bedient wurden.
Im Nachhinein - auch ich möchte das betonen - hat sich herausgestellt, dass bisher in dieser öffentlichen Debatte unnötige Ängste geschürt wurden und sich die dargestellten Fälle nicht so zugetragen haben, sondern Fälle konstruiert worden sind. Aber die entfachte Diskussion machte deutlich, dass gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Selbstverständlich haben wir Verbraucher-, Rechts- und Finanzpolitikerinnen und -politiker der Großen Koalition uns daraufhin sehr intensiv mit den aufgeworfenen Fragen beschäftigt und zusammen sehr gute Lösungen gefunden, Lösungen, die Rechtsklarheit und Rechtssicherheit schaffen, Lösungen, die den Banken klare Regelungen vorgeben, ohne sie in ihren Möglichkeiten unzweckmäßig einzuschränken, und Lösungen, die für die Verbraucherinnen und Verbraucher sicher den gewünschten Schutz bringen.
Wenn schon beim Abschluss eines Kreditvertrages eine mögliche Verkaufsoption in Form eines deutlich gestalteten Hinweises dargestellt werden muss, wenn ein Verweis in den allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht ausreicht und wenn Klauseln in AGBs, die sozusagen durch die Hintertür und oft unbemerkt eine Zustimmung des Kreditnehmers zur Auswechselung des Vertragspartners zur Folge haben, unwirksam sind, dann haben es die Verbraucherinnen und Verbraucher doch in der Hand, dafür zu sorgen, dass ihr Kredit eben nicht weiterverkauft und diese Zusage eingehalten wird.
Inzwischen bieten viele Kreditinstitute von sich aus ihren Kunden Kredite an, die eben nicht weiterverkauft werden. Ebenso viele Kreditinstitute bieten den Verbraucherinnen und Verbrauchern an, auch bei laufenden Geschäften die Altverträge so zu verändern, dass ein Verkauf ausgeschlossen wird. Mein Appell geht von hier aus an alle Verbraucherinnen und Verbraucher und vor allem an die Häuslebauer in diesem Land, sich um ihre Verträge zu kümmern und von der Möglichkeit, Altverträge nachbessern zu lassen, Gebrauch zu machen.
Der Kündigungsschutz des Verbrauchers - Herr Kollege Krüger hat es ausführlich dargestellt - ist erheblich verbessert worden. Es wird so sein, dass kein Hausbesitzer mehr Angst zu haben braucht, dass eines Tages ein neuer Gläubiger auftaucht und plötzlich die Zwangsvollstreckung in sein Grundstück betreiben kann, indem er sich auf die von ihm erworbene Grundschuld und die Unterwerfungserklärung in die Zwangsvollstreckung beruft. Die Neuregelung der Sicherungsgrundschuld wird gewährleisten, dass kein gutgläubiger Erwerb einer einredefreien Grundschuld mehr möglich ist.
Es wird gewährleistet, dass der Kreditnehmer gegenüber dem Finanzinvestor die gleichen Einreden geltend machen kann, die er auch gegenüber seinem ursprünglichen Vertragspartner hätte geltend machen können.
Die Möglichkeit der Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung verbessert zusätzlich die Position des Häuslebauers und der Häuselbauerin. Es ist natürlich gut für die Verbraucherinnen und Verbraucher, dass es einen verschuldungsunabhängigen Anspruch auf Schadensersatz gibt, wenn unzulässige Zwangsvollstreckungen betrieben werden.
Darüber hinaus wird ein Verbot von Vereinbarungen eingeführt, nach denen die Grundschuld ohne Kündigung fällig werden soll. Dem besonderen Schutzbedürfnis kleiner und mittelständischer Betriebe wird in Zukunft durch die Einführung nichtabtretbarer Unternehmungskredite Rechnung getragen. Denn solche Vereinbarungen - das ist heute noch nicht zur Sprache gekommen; zumindest habe ich es nicht gehört - sind ja zurzeit bei beiderseitigen Handelsgeschäften unwirksam.
Als Sozialdemokraten war und ist es uns wichtig, dass Menschen, dass Familien nicht um ihr hart erarbeitetes Eigenheim bangen müssen oder sogar darum gebracht werden können, nur weil ihr Kredit an Finanzspekulanten verkauft worden ist. Es darf nach unserer Auffassung bei Kreditgeschäften nicht nur um die schnelle Realisierung hoher Renditen gehen. Die Kreditnehmer dürfen nicht zu Leidtragenden von Kreditverkäufen werden. Es ist sehr gut, dass diese neuen gesetzlichen Regelungen in das Risikobegrenzungsgesetz aufgenommen werden. Damit ist in Sachen Verbesserung des Verbraucherschutzes ein großer Wurf gelungen. Für den einzelnen Kreditnehmer werden die Vorgänge im Finanzmarkt leichter durchschaubar. Gleichzeitig sind die einzelnen Instrumente angemessen, sodass einerseits Rechtssicherheit und Transparenz gewährleistet werden, andererseits keine unnötigen Kosten und Hemmnisse entstehen.
Die Sorgen der Menschen wurden von uns sofort aufgenommen und ernst genommen. Es wurde wirksam Abhilfe geschaffen, und es wird im Sinne des Gesetzes praktikable und wirksame Risikobegrenzung betrieben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte deshalb um Ihre Zustimmung zu unseren Vorschlägen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält der Kollege Norbert Geis, CDU/CSU-Fraktion.
Norbert Geis (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte eingangs anmerken, dass wir diese nicht ganz einfache rechtliche Materie in einer sehr ruhigen Atmosphäre - schon innerhalb der Fraktion, dann innerhalb der Koalition und schließlich auch im Ausschuss - beraten haben und versucht haben, das Ganze ordentlich über die Bühne zu bringen, um ein gutes Gesetz zu formulieren. Dafür herzlichen Dank.
Wir beobachten seit geraumer Zeit eine Veränderung im Geschäftsgebaren der Banken. Durch Basel II sind die Banken gezwungen, bei der Vergabe von Krediten ihr Eigenkapital stärker zu binden. Sie verkaufen Kredite, um dadurch Spielraum für die Vergabe neuer Kredite zu gewinnen. Das bedeutet für den Verbraucher, dass er sich plötzlich einem ganz anderen Gläubiger gegenübersieht. Er war mit seiner Bank in Verbindung, und plötzlich meldet sich, vielleicht sogar aus einem anderen Teil der Welt, ein neuer Gläubiger und versucht, seine Rechte geltend zu machen. Das führt zu Verunsicherung.
Bei allem Respekt vor der Notwendigkeit des Kredithandels der Banken untereinander und der Banken mit Investoren - sie ist heute schon genügend betont worden; ich teile das -, müssen wir Sorge dafür tragen, dass der Verbraucher in diesem Spiel nicht der Verlierer ist.
Der Verbraucher muss deshalb bei diesem oft völlig undurchsichtigen Finanzgebaren geschützt werden. Genau das wird mit dem Gesetz versucht. Wie ich meine, ist es auch gelungen.
Wir gehen auf zwei Feldern vor, nämlich im Schuldrecht und im Sachenrecht. Nun weiß ich, dass das eine juristische Unterscheidung ist, die den meisten Menschen nicht geläufig ist. Aber ich will damit Folgendes sagen: In dem einen Bereich geht es nur um das Darlehen und darum, was zu beachten ist, wenn diese Darlehensforderung von der Bank an einen Dritten verkauft wird.
Wir sehen dazu Folgendes vor: Bevor überhaupt das Darlehen aufgenommen werden kann, muss der Bankier dem potenziellen Kreditnehmer sagen, ob er die Kreditforderung unter Umständen an einen Dritten weiterveräußern will. Dann kann sich der Kreditnehmer überlegen, ob er sich an eine andere Bank wendet. Wurde der Kreditvertrag geschlossen, obwohl sich die Bank die Möglichkeit einer Weiterveräußerung vorbehalten hat, muss die Bank den Kreditnehmer im Fall der Veräußerung unterrichten und ihm mitteilen, an wen der Kredit veräußert worden ist, damit er nicht plötzlich vor einem neuen Gläubiger steht.
Wir haben auch eine Verbesserung beim Kündigungsschutz für den Darlehensnehmer durchgesetzt. Das Darlehen kann nur gekündigt werden, wenn der Darlehensnehmer mit zwei Monatsraten mindestens teilweise in Verzug ist und wenn mindestens 2,5 Prozent des Nennbetrags des Darlehens nicht gezahlt worden sind.
Das ist die Sicherung beim Darlehen.
Die eigentliche Sicherung erfolgt aber auf dem sachenrechtlichen Gebiet. Das ist der wirklich notwendige Teil. In der Regel hat der Darlehensnehmer der Bank als Sicherung für sein Darlehen eine Grundschuld eingeräumt. Die Bank erhält dadurch eine, wenn man so will, absolute Rechtsstellung gegenüber dem Darlehensnehmer. In dieser Sicherungsgrundschuld im Grundbuch steht aber nicht, dass die beiden, nämlich der Schuldner und die Bank, eine Sicherungsabrede getroffen haben. Wenn eine Grundschuld eingetragen wird, wird ja in der Regel eine Abrede darüber getroffen, wann die Bank vollstrecken kann. Das ist gewöhnlich schriftlich festgehalten und liegt dem Schuldner sowie der Bank vor. Die Bank kann nicht ohne Weiteres aus ihrem Recht gegenüber dem Schuldner vorgehen, wenn und solange er aus der Sicherungsabrede Einwendungen oder, wie der Jurist sagt, Einreden geltend machen kann.
Wenn die Grundschuld aber an einen Dritten verkauft wird, der von der Sicherungsabrede keine Kenntnis hat, also gutgläubig ist, kann der Dritte nach heutigem Recht - das ist der Haken - gegen den Schuldner vorgehen. Der Schuldner kann sich dabei nicht auf seine Sicherungsabrede mit der Bank, mit der es ursprünglich zu tun hatte, berufen. Das ist das Problem. Dem wollten wir uns stellen.
Bislang war dies noch nie ein richtiges Problem. Wenn man sich aber überlegt, dass seit 2002 Kredite in Höhe von 35 bis 40 Milliarden Euro von Banken veräußert worden sind, kann man sich leicht ausrechnen, dass immer mal wieder der Fall auftauchen kann, dass ein Gläubiger gegen den Schuldner mit der Grundschuld vorgeht, obwohl der Schuldner eigentlich eine Sicherungsabrede getroffen hatte, die das verhindern sollte.
Deswegen haben wir in das Gesetz geschrieben - dabei folgen wir einem Vorschlag, der von Bayern über den Bundesrat gekommen ist -, dass sich der Neugläubiger nicht auf seinen guten Glauben berufen kann.
Das heißt, dass die Sicherungsabrede, die der Schuldner mit seiner Bank getroffen hat, auch für den Neugläubiger bindend ist, völlig gleichgültig, ob er davon Kenntnis hatte oder nicht.
Das ist, wie ich glaube, der entscheidende Fortschritt, den dieses Gesetz bringt. Damit haben wir, wie ich meine, für eine wirkliche Sicherung des Verbrauchers gesorgt.
Ich weiß, Herr Montag, dass man noch weitergehen könnte. Ich glaube aber schon, dass wir so für eine gute Sicherung gesorgt haben. Das wurde ja auch von der Opposition im Ausschuss anerkennend vermerkt.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Julia Klöckner, CDU/CSU-Fraktion.
Julia Klöckner (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf bei der heutigen Debatte den abschließenden Beitrag leisten und möchte deshalb die Gelegenheit nutzen, allen zu danken. Es war wirklich ein sehr konstruktives Ringen der beteiligten Ausschüsse. Als Vertreterin des Verbraucherausschusses habe ich wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass wir von den Finanz- und Rechtspolitikern immer mit eingebunden wurden. Ich danke auch den beteiligten Ministerien, gerade dem Verbraucherministerium.
Wir haben, wie ich finde, eine sehr gute Balance erreicht. Es gibt ja bei den Gesetzen, die wir verabschieden, immer unterschiedliche Interessenlagen und immer unterschiedlichste Szenarien bezüglich der Frage, was denn der sogenannte schlimmste Fall sein könnte.
Da ist es natürlich schwierig - das ist ganz klar -, eine Balance zu finden. Ich bin mir sicher, wir haben die richtige gefunden.
Ich möchte mich zum Abschluss der Debatte auf die Sichtweise der Verbraucher bzw. Kreditnehmer konzentrieren. Vieles ist schon erwähnt worden. Ich möchte insbesondere den vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern im Land, die ein Eigenheim haben, auf dem noch Kreditverbindlichkeiten ruhen, die Sorge bzw. die Angst nehmen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es Gründe für Verunsicherung gab. Schauen wir uns einmal die Schlagzeilen an, die in der Presse standen: ?Wann die Heuschrecke das Haus bekommt?, ?Banken abgemahnt?, ?Bankkunden in der Klemme?, ?Wenn das Haus weg ist?, ?Alarmstufe Rot für Eigenheimbesitzer?, ?Kreditverkäufe bringen die Banken in Erklärungsnot?, ?Risiko Grundschuld?.
Ich selbst habe als Verbraucherbeauftragte der CDU/CSU-Fraktion sehr viele Anfragen und besorgte Anrufe bekommen. Das war ein Grund dafür, dass wir dieses Thema so ernst genommen haben. Letztlich ist das Realität, was Menschen fühlen. Vor diesem Hintergrund müssen wir für Klarstellungen in Gesetzen sorgen und eventuelle Einfallstore schließen. Es ist verständlich, dass Eigenheimbesitzer Angst vor dem Schreckensszenario haben, dass ein Finanzinvestor, der den Baukredit von der Hausbank, die einem bekannt ist, gekauft hat, vor der Tür steht und jetzt eine andere bzw. eine schnellere Finanzabwicklung wünscht. So etwas kann viele Betroffene in den finanziellen Ruin treiben bzw. ihre Existenz gefährden. Damit könnte dann auch das eigene Haus auf dem Spiel stehen, zumal nicht nur notleidende Kredite weiterverkauft werden, sondern auch ordentlich bediente Kredite. Das hat sicherlich etwas mit dem Portfolio der Banken bzw. den Paketen, die geschnürt werden, zu tun.
Nach intensiver Diskussion in den vergangenen Monaten ist uns jetzt der Durchbruch gelungen. Wir gehen einen ganz wichtigen Schritt und machen damit den Weg frei für einen besseren Schutz der Bankkunden bei Kreditverkäufen. Vor allem geht es auch darum, die Verbraucherinnen und Verbraucher mitzunehmen, Transparenz in das Verfahren zu bringen und Wahlmöglichkeiten zu eröffnen. Uns geht es nicht darum, Dinge einfach zu verbieten, wenn sie sinnlos werden. Uns geht es vielmehr darum, dem Verbraucher das nötige Wissen zu geben, damit er sich entscheiden kann, auf welchem Weg er mitgehen möchte.
Wichtig ist für uns, Zwangsvollstreckungen in Grundstücke zu vermeiden. Denn das ist für diejenigen, die ein Haus besitzen - ob klein, ob groß - und abbezahlen müssen, eine sehr schwierige Situation. Das schürt Existenzängste. Sehr geehrter Kollege Frank Schäffler von der FDP-Fraktion, da muss ich Ihnen sagen, dass es schon sehr zynisch ist, was Sie vorhin gesagt haben: Niemand braucht das Gesetz. Sie brauchen es vielleicht nicht, aber viele Millionen Verbraucherinnen und Verbraucher brauchen dieses Gesetz.
Deshalb bin ich dankbar, dass sich die Große Koalition in diesem Punkt geeinigt hat.
Abschließend möchte ich sechs aus Verbrauchersicht wichtige Punkte kurz anreißen. Erstens. Die Banken müssen künftig ihre Kunden vor Vertragsabschluss informieren, ob das Darlehen, das diese aufnehmen, verkauft werden kann oder nicht. Möchte ein Kunde dies nicht, kann er sich nach einem anderen Darlehen umschauen. Wir sehen, dass die Banken infolgedessen von sich aus Kredite anbieten, die eben nicht weiterverkauft werden dürfen. Banken schalten nun Anzeigen, um das verloren gegangene Vertrauen der Kunden zurückgewinnen zu können.
Wir werden zweitens verbieten - ich denke, das ist wichtig -, dass ohne Weiteres eine Klausel in die allgemeinen Geschäftsbedingungen eingefügt werden kann, die alles null und nichtig macht, was wir heute beschließen. Denn sehr oft steht ein normaler Kreditnehmer nicht auf gleicher Augenhöhe mit einem ausgebildeten Bankangestellten, der ein gewisses Interesse verfolgt.
Drittens. Beim Vertragspartnerwechsel muss die Bank ihren Vertragspartner unverzüglich informieren.
Wir werden viertens den Kündigungsschutz ausbauen. Wir haben bereits gesagt, dass nicht sofort gekündigt werden darf, nur weil eine Rate nicht gezahlt werden konnte. Uns geht es darum, dass der Verbraucher etwas im Verzug sein darf. Dieser Zeitraum darf aber nicht zu lang sein; auch in diesem Sinne schützen wir den Verbraucher, nämlich vor Privatinsolvenz und Dingen, die er selber nicht tragen kann.
Fünftens. Die Regelungen zur Sicherungsgrundschuld wurden bereits sehr intensiv vom Kollegen Geis erwähnt. Die Einreden bestehen selbst dann, wenn sich der Erwerber der Grundschuld auf Gutgläubigkeit beruft.
Der sechste Punkt beinhaltet, dass die Bank verpflichtet wird, sich drei Monate vor Ablauf der Zinsbindung oder vor Vertragsablauf über ein Folgeangebot zu erklären. Dann kann der Verbraucher letztlich Vergleichsangebote einholen.
Das Resultat ist ein sehr gutes Ergebnis. Ich denke, heute ist ein guter Tag für die Verbraucherinnen und Verbraucher und mitnichten der Untergang des Abendlandes für die Banken oder den Finanzstandort Deutschland.
Sehr geehrter Herr Präsident, Sie haben hoffentlich zur Kenntnis genommen, dass ich keinen Anglizismus benutzt habe. Ich hoffe, dass es auch für die Menschen, die in der Bankensprache nicht firm sind, allgemein verständlich war.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Für die Verwendung der deutschen Sprache bin ich Ihnen außerordentlich dankbar, auch wenn es in Deutsch gelegentlich schwierig ist, die vorgesehenen Redezeiten einzuhalten.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen. Hierzu liegt mir eine Erklärung gemäß § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages des Kollegen Dr. Peter Jahr vor.
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Empfehlung auf Drucksache 16/9777, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/6311 und 16/6648 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit Mehrheit angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Das könnte reichen.
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist der Gesetzentwurf mit der Mehrheit der Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und der Fraktion Die Linke bei Stimmenthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der FDP-Fraktion auf Drucksache 16/9814? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9813? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch hier ist die Mehrheit gegen die Annahme dieses Antrags.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag vor. Weiterhin liegt ein von der Fraktion Die Linke eingebrachter Entschließungsantrag vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 75 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Bundesministerin Brigitte Zypries.
Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir gestern mit der GmbH-Reform einen großen Schritt gemacht haben, liegt uns heute ein Gesetzentwurf vor, mit dem ein 100 Jahre altes Gesetz reformiert wird. Seit 50 Jahren versuchen wir, eine Reform hinzubekommen. Ich bin froh, dass es uns nunmehr gelungen ist, dieses Reformwerk abzuschließen. Das Ganze geht zurück auf die Empfehlungen einer Kommission, die im Jahre 1964 eingerichtet wurde. Der Entwurf, der damals erarbeitet wurde, ist Grundlage des Reformentwurfs, der heute zur Schlussberatung vorliegt.
Kern dieser Reform ist ein neues Stammgesetz. Das heißt, wir schaffen ein völlig neues Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Freiwillige Gerichtsbarkeit ist ein alter Begriff, unter dem sich jemand, der nicht Jurist ist, kaum etwas vorstellen kann.
Wir haben ihn dennoch beibehalten. Dahinter verbirgt sich ein Strauß ganz verschiedener Verfahrensarten. Es geht um die Einrichtung einer Betreuung, um die Unterbringung von Personen, aber auch darum, dass eine Abschiebehaft zur Sicherung des Vollzuges ausländerrechtlicher Entscheidungen sichergestellt wird. All das war bisher in unterschiedlichen Gesetzen geregelt. Wissenschaftler und Praktiker waren der Auffassung, dass man das vernünftig neu fassen sollte. Das haben wir jetzt getan.
Der grundlegende Reformansatz, den wir verfolgt haben, ist eine einheitliche Familienverfahrensordnung aus einem Guss. Dieser Ansatz - einheitliche Familienverfahrensordnung aus einem Guss - und die Tatsache, dass das große Familiengericht entscheidet, haben überall Beifall gefunden. Ich glaube, dass das eine richtige Entscheidung war.
Die Bürgerinnen und Bürger bekommen jetzt eine Verfahrensordnung an die Hand, die aus sich selbst heraus verständlich ist. Außerdem wird dem materiellen Recht, das im BGB geregelt ist und das wir nicht ändern, durch ein neues, ein strukturiertes Verfahrensrecht endlich zur Geltung verholfen. Die Verfahrensrechte werden jetzt klar geregelt. Erstmals gibt es Bestimmungen, die besagen, wer an einem familiengerichtlichen Verfahren beteiligt werden muss und wer auf Antrag beteiligt werden kann. Den Beteiligten werden Rechte gegeben, insbesondere zur Sicherung ihres rechtlichen Gehörs. Sie werden aber auch verpflichtet, bei der Aufklärung von Sachverhalten mitzuwirken. Wir strukturieren das zersplitterte Rechtsmittelsystem neu und formulieren klare Vorgaben für die Bürgerinnen und Bürger, damit sie wissen, wie sie gegen Entscheidungen vorgehen können, die ihnen nicht passen. Künftig wird jeder Entscheid eine Rechtsmittelbelehrung enthalten, damit man als Bürger weiß, wie man gegen eine Entscheidung vorgehen kann, die einem nicht passt.
Eine weitere Neuerung ist, dass wir dem Bundesgerichtshof mehr Kompetenzen geben. Das hat sich bei der ZPO-Reform bewährt. Dadurch haben wir in Deutschland eine besser strukturierte und einheitlichere Rechtsprechung bekommen. Diesem Vorbild folgen wir jetzt bei der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Der Bundesgerichtshof erhält mehr Kompetenzen zur Herstellung der Rechtseinheit und zur Kontrolle der Beschwerdegerichte.
Im Zentrum der Reform steht - das habe ich eingangs schon gesagt - die Reform des familiengerichtlichen Verfahrens. Die Frage, wie wir durch neue gerichtliche Verfahrensstrukturen Kinder besser schützen können, beschäftigt uns schon lange. Sie erinnern sich daran, dass wir vor kurzem hier die Reform des § 1666 BGB verabschiedet haben. Dabei wurden bestimmte Verfahrensregeln getroffen, die in Kürze, mit Verkündigung dieses Gesetzes, in Kraft treten. Deshalb werden sie in das Gesetz, das wir heute verabschieden, eingefügt. Wir haben also schon geregelt, dass es künftig ein Erziehungsgespräch geben kann. Ebenfalls haben wir schon geregelt, dass es einen schnellen Termin geben soll. In Sorge- und Umgangsentscheidungen soll das Gericht innerhalb eines Monats verhandeln. Das alles soll für Kinder eine bessere Kontaktherstellung und -anbahnung garantieren, wenn sich deren Eltern scheiden lassen.
Im FGG-Reformgesetz gibt es jetzt weitere Regelungen, die die Rechte des Kindes stärken sollen; das ist unser Ziel. Wir führen einen obligatorischen Verfahrensbeistand ein. Das heißt, es wird eine Person geben, die dem Kind hilft, im gerichtlichen Verfahren Gehör zu finden, um sicherzustellen, dass seine Interessen bei der Entscheidung des Familiengerichts berücksichtigt werden. Es ist aber auch wichtig, dass das Kind einen Ansprechpartner hat. Denn es ist für Kinder eine fürchterliche Situation, wenn sie sich entscheiden sollen, ob sie die Mama oder den Papa lieber haben. Es ist wichtig, dass ihnen jemand zur Seite steht, der ihnen helfen kann.
Eine gute Entscheidung nützt aber nur dann etwas, wenn sie effektiv und schnell vollstreckt werden kann. Deswegen sehen wir ein neues Mittel vor. Wir führen die Verhängung eines Ordnungsgeldes ein und lösen damit das bisherige Zwangsgeld ab. Das hat Sinn, weil mit dem Zwangsgeld immer nur zur Vornahme einer Handlung angehalten werden kann, während das Ordnungsgeld auch noch hinterher verhängt werden kann. Ich nenne ein Beispiel: Wenn, wie es in so einer Art von Konflikten häufig vorkommt, die Mutter dem Vater das Kind am Wochenende nicht gibt und immer freitags anruft und sagt, das Kind sei leider gerade krank geworden und könne deshalb nicht zum Vater kommen, dann könnte das Gericht ein Zwangsgeld verhängen. Aber das gilt nur für das Wochenende. Denn nur am Wochenende könnte man dazu angehalten werden, dass man das Kind dem Vater übergibt. Künftig kann man in so einem Fall ein Ordnungsgeld verhängen und damit deutlich machen, dass dieses Verhalten noch in einer anderen Form zu sanktionieren ist. Wir wollen im Interesse des Kindes, dass das Kind mit beiden Elternteilen Kontakt hat. Deshalb ist es wichtig, dass man auch mit finanziellen Sanktionen dazu angehalten werden kann.
Wir führen mit der Reform einen Umgangspfleger ein. Das ist eine weitere Figur, die es ermöglichen soll, vermittelnd zwischen den Eltern einzugreifen, wenn es Probleme beim Umgang mit den Kindern gibt. Wir führen auch ein, dass der Scheidungsantrag künftig zwingend eine Angabe darüber enthalten muss, ob sich die Eltern schon über die elterliche Sorge und den Umgang geeinigt haben. Wir wollen Eltern mit dieser Formvorschrift klarmachen, dass sie sich um den weiteren Umgang mit den Kindern zu kümmern haben, ehe sie sich darüber verständigen, dass sie sich scheiden lassen wollen. Denn das betrifft das Verhältnis der Erwachsenen. Die Kinder sind allein die Betroffenen.
Wir führen eine weitere Regelung zugunsten von Pflegeeltern ein. Dieses Thema war hier schon mehrfach Gegenstand der Debatte. Wir werden Pflegeeltern, also Personen, bei denen die Kinder längere Zeit gelebt haben, besser am Verfahren beteiligen. Das ist für diese ein ganz wichtiger Gesichtspunkt.
Ein Gericht wird künftig über all diese Fragen entscheiden: das Große Familiengericht. Wir schaffen damit die viel beklagte Zersplitterung von Zuständigkeiten ab und erreichen, dass die Gerichte effektiver arbeiten. Damit schaffen wir zudem eine entspanntere Atmosphäre für alle Verfahrensbeteiligten.
An einem Punkt des Regierungsentwurfs hat es Kritik gegeben. Diese betraf die Tatsache, dass zwischen Vater und Mutter hinsichtlich des Umgangs immer Verständigungen stattfinden sollen; diese soll das Gericht initiativ herbeiführen. Es soll von sich aus versuchen, beide an einen Tisch zu bekommen. Einige Frauenverbände und insbesondere Frauenhäuser haben gesagt, dass diese generelle Regelung die Tatsache, dass es Gewalt in Familien geben kann, nicht hinreichend berücksichtige und es deshalb schlecht sei, eine Zusammenführung zwangsweise durchsetzen zu wollen. Das Haus hat sich dieser Kritik angenommen; ich danke dafür. Wir haben jetzt gemeinsam eine Regelung gefunden, die es ermöglicht, dass Ehegatten künftig getrennt angehört werden können, wenn dies dem Schutz eines Beteiligten dient.
Ich möchte mich sehr herzlich bei den Berichterstattern bedanken. Es war ja kein einfaches Verfahren. Es geht um ein dickes Gesetzeswerk mit vielen Einzelheiten. Allerdings müssen wir, wie ich mir habe sagen lassen, nachher noch ein wenig nacharbeiten; bei einem solch umfangreichen Gesetz können nämlich auch einmal Fehler gemacht werden. Ich bedanke mich für die gute Kooperation, die es uns ermöglicht, die notwendigen Nachbesserungen vorzunehmen und das Gesetz gleichwohl heute zu verabschieden. Das ist eine gute Maßnahme.
Dieses Gesetz wird heute verabschiedet, tritt aber erst im nächsten Sommer in Kraft. Denn wir wollen den Ländern genug Zeit geben, sich darauf einzustellen und die Verfahrensorganisation besser zu strukturieren. Ich glaube, das ist wichtig.
Wir können gemeinsam der Überzeugung sein, dass wir heute ein Reformgesetz verabschieden, durch das die gerichtlichen Verfahren in für die Betroffenen besonders schwierigen und emotional sehr bewegenden Situationen überschaubarer, transparenter und vor allen Dingen kinderfreundlicher gemacht werden.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger für die FDP-Fraktion.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Hinter diesem Gesetzespaket von vielen hundert Paragrafen und vielen hundert Seiten verbirgt sich eine ganz grundlegende und wichtige Reform. Frau Ministerin, Sie haben bereits darauf hingewiesen, wie lange schon an einer Reform der freiwilligen Gerichtsbarkeit - dieser Begriff ist wahrscheinlich für niemanden verständlich - gearbeitet wird. Dabei ging es auch darum, eine einheitliche und für den Bürger verständliche und nachvollziehbare Verfahrensordnung bzw. ein Regelwerk für Verfahren zu schaffen, von denen jeder Bürger und jede Bürgerin ganz plötzlich betroffen sein kann. Denn hierbei geht es zum Beispiel um Familiensachen, um den Umgang mit dem Kind, um Sorgerechtsstreitigkeiten, um Nachlassfragen, um das Betreuungsrecht oder um die Unterbringung von Menschen. All das kann im eigenen Umfeld bzw. in der eigenen Familie von heute auf morgen zu einem Problem werden. Es handelt sich also nicht um ein abstraktes Gesetz - es wird nicht nur wieder einmal eine Verfahrensrechtsreform beraten -, sondern es geht um bedeutende Inhalte und wichtige Ausgestaltungen.
Ich darf mich im Namen der FDP-Fraktion für die intensiven und sehr guten Beratungen im Rechtsausschuss ausdrücklich bedanken. Wir haben zwei umfangreiche Sachverständigenanhörungen durchgeführt. Mit unserer heutigen Beschlussfassung - wir werden am vorliegenden Gesetzentwurf nur noch eine kleine technisch bedingte Änderung vornehmen - belegen wir, dass Sachverständigenanhörungen Sinn machen. Es ist wichtig, genau hinzuhören, was die Praktiker - die Familienrichter, diejenigen, die sich bisher mit einem Verfahrenspfleger auseinandersetzen mussten, die Familienverbände und alle anderen Betroffenen - sagen. Wir haben ihre kritischen Bemerkungen sehr sorgfältig überprüft und hinterfragt und ihre Anregungen in einigen Punkten aufgegriffen.
Die FDP-Bundestagsfraktion stimmt dem Gesetz in der Fassung der vorliegenden Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu. Auch wenn ich gleich noch ein paar kritische Anmerkungen zu einigen Punkten machen möchte, halten wir dieses Gesetz im Großen und Ganzen für eine richtige und zielführende Reform.
Die Schaffung des Großen Familiengerichts begrüßen wir ausdrücklich. Diese Forderung wird von Praktikern bereits seit vielen Jahren erhoben. Mit diesem Gesetz wird sie jetzt erfüllt. Für uns ist sehr wichtig, dass die Regelungen zu Vormundschafts- und Pflegschaftssachen, soweit Minderjährige betroffen sind, und zu Adoptionssachen in das familiengerichtliche Verfahren überführt werden. Dadurch werden die Möglichkeiten zur Anwendung dieser Regelungen und die Entscheidungsgrundlage des Großen Familiengerichts, vor allen Dingen aber auch die vorherige Beratung der Betroffenen hoffentlich verbessert.
Lassen Sie mich einige Punkte, die wir besonders intensiv beraten haben, ansprechen.
Frau Ministerin, Sie haben sich dafür ausgesprochen, dass Ordnungsmittel die Zwangsmittel, die im geltenden Recht vorgesehen sind, ersetzen. Dies bedeutet, dass auch nach Erfüllung der angestrebten Handlung, zum Beispiel beim Recht des Umgangs mit dem Kind, das Ordnungsmittel aufrechterhalten wird. Gerade das sind besonders streitige Verfahren, wenn die Eltern - ob sie nun verheiratet waren oder nicht - getrennt leben. Da versucht jeder, das aus seiner subjektiven Sicht Beste für das Kind zu tun. Es kann dabei zu großen Spannungen kommen. Im Mittelpunkt stehen muss dann letztendlich das, was für das Kind - das sich hin und her gerissen fühlen muss - das Beste ist. Ob da Ordnungsgeld sogar bis hin zu Ordnungshaft zielführend ist, sehen wir als FDP-Fraktion kritisch.
Wir sind froh, dass - das ist jetzt etwas für die Juristen - die Sollvorschrift im Regierungsentwurf, nach der die Verhängung von Ordnungsmitteln die Regel sein sollte, in eine Kannvorschrift umgewandelt worden ist. Hinter solch kleinen Begriffen wie ?soll? oder ?kann? verbirgt sich Entscheidendes, nämlich dass das Gericht bei der Entscheidung einen breiteren Ermessensspielraum hat, dass also nicht in jedem Fall zu diesem Mittel gegriffen werden muss.
Ich darf in diesem Zusammenhang an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom April dieses Jahres erinnern, in der es um die Erzwingung des Umgangs ging. Erlauben Sie mir, einen Satz aus dieser Entscheidung zu zitieren - dieser Satz gibt genau das wieder, was uns als FDP-Fraktion bewegt -:
Die Androhung der zwangsweisen Durchsetzung der Umgangspflicht eines Elternteils gegen dessen erklärten Willen ist jedoch regelmäßig nicht geeignet, den Zweck zu erreichen, der mit ihr verfolgt wird, nämlich dem Kind einen Umgang ? zu ermöglichen, der zu einer gedeihlichen Persönlichkeitsentwicklung des Kindes beiträgt ?
Das war nur eine Fallkonstellation, was die Durchsetzung des Umgangs angeht; natürlich gibt es viele andere. Das Spannungsfeld, das hier offenkundig wird, ist aber mit dieser Formulierung des Bundesverfassungsgerichts gut zum Ausdruck gebracht. Deshalb bin ich froh, dass nach den Debatten im Rechtsausschuss dieser größere Ermessensspielraum vorgesehen wurde.
Wir begrüßen es, dass es mit den Rechtsmitteln und letztendlich der Rechtsbeschwerde an den Bundesgerichtshof einen neu geordneten Rechtszug gibt. Wir werden natürlich nach Inkrafttreten des Gesetzes sorgfältig beobachten müssen, in welchem Umfang der Bundesgerichtshof mit familiengerichtlichen Sachen befasst sein und wie er mit dieser zusätzlichen Belastung umgehen wird.
Ich bin froh, dass - auch das ist ein Ergebnis der Anhörungen und der Beratungen im Rechtsausschuss - gerade in den sensiblen Fragen des Betreuungsrechts, der Unterbringung und der Freiheitsentziehung Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof möglich ist. Es gibt dazwischen nicht mehr mehrere Instanzen; von daher ist es gut, dass Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof ohne wesentliche Beschränkungen zugelassen wird.
Über einen Änderungsantrag wird heute nur aufgrund eines technischen Versehens abgestimmt. Am Ende der Beratungen ist diese Änderung, für die sich die FDP-Fraktion eingesetzt hat, aufgenommen worden. Ich bedanke mich dafür bei den Mitarbeitern des Justizministeriums.
Es ist schon angesprochen worden, dass das Thema ?häusliche Gewalt? gerade bei den hier in Rede stehenden Verfahren eine große Rolle spielt. Wir haben diese Problematik schon bei den Gesetzgebungsverfahren im Hinblick auf das Familiengericht und bei der Änderung des § 1666 BGB aufgenommen. Es muss künftig, wenn der Vorwurf der häuslichen Gewalt im Raum steht, nicht mehr dazu kommen, dass sich die Partner begegnen. Wenn sich die Partner begegnen, kann es schließlich nicht das Gespräch geben, das im Interesse des Kindes notwendig ist. Deshalb ist es gut, dass es hier entsprechende Änderungen gegeben hat. Wir unterstützen das ausdrücklich.
Wir setzen das Modell, möglichst beschleunigt vor Gericht zu verfahren, fort. Bei vielen Anliegen kann man nicht erst in ein paar Monaten entscheiden. Das Umgangsrecht ist das beste Beispiel dafür; dies betrifft aber auch viele andere familiengerichtliche Auseinandersetzungen. Da wird es ganz entscheidend auf die Praxis ankommen, darauf, wo diese Beschleunigung gut und notwendig ist, aber auch darauf, wo es Sachverhaltsgestaltungen gibt, bei denen eine schnelle erste Entscheidung vielleicht nicht das Richtige ist, sondern bei denen wir ein normales Verfahren - ich nenne es einmal Entschleunigung - brauchen. In der Praxis muss sich zeigen, wie weit die Bestimmungen den unterschiedlichen Fallkonstellationen Rechnung tragen.
Es kommt entscheidend darauf an, dass die Justiz der Länder, aber auch die Jugendämter, die teilweise aufgefordert werden, in kurzer Zeit, innerhalb eines Monats, Stellungnahmen abzugeben, in der Lage sind, dieses umfangreiche Gesetz umzusetzen. Das ist in vielen Verfahren wichtig, wenn man sich zum Beispiel gewisse Fälle vor Augen führt, die Defizite und Versagen in diesem Bereich offenkundig gemacht haben. In manchen Bereichen - das ist regional unterschiedlich - können Justiz und Jugendämter den Aufgaben nur dann nachkommen, wenn sie über das entsprechende Personal verfügen, aber auch die richtigen internen Abläufe und den richtigen Blick auf die Verfahren - da bedarf es einer straffen Vorgabe - haben. Das ist auch bei der Umsetzung der Regelungen zur Schaffung eines Großen Familiengerichtes so.
Wir hätten den Vorschlägen aus dem Bundesrat zugestimmt, die beinhalteten, dass dieses Gesetz erst am 1. Januar 2010 in Kraft treten soll.
Denn wir wissen: Auf der Länderebene muss organisatorisch und ablaufmäßig sehr viel umgesetzt werden; von der EDV gar nicht zu reden. Wir sollten noch einmal sehr genau hinschauen, wie dann die Situation ist.
Alles in allem: Wir stimmen diesem Gesetzentwurf zu.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort die Kollegin Ute Granold.
Ute Granold (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir schreiben heute in der Tat ein kleines Stück Rechtsgeschichte. Gestern ging es um die größte Reform seit Einführung der GmbH im Jahre 1892. Heute geht es um die Reform des FGG, das auch aus dem 19. Jahrhundert stammt. Wir hatten eine lange Vorlaufzeit, viele Jahrzehnte, bis wir heute so weit sind, dass wir sagen können: Wir schaffen ein neues Gesetz aus einem Guss. Wir fassen viele einzelne Verfahrensvorschriften zusammen und wollen dazu beitragen, dass das materielle Recht effektiv und zügig durchgesetzt werden kann.
Es geht in Zahlen ausgedrückt um 491 Paragrafen und 110 Gesetze, also um eine ganze Menge. Das Wichtige wurde bereits von den Kolleginnen und Kollegen vorgetragen.
Ich möchte den einen oder anderen Schwerpunkt im Hinblick darauf setzen, was die Ausschussberatungen, die Sachverständigenanhörungen, aber auch die Berichterstattergespräche ergeben haben. Wir haben seitens der Regierungskoalition eine Arbeitsgruppe gebildet, die in unzählig vielen Sitzungen versucht hat, einen Konsens zu finden, das herauszufiltern, was in der Anhörung wesentlich war, um ein wirklich gutes Gesetz zu machen, das nicht nur bei den Menschen, sondern auch in diesem Hause - zumindest war so die Empfehlung des Rechtsausschusses - Akzeptanz findet.
Mit einem Verfahrensgesetz ist es möglich, das materielle Recht effektiv für die Menschen durchzusetzen. Hier ist der innerste Bereich der Menschen betroffen: das Familienrecht, das Kindschaftsrecht, Adoption, Betreuung, Unterbringung, also Bereiche, die sehr wichtig sind und bei denen wir den Menschen die Möglichkeit geben wollen, ihren Anspruch auf rechtliches Gehör zügig umzusetzen.
Wie wichtig dies war, haben wir jüngst erfahren - die Ministerin hat es angesprochen -, als es um die Reform des § 1666 BGB, also um die Kindeswohlgefährdung, ging. Momentan ist ja leider eine ganze Reihe von schwierigen Fällen von Kindesvernachlässigungen quer durch die ganze Republik zu verzeichnen. In diesem Zusammenhang wollen wir das Gesetz ändern und den Gerichten einerseits die Möglichkeit geben, niederschwellig mit den Eltern ein Gespräch zu führen, um härtere Eingriffe wie zum Beispiel den Entzug der elterlichen Sorge zu vermeiden. Wir wollen also früh anfangen, korrigierend einzugreifen. Das macht aber nur dann Sinn, wenn es andererseits begleitend ein Verfahren gibt, das den Gerichten die Möglichkeit eröffnet, schnell zu handeln.
Das ist das Vorrang- und Beschleunigungsgebot. Das sind das sogenannte Erziehungsgespräch, das mit den Eltern geführt werden soll, und der frühe erste Termin, also eine sehr schnelle Einschaltung des Gerichts und eine frühe Terminierung bei Gericht.
Das war uns so wichtig, dass wir gesagt haben: Diese Komponenten des neuen Gesetzes sollen schon einmal vorab in das FGG-Gesetz eingefügt werden, weil das neue Gesetz erst im nächsten Jahr in Kraft treten soll. Das haben wir einstimmig auf den Weg gebracht. Daran sieht man, wie wichtig es ist, begleitend zu einer materiellen Änderung des Gesetzes auch eine entsprechende Verfahrensordnung zu haben.
Wir haben in der Vergangenheit das Unterhaltsrecht reformiert und sind dabei, den Versorgungsausgleich und das Güterrecht zu reformieren. Wir regeln also vieles im materiellen Bereich des Familienrechts. Auch deshalb ist es wichtig, dass es ein gutes Verfahrensrecht gibt.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat nach der Anhörung wesentliche Änderungen im parlamentarischen Verfahren erfahren, und zwar nicht nur durch das, was in der Anhörung gesagt wurde, sondern auch durch das, was aus der Mitte des Parlaments gekommen ist. Ich muss es doch noch einmal ansprechen: Wir haben im Vorfeld das Schreckgespenst der Scheidung light aus dem Referentenentwurf wieder entfernt. Das war mit uns nicht zu machen.
Auch darüber bestand Konsens hier im Parlament. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir alle keine schnelle Scheidung - vorbereitet durch einen Notar - zulassen wollten. Art. 6 Grundgesetz ist für uns nämlich sehr wichtig. Die Ehe ist zu schützen. Die Scheidung sollte nicht im Schnellverfahren vonstatten gehen, sondern das Verfahren sollte schon ordentlich sein. Das war bei uns auch Konsens.
Ich habe die große Anhörung angesprochen, die sehr gut war, und möchte nur einige wenige Punkte daraus erwähnen. Hinsichtlich des persönlichen Erscheinens der Parteien bei Gericht, das im allgemeinen Teil geregelt ist, der für die gesamte Verfahrensordnung gilt, haben wir wegen des Schutzes vor Gewalt gesagt - das war ein Ergebnis der Anhörung -: Wenn es zum Schutz eines der Beteiligten erforderlich ist, dann muss es möglich sein, die Parteien getrennt anzuhören. Es kann nicht sein, dass im Vorfeld eine polizeiliche Anordnung ergeht, wonach derjenige, der Gewalt ausgeübt hat, sich der anderen Person nicht nähern darf, während man sich in einem frühen ersten Termin bei Gericht direkt wieder an einen Tisch setzen muss. Es gibt Fälle, in denen das absolut unzumutbar ist.
Wir haben uns auch lange über die einstweilige Anordnung, das heißt, über das Schnellverfahren, unterhalten und gesagt: Eine einstweilige Anordnung soll Bestand haben. Es muss aber auch die Möglichkeit geben, in einem Hauptsacheverfahren dort noch einmal korrigierend einzugreifen. Deshalb soll es das Hauptsacheverfahren auf Antrag geben.
Dazu gab es während der Beratung die Kritik, dass Rechtsmittel gegen diese einstweiligen Anordnungen nicht umfassend möglich sein sollen, wenn eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat. Es ging hier insbesondere um Entscheidungen in Verfahren über das Umgangsrecht. Wir sind dabei geblieben: Wenn gegen eine Entscheidung - entweder Ausschluss oder Einschränkung des Umgangs - interveniert werden soll, dann kann man den Antrag auf eine mündliche Verhandlung stellen. Das Gericht kann eine Frist von bis zu drei Monaten bestimmen, vor deren Ablauf der Antrag unzulässig ist. Wir meinen aber schon, dass man diese Regelung erst einmal erproben sollte. Maximal drei Monate sind keine lange Zeit. Danach wird geschaut, ob das korrigiert werden muss.
Etwas anderes ist es, wenn eine Sorgerechtsentscheidung getroffen wird. Das ist schon ein größerer Einschnitt. Hier soll es möglich sein, die einstweilige Anordnung, wenn sie aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, anzufechten.
Wir haben uns in dem Berichterstattergespräch ferner lange mit der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde zum BGH befasst. Das war auch ein großes Anliegen der Grünen und der FDP. Hier haben wir einen Konsens gefunden, was erfreulich ist. Herr Montag wird dazu sicherlich noch das eine oder andere ausführen.
Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, Sie haben das Thema Ordnungsmittel und Zwangsmittel angesprochen. Auch darüber haben wir lange diskutiert. Wir meinen schon, dass der Wechsel von Zwangsmitteln zu Ordnungsmitteln gerechtfertigt ist. Gerade bei Verfahren über den Umgang muss es möglich sein, ein Stück weit korrigierend und disziplinierend einzugreifen, sehr wohl wissend, dass es sinnvoller ist, andere Wege zu beschreiten, um den Umgang zwischen dem Kind und dem Elternteil - in der Regel dem Vater - sicherzustellen. Wenn zum Beispiel der Vater das Umgangsrecht nicht erhalten hat, weil die Mutter meint, dass das Kind krank ist, zu einer Geburtstagsfeier muss oder wie auch immer, dann muss man auch daran denken, dass zwar das Wochenende schon vorbei ist, dass aber auch noch weitere Wochenenden kommen.
Ich komme nun zum zweiten Punkt, nämlich den Familiensachen. Die getrennte Anhörung habe ich angesprochen. Die Scheidungsantragsschrift ist für die Union sehr wichtig. In § 630 ZPO stehen die Voraussetzungen. Es geht dabei um alle Folgesachen, die bei einer Scheidung zu regeln sind. Ob es um den Unterhalt, das Sorgerecht, das Umgangsrecht, die Hausratsteilung oder die eheliche Wohnung geht: All dies soll in der Antragsschrift festgelegt sein. Es soll eine Erklärung erfolgen, dass die Parteien darüber gesprochen haben. Dann kann eine einverständliche Scheidung ausgesprochen werden.
Angesprochen und geregelt ist auch die Mediation, das heißt, die außergerichtliche Streitschlichtung in geeigneten Fällen. Dies wurde in das Gesetz implantiert - wie auch das sogenannte Cochemer Modell -, um in diesem sensiblen Bereich der Auseinandersetzung in einer Ehe und Familie möglichst eine harmonische Regelung zu finden, falls die Voraussetzungen dafür vorliegen.
Das Vorrang- und Beschleunigungsgebot ist ganz wichtig. Ich hatte das vorhin angesprochen: In den Fällen, in denen die Kinder betroffen sind - Umgang, Sorgerecht, Aufenthalt, aber auch Gefährdung des Kindeswohls -, wird das Gericht sehr schnell eingeschaltet. Innerhalb einer Monatsfrist muss terminiert sein. Eine Verlegung ist nur möglich, wenn gewichtige und glaubwürdige Gründe vorliegen.
Das ist uns wichtig. Wir wissen sehr wohl, dass es hier zu einer außerordentlichen Belastung der Jugendämter kommt, die in die Verfahren einzubinden sind. Die Länder haben hier entsprechend interveniert. Aber wir meinen schon, dass wir hier, weil es um einen wichtigen Bereich geht, nämlich das Wohl unserer Kinder, Schwerpunkte setzen und bei den Ländern dafür werben müssen, für die Jugendämter mehr Personal und mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Ich denke, das ist für uns alle ein wichtiges Anliegen gewesen.
Es ist zwar selbstverständlich, auf ein Einvernehmen zwischen den Parteien hinzuwirken, aber nicht ohne die entsprechenden Voraussetzungen. Wir sind gegen jede Form von Zwangsberatung.
Der Aufgabenbereich des Verfahrensbeistandes hat Neuregelungen erfahren. In der Kindschaftsrechtsreform wurde noch der Begriff des Verfahrenspflegers verwendet. Dieser wurde in der jüngsten Vergangenheit immer mehr im Gericht eingesetzt. Das war lange Zeit nicht der Fall, zum Teil weil man Verfahrensverzögerungen bzw. extreme Kosten befürchtete. Das hat sich geändert.
Der Verfahrensbeistand soll künftig regelmäßig nur bei Kindern bis 14 Jahre eingesetzt werden, weil ältere Kinder - abgesehen von einigen Ausnahmen - ihre Interessen selbst wahrnehmen können. Sie - also die älteren - tragen dann subjektive Rechte im Verfahren.
Diese wesentliche Korrektur war das Resultat aus den Anhörungen und dem Berichterstattergespräch.
Der Verfahrensbeistand hat nun die Aufgabe, das Kind über das Verfahren in geeigneter Weise zu unterrichten. In anderen Fällen, in denen der Verfahrensbeistand mehr machen soll, also einen erweiterten Wirkungskreis hat, zum Beispiel Gespräche mit den Eltern, mit den Lehrern in der Schule oder den Erziehern in der Kindertagesstätte zu führen, muss das Gericht einen entsprechenden Beschluss fassen und den Wirkungskreis beschreiben und begründen. Wir meinen, dass dann, wenn weitere Personen in das Verfahren einbezogen werden - schließlich handelt es sich um einen Schutzbereich der Familie -, dies wohlüberlegt sein muss, damit das nicht Kreise zieht. Das muss den Betroffenen auch bekannt gegeben werden.
Noch ein anderer Punkt war uns wichtig. Bei der Vergütung der Verfahrensbeistände - das hat noch bis zum heutigen Tage für erhebliche Diskussionen gesorgt - haben wir uns zu einer Pauschalierung entschlossen, so wie das damals auch bei den Berufsbetreuern gemacht wurde. Bei einem einfachen Wirkungskreis gilt ein Betrag im unteren Bereich, bei einem größeren Wirkungsbereich ein höherer Betrag, also 350 Euro bzw. 550 Euro brutto. Diese Zahlen haben wir nicht willkürlich ausgewählt, sondern wir haben uns an das angelehnt, was Anwälte in einem solchen Verfahren in Rechnung stellen. Hier beträgt die Vergütung maximal 585 Euro. Wir denken schon, dass diese pauschalierten Beträge angemessen sind und es in der Praxis einfacher zu bewerkstelligen ist, wenn Fallpauschalen festgelegt sind.
Lassen Sie mich noch zwei Sätze zum Gewaltschutzverfahren sagen. Alle Verfahren sind nun beim Großen Familiengericht konzentriert. Heute ist es nach derzeitiger Gesetzeslage noch so, dass nur für Familiensachen das Familiengericht zuständig ist, ansonsten die allgemeinen Zivilgerichte. Hier soll zusammengefasst werden. Beim Vorliegen häuslicher Gewalt hat die getrennte Anhörung zu erfolgen, und es gilt das Vorrang- und Beschleunigungsgebot.
Ein weiteres Ergebnis aus den Beratungen ist, dass die Gerichte bei Gewaltschutzsachen verpflichtet sind, die Polizeibehörde und auch andere Behörden, die von dem Beschluss betroffen sind, entsprechend zu informieren. Genauso wie die Mitteilung zu erfolgen hat, dass ein Beschluss nach dem Verfahren ergangen ist, muss auch mitgeteilt werden, dass der Beschluss nicht mehr existent ist, aufgehoben wurde oder einfach ausgelaufen ist. Dies dient dem Schutz aller Beteiligten.
Wir haben im Verfahren auch die Interessen der Länder berücksichtigt. Schließlich war lange Zeit nicht klar, ob das Gesetz den Bundesrat durchlaufen kann, ohne gestoppt zu werden. Dabei ging es auch um finanzielle Interessen. Wir haben hier den Konsens gefunden, dass wir die Verfahrenskostenhilfe nicht ausweiten, sondern auf die ZPO verweisen. Es soll bei der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe entsprechend der Prozesskostenhilfe verfahren werden. Bei der Beratungshilfe haben wir entschieden, diese gegebenenfalls in einem separaten Gesetzgebungsverfahren zu überarbeiten.
Umgekehrt haben wir darauf bestanden - das ist richtig -, dass wir im selbstständigen Unterhaltsverfahren die Anwaltspflicht einführen möchten, weil dabei sehr wesentliche Regelungen getroffen werden. Das Unterhaltsrecht ist zum Teil sehr kompliziert und hat weitreichende Folgen für den Menschen, sodass eine entsprechende Beratung notwendig ist.
Das Vorrang- und Beschleunigungsgebot, also die frühe Einschaltung der Jugendämter, verursacht Kosten im Bereich von Personal und Sachmitteln. Aber hier haben wir uns mit den Ländern geeinigt. Auf der einen Seite gibt es beim Verfahrensbeistand eine Begrenzung der Kosten, auf der anderen Seite muss es bei den Jugendämtern und auch bei den gut ausgebildeten Richtern eine entsprechende Korrektur geben.
Bereits angesprochen wurde das Große Familiengericht - ein Herzstück unserer Reform -, das seit vielen Jahren gefordert wurde. Es war schon im Zusammenhang mit der Ehe- und Familienrechtsreform 1976 und beim Deutschen Familiengerichtstag 1983 ein Thema. Durch eine Reihe von Gesetzesänderungen wurden dem Familiengericht immer wieder Kompetenzen übertragen. Der große Wurf wird aber erst jetzt mit der Einführung des Großen Familiengerichts mit umfassenden Kompetenzen erzielt. Das Vormundschaftsgericht wird aufgelöst. Verfahren, die die Pflegschaft für Minderjährige betreffen, werden dem Familiengericht übertragen. Für Betreuungs- und Unterbringungssachen werden besondere Betreuungsgerichte mit Betreuungsrichtern einerseits und gut ausgebildeten Familienrichtern andererseits eingerichtet.
Das Gesetz soll - damit komme ich zum Schluss - am 1. September 2009 in Kraft treten. Ab dem heutigen Tag haben die Länder mehr als ein Jahr Zeit für die Umstellung. Der Gesetzentwurf wird schon seit langem diskutiert, sodass er heute nicht sozusagen vom Himmel fällt und die Länder sich vorher nicht damit befassen konnten. Sie haben die Möglichkeit, sich mit den Neuregelungen vertraut zu machen und die notwendigen organisatorischen Umstellungen bei den Gerichten auf den Weg zu bringen. Insofern halten wir den 1. September 2009 für einen geeigneten Zeitpunkt.
Ich bedanke mich an dieser Stelle im Namen der CDU/CSU-Fraktion für die guten Beratungen und die gute Zusammenarbeit mit dem Ministerium, die immer sehr zeitnah erfolgt ist. Zum Teil wurde uns zugesagt, etwas über Nacht fertigzustellen, sodass es uns am nächsten Tag vorlag. Das hat auch funktioniert. Die Zusammenarbeit war sehr konstruktiv und auf einem sehr hohen Niveau. Insofern können wir feststellen, dass wir gute Arbeit geleistet haben. Die Beratungen zwischen den Fraktionen waren sehr harmonisch. Bei Meinungsverschiedenheiten konnten wir uns größtenteils auf einen gemeinsamen Nenner einigen.
Ich hoffe, dass es heute zu einem breiten Votum für den Gesetzentwurf kommt, und bedanke mich.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Jörn Wunderlich das Wort.
Jörn Wunderlich (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte höflich anfangen.
Der Gesetzentwurf kann sich insgesamt sehen lassen. Einige für uns wichtige Punkte führen aber - das muss ich leider auch feststellen - zu unserer Enthaltung. Wir sind nicht der Ansicht, dass der Gesetzentwurf in Gänze unvertretbar ist - dann würden wir ihn ablehnen -, aber er ist schon seit Jahren in Arbeit. Mir lag schon in meiner Zeit als aktiver Familienrichter der Gesetzentwurf in einer früheren Fassung zur Stellungsnahme vor.
Der Gesetzentwurf greift - das ist schon angesprochen worden - zu einem nicht unerheblichen Teil die in den Anhörungen des Rechtsausschusses von Sachverständigen, aber insbesondere von Frauenhäusern und anderen unabhängigen Stellen vorgebrachte Kritik auf. Die Berichterstattergespräche waren fruchtbar. In diesen Gesprächen konnten auch einige Forderungen der Linken - teilweise in Übereinstimmung mit den Grünen und der FDP - durchgesetzt werden. Einige wesentliche Punkte, um meine Fraktion von dem Gesetzentwurf zu überzeugen, sind jedoch nicht vorhanden; sie hätten noch eingefügt oder geändert werden müssen. Andere Punkte hätten rückgängig gemacht werden müssen.
Zu den positiven Aspekten des Gesetzentwurfs muss ich sicherlich keine weiteren Ausführungen machen. Meine Vorredner haben das breite Spektrum hinreichend dargelegt. Lassen Sie mich deshalb zu den Punkten sprechen, die auch Inhalt unseres Entschließungsantrages sind und nicht ausgelassen werden dürfen.
Die mit dem Gesetzentwurf vorgesehene Festschreibung des Beschleunigungsgrundsatzes bei Umgangs- und Sorgerechtsstreitigkeiten ist insbesondere in Gewaltfällen, aber auch bei hochstreitigen Fällen nicht nur unangebracht, sondern kontraindiziert; denn gerade in Trennungssituationen ist die Gewaltgefährdung erhöht. Zudem dient in allen Fällen von häuslicher oder innerfamiliärer sexueller Gewalt gegenüber dem anderen Elternteil der Umgang des Kindes mit dem Täter nicht dem Kindeswohl. Die gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf vorgesehene Einschränkung hinsichtlich des Hinwirkens auf Einvernehmen ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung - das ist bereits angesprochen worden -; die berechtigten Interessen eines von Gewalt betroffenen Elternteils werden dadurch jedoch nur unzureichend berücksichtigt.
Die im Gesetzgebungsverfahren eingefügte zulassungsfreie Rechtsbeschwerde in Betreuungs-, Unterbringungs- und Freiheitsentziehungssachen ist als richtiger Schritt zu begrüßen. Das war auch eine unserer Forderungen. Allerdings sollte der Instanzenzug wie bisher geregelt bleiben; denn es wurden keine nachvollziehbaren Gründe für eine Änderung vorgetragen. Dazu hat Professor Bernhard Knittel Folgendes ausgeführt - ich zitiere -:
Bemerkenswert ist auch, dass die Neuregelung gegen den fast einhelligen Widerstand der Praxis durchgesetzt werden soll.
Die Präsidenten der OLG und des BGH haben bei ihrer Jahrestagung 2003 in Naumburg einstimmig folgende Entschließung gefasst:
?Der jetzige Rechtsmittelzug der freiwilligen Gerichtsbarkeit muss beibehalten werden. Die Verlagerung der Erstbeschwerde auf die Oberlandesgerichte ist unter den Gesichtspunkten der Bürger- und Ortsnähe sowie der sparsamen Mittelverwendung abzulehnen.?
Er hat in seiner Stellungnahme vorrangig auf die Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit abgestellt, insbesondere auf die Unterbringungs-, die Betreuungs- und die Freiheitsentziehungssachen. Wir haben eine vollumfängliche Aufrechterhaltung des Rechtsmittelsystems gefordert.
Ordnungsmittel haben wegen ihres Sanktionscharakters - das wurde bereits angesprochen - insbesondere im Bereich der Durchsetzung von Umgangsregelungen keine Berechtigung. Auch wenn hier geringfügige Verbesserungen im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf vorgenommen wurden, ist insbesondere die Anordnung von Ordnungshaft gegenüber einem Elternteil auch wegen der kindeswohlgefährdenden und konfliktverschärfenden Auswirkungen als völlig ungeeignet anzusehen. Deshalb hat unsere Bundesjustizministerin Zypries wohl in ihrem Beispiel, das sie hier genannt hat, die Ordnungshaft nicht erwähnt. Man kann nicht nur ein Ordnungsgeld gegen die Mutter, wenn sie den Umgang nicht gewährt, nachträglich festsetzen. Was passiert denn, wenn die Mutter, die möglicherweise ALG-II-Bezieherin ist, das Ordnungsgeld nicht zahlen kann? Dann wird Ordnungshaft angeordnet. Mutter-Kind-Knast haben wir bereits. Ob das dem Kindeswohl unbedingt dient, wage ich zu bezweifeln.
Die Situation der Gerichte, der Jugendämter sowie deren Beratungs- und Hilfsangebote nähert sich - das wurde bereits angesprochen - dem finanziellen und personellen Kollaps. Die in familiengerichtlichen Verfahren involvierten Professionen bedürfen dringend einer zielgerichteten und angemessenen finanziellen und personellen Ausstattung, um die Aufgaben, die gesetzlich vorgegeben werden, zu erfüllen. In den wirklich für eine Beschleunigung und Beratung geeigneten Fällen werden die mangelnden Kapazitäten insbesondere der Jugendämter - das wird Ihnen jeder Familienrichter bestätigen - zu einer wesentlichen Verzögerung der Verfahren führen. Der vorgesehene frühe erste Termin ist jedenfalls mit den vorhandenen Ressourcen nach den gesetzlichen Maßgaben innerhalb eines Monats schwer zu ermöglichen. Zudem ist ein dringendes Bedürfnis nach gesetzlichen Qualitätsanforderungen an die beteiligten Professionen zu konstatieren. Die Länder sind nun in der Pflicht; denn die gute Umsetzung des Gesetzes müssen letztlich sie garantieren. Dass die Familiengerichte personell aufgestockt werden sollen, ist ein frommer Wunsch, an dessen Erfüllung ich angesichts der massiven Einsparungen in diesem Bereich in den letzten Jahren nicht zu glauben vermag. Auf die Einsparungen komme ich gleich im Zusammenhang mit den Verfahrenspflegerkosten, den künftigen Beiständen zu sprechen. Wer glaubt denn daran, dass die Bundesländer Finanzmittel für eine personelle Aufstockung einsetzen? Den Vergleich mit dem Zitronenfalter erspare ich mir.
Das Cochemer Modell oder auch die Cochemer Praxis ist vor dem Hintergrund der Wahrung der berechtigten Interessen der Betroffenen kritisch zu hinterfragen. Die Bundesregierung hat die grundlegenden Verfahrensweisen des Modells nicht ausreichend unabhängig evaluiert. Das ist unbedingt nachzuholen und nicht grundsätzlich abzulehnen.
Die Rollen der Verfahrensbeteiligten sind zu undifferenziert auf Einigung und Vermittlung ausgelegt. Für mich und meine Fraktion ist schwer vorstellbar, wie ein Gutachter einerseits ein objektives Gutachten erstellen soll, andererseits ?auf die Herstellung des Einvernehmens zwischen den Beteiligten hinwirken soll?.
Die pauschalierte Deckelung der Gebühren für Verfahrensbeistände auf 350 Euro ist nicht vertretbar. Für diese Summe sollen die Beistände, die sogenannten Anwälte des Kindes, mehrere Gespräche mit den Eltern und den Kindern,
möglicherweise mit Lehrern, Freunden und dem beteiligten Jugendamt führen, eine schriftliche Stellungnahme abgeben, das Kind zum Gericht begleiten, an der mündlichen Verhandlung teilnehmen
und unter Umständen auch noch gegen die Entscheidung des Gerichts intervenieren, Frau Granold.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Granold?
Jörn Wunderlich (DIE LINKE):
Ja.
Ute Granold (CDU/CSU):
Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass der Gesetzentwurf für den einfachen Wirkungskreis, das heißt, dem Kind in geeigneter Weise das Verfahren zu erklären, 350 Euro und für den erweiterten Wirkungskreis, das heißt, unter Umständen ein Gespräch mit den Eltern oder mit den Erziehern zu führen, 550 Euro vorsieht?
Jörn Wunderlich (DIE LINKE):
Bei dem Beispiel, das ich genannt habe, geht es um 550 Euro.
- Wenn Sie mich hätten ausreden lassen, dann hätten Sie es noch gehört.
Warum es zu diesen 350 Euro bzw. 550 Euro gekommen ist, wissen wir doch. Es wurde gesagt: Schimpfen Sie mit uns! Meckern Sie mit uns! Das ist ein Zugeständnis an die Länder. - Andernfalls würde das Gesetz im Bundesrat nicht verabschiedet. Aus Finanzgründen werden bestimmte Verfahrenskosten festgelegt.
Letztendlich ist es ein Eingeständnis bezüglich der finanziellen Situation der Länder. Sie ist auch Grund dafür, dass im familiengerichtlichen Bereich keine zusätzlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden.
Die Anfechtbarkeit von Entscheidungen im Verfahren der einstweiligen Anordnung in Familiensachen ist unbefriedigend geregelt, soweit es den Umgang betrifft. In dem ursprünglichen Referentenentwurf war ein Rechtsmittel auch noch vorgesehen, mit der Begründung - ich zitiere -:
... besteht auch in diesem Fall ein besonderes Bedürfnis für eine Anfechtbarkeit der Entscheidung ...
Es folgte der Hinweis, dass Gründe für eine vorläufige Umgangsregelung in der Hauptsache möglicherweise nicht ausreichend sind. Warum diese Rechtsmittel jetzt in Gänze entfallen, ist nur schwer nachzuvollziehen. Der Verweis auf die Hauptsache jedenfalls reicht nicht aus.
Sämtliche genannten Punkte können leider nur zu einer Enthaltung meiner Fraktion bei der Verabschiedung dieses Gesetzes führen. Es ist schade, dass die Interessen und die Rechte von Kindern nach so langer Zeit der Beratung wieder einmal aus finanziellen Gründen auf der Strecke bleiben.
Es ist schade und bedauerlich, aber kennzeichnend.
Danke.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Jerzy Montag für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe immer wieder die Ehre und die Freude, in rechtspolitischen Debatten nach dem Vertreter der Linken zu reden. Das veranlasst mich oft zu Bemerkungen. Diesmal mache ich aber ausnahmsweise keine, weil über all diese Dinge in Berichterstattergesprächen drei- oder viermal geredet worden ist und sämtliche Argumente ausgetauscht sind.
Ein so großes Gesetz hat viele Väter und Mütter; viele berufen sich darauf, an ihm mitgewirkt zu haben. Da er heute nicht zu Wort kommt, will ich an dieser Stelle einen der Väter namentlich nennen. Ich meine den Parlamentarischen Staatssekretär Alfred Hartenbach.
Ich will an dieser Stelle auch die Damen und Herren des Bundesjustizministeriums erwähnen - einige sitzen hinter den Regierungsbänken -, die uns geholfen haben. Wir wissen, mit welchem Sachverstand sie an diesem Gesetz über viele Jahre gearbeitet haben. Dafür herzlichen Dank!
Das Gesetz ist in seiner Ursprungsfassung am 17. Mai 1898 vom deutschen Kaiser Wilhelm II. unterschrieben worden. Schon damals - hören Sie zu! - hat der Kaiser in seiner Weisheit anderthalb Jahre Zeit gelassen, bevor es in Kraft getreten ist, nämlich zum 1. Januar 1900. Ich werde auf dieses Problem noch zu sprechen kommen.
Es ist ein Gesetz, das in seinem Titel den Begriff ?freiwillig? beinhaltet. Ich habe nachgeschaut, wie dieses Gesetz in verwandten Rechtsordnungen heißt. Die Schweizer haben es früher einmal die ?willkürliche Gerichtsbarkeit? genannt. Mit Willkür hat es vielleicht nicht so viel zu tun gehabt; mit Freiheit und mit Freiwilligkeit hat es aber nie etwas zu tun gehabt. Es ist ein Gesetz, das erhebliche Eingriffe in Grundrechte regelt, zum Beispiel Freiheitsentziehung - Zwangsunterbringung und Abschiebehaft -, körperliche Unversehrtheit, Unverletzlichkeit der Wohnung, Eingriffe ins Postgeheimnis, Eingriffe in Elternrechte und in Kinderrechte.
Dieses Gesetz war viele Jahrzehnte von einem obrigkeitsstaatlichen Denken geprägt; so steht es in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung. Es war voller Lücken. In einer jahrzehntelangen Rechtsentwicklung durch die Gerichte konnten diese Lücken nicht immer gefüllt werden. Es war ein Flickwerk von Bezugnahmen und Kaskadenverweisungen. Ein Sachverständiger hat in der Anhörung von einem ?Verweisungsirrgarten? gesprochen. Wie wir schon gehört haben, gibt es seit 50 Jahren eine Debatte über eine Reform. Wir Grüne finden es gut, dass es endlich zu einem klar gegliederten, normenklaren, verständlichen Gesetz kommt. Wir werden diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Das Gesetz hat fast 500 Paragrafen. Es ist nicht zuletzt deswegen so groß geworden, weil in ihm ein weiteres großes Reformwerk enthalten ist, nämlich das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen. Auch hier ist es gelungen, Regelungen aus dem BGB, der ZPO, dem FGG und der Hausratsverordnung zu einem Gesetz zusammenzubringen. Es wird ein neues Großes Familiengericht eingerichtet. Die Rechte der Kinder - lieber Kollege von der Linken, hören Sie zu! - werden nicht missachtet, sondern gestärkt, erstmals auch durch einen eigenen Beistand.
Eine ?Scheidung light? gibt es nicht. Deswegen sage ich: Auch dieser Teil des Gesetzes ist gelungen und findet unsere Zustimmung.
In meiner Rede zur ersten Lesung dieses Gesetzes habe ich für die Grünen an dieser Stelle gesagt, dass das Gesetz so, wie es damals vorlag, nicht zustimmungsfähig war, und zwar aus zwei Gründen:
Erstens sollten mit diesem Gesetz in einer allzu unkritischen Art und Weise Elemente des Cochemer Modells in das neue Familienverfahren übertragen werden. Dagegen sind die Betroffenen Sturm gelaufen, völlig zu Recht. Das ist bei den Verfassern des Gesetzentwurfs auf offene Ohren gestoßen. Als wir im Berichterstattergespräch gemerkt haben, dass die Ausnahmeregelungen an zwei Stellen noch nicht vollständig implementiert sind, ist das einvernehmlich in die Begründung aufgenommen worden, sodass ich heute für die Grünen sagen kann: Der Grundgedanke, dass das Gericht darauf hinwirken soll, Einvernehmen in Familien- und Kindschaftssachen herzustellen, ist richtig.
Jetzt ist im Gesetzentwurf aber auch enthalten, dass in Ausnahmefällen - und zwar nicht nur in Gewaltschutzfragen, sondern es ist ausdrücklich auch von Sachverhalten von ähnlicher Schwere und Bedeutung die Rede - entschleunigt und getrennt anzuhören ist. Dieser Kritikpunkt der Grünen braucht also nicht mehr aufrechterhalten zu werden.
Der zweite Kritikpunkt, den wir damals hatten, war ebenfalls gewichtig. Wir haben gesagt, dass der Rechtsschutz für die Bürgerinnen und Bürger durch die Reform nicht beschränkt werden darf. Gerade bei den in die Grundrechte am wesentlichsten eingreifenden Teilen, nämlich bei der Freiheitsentziehung - Zwangsunterbringung, Abschiebehaft und andere Formen -, hatte der ursprüngliche Gesetzentwurf eine Beschneidung des bisherigen Rechtswegs, der Möglichkeiten, sich vor Gericht zu wehren, vorgesehen. Deshalb wollten die Grünen dem Gesetzentwurf so nicht zustimmen; auch die anderen Oppositionsparteien haben sich in diesem Sinne geäußert.
Im Laufe der Diskussion haben wir erreicht, dass die Rechtsbeschwerde - wenn ein Bürger oder eine Bürgerin der Auffassung ist, dass auf seinen Fall das Recht nicht richtig angewendet worden ist -, die im ursprünglichen Entwurf nur dann möglich gewesen wäre, wenn das Gericht sie nach eigener Willkür, nach eigener Entscheidung zugelassen hätte, jetzt, lieber Kollege Gehb - weil Sie so nachdenklich schauen -, zulassungsfrei ist. Im ersten Entwurf war sie an eine Zulassung gebunden. Die Beibehaltung des alten Rechtszustands ist als Fortschritt zu verzeichnen.
- Dann nehme ich das zurück. Aber es war die freie Entscheidung des Gerichts, die Zulassung zu verweigern;
das ist jetzt nicht mehr vorgesehen.
Die zweite Beschränkung ergab sich aus der Verweisung an den Bundesgerichtshof. Im Entwurf stand, dass die Rechtsbeschwerde nicht zur Klärung des Einzelfalls, sondern nur zur Rechtsfortbildung und zur Klärung allgemeiner Rechtsfragen zulässig gewesen wäre. Auch dies haben wir moniert. Wir haben darum gebeten, dass man den Zustand von vor der Reform wiederherstellt. Das ist auch geschehen. Die Koalition ist den Vorschlägen gefolgt, sodass jetzt eine Rechtsbeschwerde wie nach altem Recht, nur nicht mehr vor dem OLG, sondern vor dem BGH möglich ist, also eine zulassungsfreie und absolut unbeschränkte Rechtsbeschwerde. Das war der zweite gewichtige Grund, weswegen wir Grüne ursprünglich gesagt haben, dass dieses Gesetz nicht zustimmungsreif ist. Jetzt aber ist es zustimmungsreif geworden.
Wir wären aber keine Opposition, wenn wir nicht noch einige kritische Punkte hätten. Sie sind auch vom Kollegen der Linken erwähnt worden. Die Beschwerde im Verfahren der einstweiligen Anordnung in Umgangssachen war ein Punkt, über den wir uns bis zum Schluss nicht einig waren. Die Pauschalen als Bruttobeträge - nicht als solche - und nicht als Nettobeträge sind ein weiterer Punkt, bei dem wir anderer Meinung waren. Schließlich ist der Zeitpunkt des Inkrafttretens ein solcher Punkt; denn es ist nicht so, dass nur Einzelne meckern, sondern der Vorsitzende der Bund-Länder-Kommission für Datenverarbeitung und Rationalisierung der Justiz, in der alle Bundesländer vertreten sind, hat dem BMJ geschrieben, dass sich die Länder nicht in der Lage sehen, zum 1. September 2009 die Umstellung auf das neue Gesetz vorzunehmen. - Das sind aber drei Punkte, die nicht rechtfertigen können, ein wirkliches Jahrhundertreformwerk abzulehnen. Deswegen gebe ich diese Kritikpunkte zu Protokoll. Wir haben Ihnen gesagt, dass es da noch Probleme geben könnte. Ansonsten stimmt meine Fraktion dem Gesetzentwurf zu.
Danke schön.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Christine Lambrecht das Wort.
Christine Lambrecht (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, das Vorhaben, das wir heute hier abschließen, ist ein Paradebeispiel für gute und selbstbewusste Parlamentsarbeit. Ich will das an einigen Beispielen deutlich machen.
Es handelt sich deshalb um selbstbewusste Parlamentsarbeit, weil am Anfang ein Referentenentwurf aus dem Justizministerium auf dem Tisch lag, der - Frau Granold hat es schon angesprochen - die ?Scheidung light? vorsah. Das Vorhaben ist so genannt worden, weil es vorsah, dass bei kinderlosen Paaren ein vereinfachtes Scheidungsverfahren hätte durchgeführt werden können. Wir haben uns über alle Fraktionen hinweg als Parlamentarier mit diesem Vorhaben nicht anfreunden können. Deshalb haben wir dafür gesorgt, dass dieser Vorschlag später im Referentenentwurf nicht mehr enthalten war. Es handelte sich also deswegen um selbstbewusste Parlamentsarbeit, weil wir uns nicht mit diesem Vorschlag abgefunden haben.
Es war gute, vorbildliche Parlamentsarbeit deshalb, weil wir in ganz vielen Gesprächen auf unterschiedlichsten Ebenen auf Anliegen eingegangen sind. Es ist schon angesprochen worden, dass wir Anhörungen durchgeführt haben. In den Anhörungen kamen Anregungen aus der Praxis, die keineswegs an uns abgeprallt sind, sondern die aufgenommen wurden. Wir haben mit den Ländern gesprochen. Diese haben Anliegen an uns herangetragen, die insbesondere fiskalischer Natur waren. Den Ländern ging es darum, Kosten zu sparen. Auch diese Anliegen haben Eingang in dieses Gesetzeswerk gefunden. Deswegen ist der vorliegende Gesetzentwurf ein Paradebeispiel dafür, wie man ein Gesetz erarbeiten sollte, nämlich ohne Vorbehalte zwischen den einzelnen Fraktionen, egal ob sie zur Opposition oder zur Koalition gehören. Wir haben in diesem Verfahren gut zusammengearbeitet,
auch wenn man, Herr Wunderlich, eben einen anderen Eindruck haben konnte. Ich will auf Ihre Kritikpunkte noch eingehen, aber nichtsdestoweniger haben wir im Verfahren selbst sehr sachorientiert zusammengearbeitet.
Um was geht es? Es geht darum - das ist schon öfter angesprochen worden -, mehr Transparenz in ein Verfahren zu bringen, das Menschen betrifft, die sich in einer sehr schwierigen, in einer emotional geprägten Situation auf den Weg machen müssen, verschiedene Dinge zu regeln. Dieser Weg ist momentan nicht sonderlich leicht, weil er sehr unübersichtlich ist. Sie müssen schauen, mit welcher Frage sie zu welchem Gericht gehen müssen. Ein Beispiel: Wenn es in einem Scheidungsverfahren um Unterhalt geht, dann ist klar, dass das Familiengericht zuständig ist. Haben die Ehepartner aber während der Ehe eine Eigentumswohnung erworben, lebt einer der Ehepartner jetzt in dieser Eigentumswohnung und geht es darum, inwieweit dieser Vorteil angerechnet wird, dann muss das zuerst in einem anderen Verfahren vor einem anderen Gericht geklärt werden, bevor das Ergebnis im Unterhaltsprozess Eingang finden kann. Das eine Verfahren muss also ausgesetzt werden, solange das andere Verfahren noch nicht entschieden ist. Das sorgt natürlich für Unsicherheit und Verwirrung. Deswegen ist es richtig, dass alle solche Verfahren, die die Situation von Menschen in Trennung betreffen, beim Großen Familiengericht angesiedelt werden. So ist leichter nachzuvollziehen, wie Rechte geltend gemacht werden können. Das unübersichtliche Nebeneinander von Verfahrensordnung, Zivilprozessordnung, Hausratsverordnung, BGB usw. wird aufgehoben. Damit wird dieser Bereich übersichtlicher geregelt.
Ich möchte nun auf einige Punkte eingehen, die kritisch angesprochen wurden. Wir haben beschlossen und wollen mit diesem Gesetz umsetzen, dass in Zukunft insbesondere im Interesse des Kindeswohls eine vorrangige und beschleunigte Bearbeitung erfolgt. Ich kann, Herr Wunderlich, nichts Negatives daran sehen, wenn Gerichten aufgegeben wird, in Zukunft zügiger zu arbeiten, wenn es um das Kindeswohl geht.
Es muss darum gehen, schnell Klarheit zu schaffen, auch für die Kinder, damit erst gar nicht eine Entfremdung stattfindet. Selbstverständlich kann es sein, dass in Einzelfällen davon abgewichen werden muss. Beispielsweise haben wir in den Gesetzentwurf aufgenommen, dass bei Gewaltsituationen Eltern getrennt angehört werden können und dies nicht, wie ursprünglich vorgesehen, gemeinsam geschehen muss. Im Interesse des Kindes muss eine schnelle, zügige Regelung herbeigeführt werden. Hier mögen die Interessen der Eltern unter Umständen das eine oder andere Mal nicht entsprechend berücksichtigt werden. Es geht aber um das Interesse des Kindes; dies steht im Vordergrund. Deswegen stehe ich voll und ganz hinter dieser Beschleunigung.
Die Länder werden natürlich gehalten sein, dafür die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen; denn ohne eine Veränderung der Ressourcen in den Ländern wird das nicht möglich sein.
Herr Wunderlich, Sie haben die Ordnungsmittel angesprochen. Ich möchte einmal ausführen, um was es dabei geht. Derzeit können Zwangsmittel verhängt werden, beispielsweise wenn ein Umgangsrecht nicht verwirklicht wurde. Ich nenne ein Beispiel: Der Vater hat das Recht, das Kind über Ostern zu sehen. Die Mutter gibt das Kind an Ostern aber nicht heraus. Ostern ist vorbei. Dann bestünde keine Möglichkeit mehr, weil der Zeitraum abgelaufen ist, ein Zwangsmittel zu verhängen. - Das wollen wir jetzt ändern; auch dann, wenn Ostern vorbei ist, soll ein entsprechendes Verhalten sanktioniert werden können. Die Nichtherausgabe des Kindes durch die Mutter kann aber unterschiedliche Gründe haben. Unter Umständen kann dies böswillig gewesen sein, indem sie sagt: Nein, ich sehe nicht ein, dass er das Kind über Ostern hat. - Dann gibt es in Zukunft ein Ordnungsmittel. Ursprünglich gab es eine andere Vorschrift; mittlerweile ist es eine Kannvorschrift. Der Richter kann also ein Ordnungsmittel verhängen und sagen: Ich gebe auf, 200 Euro zu zahlen.
Sie schwingen nun die ganz große Keule, indem Sie sagen, dass auch eine Haftstrafe erfolgen kann.
- Der worst case. - Es ist aber eine Kannregelung. Sie selbst sind doch Familienrichter. Ich muss Ihnen sagen, dass ich als Anwältin in diesem Bereich etwas mehr Vertrauen zu Familienrichtern habe. Warum sollte man, wenn man weiß, dass da nichts zu holen ist, weil die Frau von ALG II lebt, eine Situation schaffen, in der das Kind zu Pflegeeltern muss, weil die Frau in Ordnungshaft muss?
Den deutschen Richter müssen Sie mir zeigen, der so unverfroren ist und so etwas Unglaubliches anordnet. Ich kann mir einen solchen Richter nicht vorstellen. Ich finde auch, dass das Ihrem Berufsstand gegenüber überhaupt nicht angebracht ist. Darüber hinaus würde es dem Wohl des Kindes widersprechen. Dies aber steht über allem.
Lassen Sie mich nun zum Verfahrensbeistand, der dem Kind beigeordnet wird, um es im Verfahren zu begleiten, kommen. Frau Granold hat bereits einige Punkte angesprochen. Es wurde gesagt, dass es einen einfachen und einen erweiterten Umfang gibt. Sie haben aus einem internen Berichterstattergespräch zitiert. Ich persönlich finde, es ist keine Konzession an die Länder, wenn wir sagen, dass wir dafür sorgen, dass die Länder weniger Geld ausgeben müssen. Sie müssen sich einmal anschauen, was Anwälte bekommen, wenn sie eine vergleichbare Tätigkeit leisten. Bei einem Streitwert von 3 000 Euro - wir haben das einmal ausgerechnet - bekommt ein Anwalt für die gleiche Tätigkeit um die 600 Euro.
- 585 Euro, wie Frau Granold sagt. - Ich kann nicht verstehen, wieso es große Aufregung gibt, wenn Verfahrensbeistände, die nicht unbedingt Anwälte sein müssen, 550 Euro und Anwälte für die gleiche Tätigkeit 585 Euro bekommen. Ich finde, daran sollte man sich nicht hochziehen.
Ich glaube, dass die Kritik am Zeitpunkt des Inkrafttretens nicht allzu ernst gemeint sein kann. Jetzt ist Ende Juni. Das Gesetz wird auf den Weg gebracht. Die Länder haben dann genug Zeit, sich auf die Umsetzung vorzubereiten und die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Ich frage mich, was zwei oder drei Monate mehr an Erleichterung bringen würden, wenn das denn tatsächlich so kompliziert und so umfangreich ist. Lassen Sie uns also jetzt beschließen, dass es zum 1. September 2009 in Kraft tritt!
Um es mit den Worten von Franz Müntefering zu sagen: Gutes Verfahren, gute Beratung, gutes Gesetz, mehr Transparenz, Glück auf!
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker für die CDU/CSU-Fraktion.
Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kinder und Jugendliche und ihre Familien haben Anspruch auf vielfältige Unterstützung durch die Gesellschaft. Häufig geht es dabei um Geld, Bildung und Infrastruktur. Aber auch dann, wenn wegen privater Veränderungen in einer Familie - damit gehen ja Emotionen einher - Entscheidungen getroffen werden müssen, die das Leben umgestalten, müssen wir den Kindern und Jugendlichen beistehen. Wenn die Eltern es in einer solchen Situation nicht schaffen, die notwendigen Entscheidungen zu treffen, weil ihr Beziehungskonflikt ihnen den Blick für das verstellt, was für die Kinder gut ist, brauchen wir ein Verfahren, das genau das leistet, ein Verfahren, das in diesem Konflikt vor allem nicht selbst zur Belastung wird, etwa dadurch, dass es unnötig lange dauert oder wechselseitige Schriftsätze hervorruft, in denen Beleidigungen und Vorwürfe schon aktenkundig festgeschrieben werden, noch bevor man sich überhaupt in einer Verhandlung gegenübersitzt.
Wir brauchen also ein Verfahren, das eher dazu beiträgt, den Konflikt zu bewältigen, anstatt ihn zu verschärfen. Das vorliegende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit setzt hier einige wichtige und gute Akzente. Drei Punkte erscheinen mir als Familienpolitikerin, als die ich hier heute sprechen darf, besonders wichtig, vor allem da, wo es um Kindschaftssachen, Umgangs- und Sorgerechtsangelegenheiten, geht.
Erstens. In dem Gesetz werden Elemente des Cochemer Modells aufgegriffen. Wir setzen verstärkt auf zügige und einvernehmliche Lösungen. Eltern sollen es durch die Verfahrensführung des Gerichts schaffen, ihren Beziehungskonflikt zurückzustellen und sich darum zu kümmern, was in der neuen Situation das Beste für das Kind ist. Es gilt, gemeinsam eine Regelung zum Lebensmittelpunkt und zum Umgang zu finden.
Eine solche Regelung ist dann, wenn die Eltern sie treffen, häufig näher an den Bedürfnissen des Kindes. Niemand kennt diese Bedürfnisse nämlich besser als die Eltern. Eine solche Lösung hat auch bessere Chancen, umgesetzt zu werden, weil sich die Eltern verpflichtet fühlen und ihnen nichts oktroyiert worden ist. Deshalb bekommen die Mediation und die außergerichtliche Beratung einen höheren Stellenwert.
In den meisten Kindschaftssachen kann man davon ausgehen, dass die schnelle Anordnung des Umgangs mit beiden Elternteilen für das Kind gut ist. Es darf nicht passieren, dass nur wegen des Terminkalenders des Gerichts ein Kontakt abreißt, der sonst auch nach einer Trennung beibehalten worden wäre. Deshalb muss der erste Verhandlungstermin künftig innerhalb eines Monats anberaumt werden. In diesem Termin muss zumindest eine vorläufige Regelung angedacht werden, wenn es nicht sogar gelingt, den Streit komplett beizulegen. Dafür muss zur Not auch ein Termin in einer anderen Sache, in der es ums Geld geht, zurückstehen; diese Priorität müssen wir setzen.
Das Gesetz ist flexibel genug - dazu haben die Nachbesserungen im Anschluss an die Anhörungen in der Kinderkommission und im Rechtsausschuss beigetragen -, sodass bei Bedarf auch anders vorgegangen werden kann. Wo eine Einigung der Eltern nicht möglich ist, kann auch eine streitige Entscheidung getroffen werden. Wo der Umgang aus der Sache heraus nicht angezeigt ist, braucht er vorläufig auch nicht angeordnet zu werden. Wo gemeinsame Verhandlungen wegen des Streits, wegen der spezifischen Vorgeschichte nicht möglich sind - zum Beispiel bei Gewalt in der Vorgeschichte -, kann davon auch Abstand genommen werden. Das Gericht ist also flexibel genug und braucht nicht schematisch vorzugehen.
Zweitens möchte ich auf das Institut der Verfahrenspflegschaft und die Änderungen dort eingehen. Das Institut der Verfahrenspflegschaft soll in Zukunft öfter genutzt werden. Bei erheblichen Interessenkonflikten muss Verfahrenspflegschaft angeordnet werden. Vor allem in Umgangsstreitigkeiten wird das in einer deutlich höheren Fallzahl als bisher geschehen. Es hat seine Berechtigung; denn das Kindeswohl steht im Mittelpunkt jedes Kindschaftsverfahrens. Es muss also ein geeignetes Verfahren gefunden werden, wie man das subjektive und wohlverstandene Interesse des Kindes einbringen kann. Das kann das Kind häufig nicht selbst, weil es sich in einem ganz schwerwiegenden Loyalitätskonflikt gegenüber den Eltern, die sich streiten, befindet. Es hat Angst, wenn ein Elternteil weggegangen ist, dass es dann auch noch die Liebe des anderen verliert, bei dem es lebt. Hier ist es Aufgabe des Verfahrensbeistandes, wie er in Zukunft genannt wird, die Sichtweise des Kindes einzubringen und ihm auch zu erklären, was da passiert, was das Gericht macht und welche Bedeutung das für sein Leben hat.
Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um allen Verfahrenspflegern für ihren engagierten Einsatz für die Kinder in diesen Situationen zu danken.
Ich habe in meiner Zeit als Familienrichterin die Arbeit der Verfahrenspfleger häufig als sehr konstruktiv und zielführend erlebt und habe auch Rechnungen gesehen, deren Beträge höher lagen als die jetzt vorgesehenen Pauschalen. In einigen Fällen habe ich diese Beträge durchaus für berechtigt gehalten. Von daher habe ich eine gewisse Skepsis gegenüber der Pauschalierung. Ich muss natürlich zugeben, dass die Deckelung der Beträge der Preis für die Ausweitung der Fallzahlen war. Nur so konnte verhindert werden, dass der Kostenrahmen insgesamt gesprengt wird. Immerhin muss man auch anerkennen - das wurde eben schon gesagt -, dass sich die pauschalierten Beträge grob an der Vergütung der Rechtsanwälte orientieren. Ich denke, die Praxis wird zeigen, ob man für diese Beträge in Zukunft eine Leistung bekommt, die in der Sache weiterhilft. Ansonsten muss man darüber noch einmal nachdenken und kreative Lösungen suchen. In diesem Zusammenhang sollte man auch die persönlichen Zugangsvoraussetzungen, also die Qualifikationsstandards, definieren. Ausgehend von diesen kann dann auch begründet werden, auf welchem Niveau die Vergütung angesiedelt sein sollte.
Dritter und letzter Punkt. Wichtig ist, dass die getroffenen Entscheidungen effektiv umgesetzt werden. Bei Umgangsstreitigkeiten, also wenn es zum Beispiel immer wieder zu Konflikten bei der Übergabe des Kindes kommt, kann die Einführung eines Umgangspflegers hilfreich sein.
Außerdem - auch das wurde schon angesprochen - stellen wir von Zwangsmitteln auf Ordnungsmittel um. Damit ist eine bessere Durchsetzbarkeit gewährleistet, da diese auch noch nachträglich vollstreckt werden können. Die Sorge, dass dann objektiv falsche Entscheidungen durchgesetzt würden, ist nicht stichhaltig. Natürlich kann sich jeder Beispielsfälle vorstellen, in denen ein objektiv falscher Umgang durchgesetzt werden könnte.
Aber herauszufinden, was im Einzelfall für ein Kind mit seiner individuellen Vorgeschichte in einer Situation richtig ist, in der sich die Eltern uneins sind, kann nur Sache des Gerichts sein. Es muss in einem ordentlichen Verfahren alle Argumente der Beteiligten zur Kenntnis nehmen, diese in seine Überlegung einbeziehen und dann die Entscheidung treffen. Wenn eine Regelung festgelegt wurde, muss diese auch gelten. Es dürfen dann nicht wieder die Argumente aus dem Erkenntnisverfahren bei der Vollstreckung diskutiert werden.
Mir ist wichtig, zu betonen, dass auch Ordnungshaft möglich ist. Sie wird natürlich nur unter strengster Anwendung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit eingesetzt werden. Aber es ist wichtig, diese Option zu haben, damit sich Menschen, die wissen, dass bei ihnen kein Ordnungsgeld vollstreckt werden kann, nicht einfach stur stellen können. Das haben sicherlich auch andere in der Praxis erlebt. Ich könnte da jedenfalls entsprechende Fälle nennen. Deshalb ist es für mich wichtig, dass auch hier die Drohung mit einer Sanktion möglich ist.
Meine Damen und Herren, wie gut diese Regelungen sind, wird letztendlich die Praxis zeigen. Das hängt auch davon ab, wie die Beteiligten und die Verantwortlichen mit den neuen Regeln umgehen. Ich möchte deshalb mit einem Appell an die Familienrichter und die Beteiligten schließen: Stellen Sie das Interesse des Kindes in den Mittelpunkt! Bemühen Sie sich, dass die gute Lösung das Ziel des Verfahrens ist! - Das Interesse des Kindes ist fast immer auf die Kontinuität seiner Beziehung zu beiden Elternteilen gerichtet. Hier darf eine schnelle und konstruktive Lösung nicht an der Terminlage des Gerichts oder der Sachverständigen bzw. am Streit der Eltern scheitern.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Joachim Stünker für die SPD.
Joachim Stünker (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Kurz vor der parlamentarischen Sommerpause noch drei Anmerkungen.
Die erste gebe ich zu Protokoll - Herr Montag ist leider nicht mehr da -, was Vaterschaft bzw. Mutterschaft bei diesem Gesetz angeht. Es war im Jahr 1999 - gleich zu Beginn der rot-grünen Koalition -, als ich der damaligen Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin im Zusammenhang mit der Reform der Zivilprozessordnung, die wir im Jahr 2002 abgeschlossen haben, einen Brief geschrieben habe. Ich habe ihr geschrieben, dass ich der Meinung sei, wir sollten auch das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf diesen Reformweg bringen.
Dann hat im Sommer 1999 - auch Herr Manzewski ist nun leider nicht mehr da - ein denkwürdiges Gespräch im Bundesministerium der Justiz stattgefunden. Es waren die Fachbeamten sowie OLG-Räte und OLG-Präsidenten anwesend. Während dieses Gesprächs sagte die Ministerin ständig zu mir: Du, hör mal zu! Die sagen ganz etwas anderes als das, was du mir immer erzählt hast. - Das Gespräch lief also nicht gut.
Darauf habe ich gesagt: Frau Ministerin, lassen Sie uns doch nach diesem Gespräch ein Vieraugengespräch führen. - Das haben wir auch gemacht. Aus Vieraugengesprächen soll man nicht zitieren, aber so viel kann ich sagen: Ich habe versucht, deutlich zu machen, warum wohl die Gruppe, die dort saß, kein großes Interesse daran haben könnte, dass wir eine Reform vornehmen. Darauf sagte die Ministerin zu mir: Ja, Joachim, das sehe ich ein. - Sie hat dann eine Arbeitsgruppe eingesetzt, wofür ich heute noch sehr dankbar bin. Ich möchte mich ausdrücklich bei Herrn Meyer-Seitz und seinen Kolleginnen und Kollegen im Justizministerium dafür bedanken, dass sie in acht Jahren eine enorme Arbeit geleistet und uns diesen wirklich guten Entwurf vorgelegt haben. Herzlichen Dank!
So viel zur Vaterschaft bzw. zur Mutterschaft.
Es geht nicht nur darum, verstreute Vorschriften zusammenzufassen, sondern es geht auch darum, dass man eine Rechtsprechung, die sich über Jahrzehnte entwickelt hat, direkt in eine neue Kodifizierung einbinden kann und insofern auch etwas für die Rechtsfortbildung leistet. Dass ein Gesetz oder Vorschriften aus dem 19. Jahrhundert der gesellschaftlichen Wirklichkeit im 21. Jahrhundert nicht mehr gerecht werden können, liegt - glaube ich - auch auf der Hand.
Zweite Anmerkung. Weshalb es uns so wichtig war, auch die Rechtsbeschwerde vor dem Bundesgerichtshof zu ermöglichen, lässt sich vielleicht an dem Beispiel verdeutlichen, das wir hier gestern Nachmittag sehr kontrovers diskutiert haben. Eine Kontroverse etwa darüber, wie denn zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs im Betreuungsrecht hinsichtlich Patientenverfügungen auszulegen sind, wird es zukünftig nicht mehr geben, wenn solche Entscheidungen im Zuge der Rechtsbeschwerde unmittelbar vor dem Bundesgerichtshof behandelt werden und dort die Rechtsprechung vereinheitlicht wird. Hier hatten zwei Senate durch Zufall über eine Regelung im Betreuungsrecht zu entscheiden. Dies führt zu Widersprüchen, die der eine so und der andere so auslegt, also wie es ihnen gerade passt.
Zukünftig werden diese Verfahren im Interesse der Rechtseinheit von Flensburg bis zum Bayerischen Wald vor dem Bundesgerichtshof entschieden werden können. Von daher ist es ein wichtiger Schritt, dass wir dies dem Verfahren in der Zivilprozessordnung angeglichen haben. Dafür, dass es im Ergebnis zulassungsfrei geworden ist, müssen wir noch einen Bußgang zum Bundesgerichtshof tun, der ja mehr Arbeit bekommen hat. Ich glaube allerdings, dass es die Praxis richten wird.
Meine dritte und letzte Anmerkung: Für uns Sozialdemokraten ist dieses Gesetzeswerk, welches gewährleistet, das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit im 21. Jahrhundert in dieser Gesellschaft mit einem modernen Recht weiterzubetreiben, auch in Richtung der Länder eine Antwort auf die immer wieder auftretenden Bestrebungen, die Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu privatisieren, von den Gerichten zu lösen und den Industrie- und Handelskammern, den Notaren oder sonst wem zu übertragen. Es ist für die Praxis, für die vielen Menschen, die von ihren Landesjustizministern immer wieder verunsichert werden, wichtig, dass festgehalten wird: Wir Sozialdemokraten stehen eindeutig zur freiwilligen Gerichtsbarkeit bei den Amtsgerichten.
Schönen Dank und schönen Sommer!
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9733, die unter Nr. 1 genannten Artikel des Gesetzentwurfs der Bundesregierung auf Drucksache 16/6308 unverändert und die unter Nr. 2 genannten Artikel sowie die Inhaltsübersicht in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt nun ein zwischen den Fraktionen im Rechtsausschuss abgestimmter Änderungsantrag vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/9831? - Ist jemand dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist damit einstimmig angenommen.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Interfraktionell ist vereinbart, unmittelbar in die
einzutreten. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Lesung angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9816. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 14. Sitzung - wird am
Montag, den 30. Juni 2008,
an dieser Stelle veröffentlicht.]