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Vertrackte Beziehungskiste?

Streiten - Abgeordnete in der Medienwelt

Popetwon
Popetwon.

Der Artikel 5 des Grundgesetzes auf Dani Karavans Installation ?Grundgesetz 49? im Parlamentsviertel in Berlin.
Der Artikel 5 des Grundgesetzes auf Dani Karavans Installation ?Grundgesetz 49? im Parlamentsviertel in Berlin.

Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen).
Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen).

Wolfgang Thierse (SPD).
Wolfgang Thierse (SPD).

TV-Sendung "Sabine Christiansen."
TV-Sendung "Sabine Christiansen."

Luc Jochimsen (Die Linke.)
Luc Jochimsen (Die Linke.)

Hans-Joachim Otto (FDP).
Hans-Joachim Otto (FDP).

Olav Gutting (CDU/CSU).
Olav Gutting (CDU/CSU).

Es gibt eine todsichere Methode, in die Medien zu kommen: Krawall. „Fang Krawall oder Streit mit der eigenen Partei oder Fraktion an, dann ist dir die Aufmerksamkeit sicher“, sagt der Berliner Journalist Robert Birnbaum, ein erfahrener Parlamentskorrespondent. Streit an sich ist immer eine Nachricht wert, denn Auseinandersetzungen – zwischen wem auch immer – bringen ja Spannung mit: Wer setzt sich durch, wer behält die Oberhand? Wettbewerb reizt zum Hinsehen.

Die andere Seite der Politik hat meist weniger Publikum: Aktenstapel mit Gesetzesvorlagen, Maßnahmenpakete, Haushaltspläne, meist wenig Geld und viele Begehrlichkeiten. Papier ist geduldig, Akten machen keinen „Krawall“. Andererseits bleiben Ideen, Konzepte, Lösungen liegen, wenn sich keiner für sie stark macht.

Politik muss also raus aus dem Büro. „Ohne die Presse kann der Wettstreit der Ideen in einer Demokratie nicht funktionieren. Wer Nachrichten und Gedankenglaubhaft vermitteln will, braucht die Presse“, sagt Olav Gutting, Mitglied der Jungen Gruppe in der CDU/CSU-Fraktion. Es geht also darum, die Menschen zu informieren. Und das ist durch das Grundgesetz gesichert. Artikel 5 regelt die Pressefreiheit als Grundrecht und damit auch die Freiheit, sich zu informieren. Und in Artikel 42 heißt es: „Der Bundestag verhandelt öffentlich.“ Das gilt für alle Debatten im Plenum. Jeder kann dabei sein und sehen, was entschieden wird.

Nicht nur die Politik, die ganze Welt ist eine Bühne. Und die politische Bühne brauchen Politiker, um wahrgenommen zu werden. „Politiker spielen auch eine Rolle“, meint etwa Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen). „Und wie Schauspieler brauchen auch Politiker einen guten Text, müssen auf Äußeres und Kostüme achten.“ Doch Bühne ist nicht gleich Bühne und eine Plenardebatte ist keine Talkshow. Was aber hat das Plenum, was Christiansen & Co. nicht haben? „Das Parlament ist die Bühne zur Präsentation politischer Meinungen und Vorschläge, aber es darf nicht zum „Show-Room“ verkommen“, sagt Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD). „Im Parlament wird es ernst. Hier werden die öffentlichen Angelegenheiten behandelt, die alle Bürger etwas angehen, sie im Zweifel alle betreffen.“ Aber anders als Talkshows seien Parlamentsdebatten keine folgenlosen Rituale.

Politische Bühne statt Show-Room

Im Plenarsaal herrschen andere „Spielregeln“ als in Talkshows. Rederecht und Redezeiten legen fest, wer wann etwas sagt. Bei „Sabine Christiansen“ bestimmt das die Moderatorin oder es geht nach dem Recht des Lauteren. Rederecht haben im Bundestag Abgeordnete, Mitglieder der Bundesregierung und des Bundesrates. Also jene, die aufgrund der Wahlentscheidung der Bürgerinnen und Bürger beauftragt sind, politische Probleme zu lösen und Entscheidungen zu treffen. Die Redezeit der Abgeordneten ist genau festgelegt, nach dem Gewicht, das die Wähler den Fraktionen jeweils zugebilligt haben: Derzeit haben die Fraktionen SPD und CDU/CSU bei einer einstündigen Debatte je 19 Minuten, die FDP acht, Die Linke. und Bündnis 90/Die Grünen je sieben Minuten Redezeit. Das macht die Debatten demokratisch, doch nicht immer mediengerecht. Wenn ein Sender wie Phoenix ganze Debatten überträgt, erreicht er einen Marktanteil von 0,7 Prozent. Die Sendung „Sabine Christiansen“ sehen im Schnitt vier Millionen Zuschauer, das ist ein Marktanteil von 12,3 Prozent.

Das Auf und Ab der Themen in den Medien zwingt Abgeordnete und Politiker, ein Gefühl für den richtigen Zeitpunkt einer Initiative zu entwickeln. Zu lange darf man nicht zögern. „Politiker, die in den Medien nicht stattfi nden, existieren nicht“, merkt Wolfgang Thierse kritisch an. „Sie sind auf die Medien angewiesen, wenn sie nicht den Makel der Untätigkeit riskieren wollen.“ Andererseits kann eine voreilige Aussage Schlagzeilen provozieren, die die Diskussion beeinfl usst. Dann gelten Politiker plötzlich als „handlungsunfähig“, wenn sie nicht gleich entscheiden, sondern die Vor- und Nachteile eines Gesetzes offen beraten.

Um solche Effekte besser zu verstehen, kann ein „Seitenwechsel“ hilfreich sein. Wie bei Luc Jochimsen von der Fraktion Die Linke. Über 40 Jahre hat sie Politiker beobachtet – zuletzt als Fernsehchefredakteurin des Hessischen Rundfunks. Jetzt wird sie beobachtet. Das verändert auch ihre Sicht auf den politischen Alltag. „Empfi ndlichkeiten von Politikern waren mir in der Zeit, als ich Journalistin war, eher fern“, sagt sie. „Und ich kann jetzt bestimmte Empfi ndlichkeiten auch nachvollziehen.“ Was sie damit meine? „Na ja, wie wird das, was man macht, beurteilt? Wie wird es hochgeschrieben? Runtergeschrieben? Also diese Art von dynamischen Wellen, die es bei uns gibt.“

Beziehungskrisen und Liebesgeflüster

Manchmal überschlagen sich die Wellen: Berichte aus der Privatsphäre, falsche Darstellungen, Kampagnen auf der einen Seite – gekränkte Eitelkeiten oder Informationsverweigerung auf der anderen. Beziehungsstörungen zwischen Medien und Politik kommen immer wieder vor. Gerhard Schröder, der vielen als Medienkanzler galt, wehrte sich vor Gericht gegen Medienberichte über seine angeblich getönten Haare. Sein Vorgänger Helmut Kohl wiederum stand im Ruf, Medien, deren Berichterstattung er nicht schätzte, mit Liebesentzug zu „bestrafen“ und etwa Interviews zu verweigern. Fest steht: Wenn falsche Tatsachen behauptet werden, hat der Leidtragende, ein Politiker wie jeder andere Bürger auch, die Möglichkeit, eine Gegendarstellung zu erwirken. Ein Mittel, um falsche Aussagen in den Medien an gleicher Stelle zu korrigieren. Als etwa die Boulevardzeitung „Bild“ berichtete, dass Claudia Roth ihrem Freund Staatsaufträge zugeschoben hätte, setzte sie eine Gegendarstellung durch. „Bild“ musste nicht nur die Gegenmeinung drucken, sondern auch einen Zusatz bringen, dass Claudia Roth Recht habe.

Im Grunde aber sind Abgeordnete und Journalisten aufeinander angewiesen. Die einen wollen ihr Thema in die Medien, die anderen wollen als erster die Nachricht bringen. Gute Arbeitsbeziehungen sind da wichtig. Dann kann man auch mal ein Hintergrundgespräch über Themen führen, die nicht gleich in den Zeitungen stehen. Hier hilft ein „Code“. Man spricht „Unter eins“, „zwei“ oder „drei“. „Unter eins“ heißt, dass ein Sprecher mit Namen und Funktion als Quelle genannt werden darf. Bei „unter zwei“ wird die Nachricht einer Institution zugeschrieben. Dann schreiben Journalisten: „Aus Kreisen der SPD-Fraktion heißt es ...“ Und „unter drei“ darf gar nicht veröffentlicht werden. Es sind Hintergrundinformationen, die Journalisten helfen sollen, Themen besser einzuordnen.

Bei ihrer Pressearbeit werden die Abgeordneten von den Fraktionspressestellen unterstützt. Sie beantworten Fragen von Journalisten und beraten ihre Abgeordneten, wenn diese ein Thema in den Medien platzieren wollen. Häufi g gehen Abgeordnete aber auch den direkten Weg – zu den Redaktionen oder gleich zum Bürger. Dazu nutzen sie häufi g das Internet mit Newsletter, Chats oder Weblogs. Hans-Joachim Otto von der FDP-Fraktion, Vorsitzender des Ausschusses für Kultur und Medien, hat im Februar 2005 sein Weblog gestartet und stellt regelmäßig Gedanken zu politischen Themen oder Hinweise auf interessante Artikel ins Netz. „Blogs geben mir die Chance, sehr viel schneller eine große Zahl von Menschen zu erreichen. Und andere können sich an dem Gespräch beteiligen, so dass man ganz schnell in einer Art Schneeballsystem ein breites Meinungsspektrum bekommt“, sagt Otto.

Grenzenlose Medienwelten?

Abgeordnete bewegen sich nicht nur in der Medienwelt, sie müssen auch deren Rahmenbedingungen und Entwicklungen im Auge haben. Dann geht es häufi g um Urheberrecht, Meinungsvielfalt oder Jugendschutz. Und über allem steht die Frage: Wo sind die Grenzen der Pressefreiheit, wann stört sie andere Rechte? Olav Gutting von der Fraktion CDU/ CSU ließ kürzlich auf seiner Website über die MTV-Sendung „Popetown“ abstimmen. „Popetown“, so meint er selbst, beleidige den christlichen Glauben und mache sich über behinderte Menschen lustig. „Popetown gehört nicht auf den Bildschirm, sondern in den Müll.“ Wie sich das mit der Pressefreiheit verträgt? „Pressefreiheit ist ein hohes Gut“, erklärt Gutting. „Ein staatliches Verbot sollte deshalb nur das allerletzte Mittel sein. Wünschenswert wäre es, wenn die öffentliche Diskussion dazu führt, dass die Programmverantwortlichen einsehen, dass man nicht alles ausstrahlen muss. Es gibt Grenzen, die muss man nicht per Gesetz definieren.“

Ein anderes Grenzgebiet ist die Arbeit der Nachrichtendienste. Im Bestreben, Informationen zu sammeln, sind die Schlapphüte den Medien nicht unähnlich. Nun wurde in der so genannten BND-Affäre bekannt, dass der Nachrichtendienst Journalisten bespitzeln ließ, um Informanten in den eigenen Reihen aufzuspüren. Der Bundestag überwacht mit dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) die Nachrichtendienste. Allerdings ist es zur Geheimhaltung verpfl ichtet und tagt nicht öffentlich. In diesem Fall hat das PKG nun die Befunde über die geheimdienstliche Beeinträchtigung der Pressefreiheit an die Presse gebracht. Der Bericht über die BND-Aktivitäten kann auf der Webseite des Bundestages eingesehen werden.


Weitere Informationen

Die Abgeordneten im Internet:

Olav Gutting (CDU/CSU).
www.olav-gutting.de

Wolfgang Thierse (SPD).
www.thierse.de

Hans-Joachim Otto (FDP).
www.hans-joachim-otto.de

Lukrezia Jochimsen (Die Linke.)
www.lukrezia-jochimsen.de

Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen).
www.claudia-roth.de

Text: Georgia Rauer |
Erschienen am 06.07.2006

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