Schwer zu sagen, was heute eigentlich deutsch ist. Gerhard Schröder, das ist klar. Aber was ist mit Kuckucksuhren und Springerstiefeln? Mit Schwarz-Rot-Gold und Beige und Braun? Eines scheint es jedenfalls ganz sicher nicht zu sein: Die Mode. Zumindest war das so vom Zweiten Weltkrieg bis zur Jahrtausendwende. Jetzt kann man sich da nicht mehr sicher sein.
Wenn es stimmt, was Constantin Rothenburg sagt, nämlich, dass eine Zeitschrift so heißt, weil sie für eine gewisse Zeit steht, dann ist in Deutschland jetzt die Zeit der Mode und des Lifestyles angebrochen. Tatsächlich läge dann eine Welle in der deutschen Luft, die Rothenburg als einer der ersten geschnuppert hat. Hoch oben im fünften Stock liegt das Berliner Loft, in dem er und seine vier festen Mitarbeiter eine Art von Magazin konzipieren, wie man es hierzulande kaum kannte: Mode, Kunst und Lifestyle auf internationalem Niveau. Das Ergebnis ist fast ein ganzes Kilo Heft. Experimentelle Mode und Fotografie stehen im Mittelpunkt, Texte finden eher am Rande statt.
Deutschland und die Mode haben eine komplizierte Geschichte. Seit das Land in DDR, BRD und den Provinzialismus auseinander fiel, hat sich wenig bewegt. Sicher, einige Designer wie Jil Sander oder Karl Lagerfeld waren auch international erfolgreich, aber im eigenen Land wurden weiterhin Stangenchic und Kunstfaserklamotten getragen. So sah dann auch die Modemagazinlandschaft aus: Bieder wie "Brigitte". Wenn die Leserin so ist wie ihre Lektüre, dann müsste sie eine Sekretärin sein, die beim Ausgehen nicht so recht weiß, was sie anziehen soll. Am Ende geht sie doch lieber auf Nummer sicher.
In diesem Umfeld galt "Qvest", als es 2001 auf den Markt kam, als verrücktes Projekt. Dann bekam der Newcomer auch noch den renommierten Lead-Award als bestes Magazin, und die Branche staunte. Doch während "Qvest" vor knapp einem Jahr noch einzigartig war, gibt es nun stapelweise Konkurrenz. "Achtung!", "Deutsch" und "Zoo" sind Titel, die kürzlich mit einem ähnlichen Konzept erschienen sind: Magazine für die schönen Dinge im Leben, so stylisch und experimentell wie anderswo.
Das war auch höchste Zeit. Ein erstes Anzeichen für den Wandel in den deutsch-modischen Beziehungen war, dass typisch Deutsches neuerdings chic ist: Schwarz-Rot-Gold sieht man inzwischen schon auf Bikinis, die Kölner Designerin Eva Gronland verkauft ihre Kollektion "mutter erde vater land" erfolgreich im Pariser Trendladen "Colette". Nicht nur das Deutsche, auch die Deutschen sind - im Ausland - schon länger ein Modethema: Designer wie Bernhard Wilhelm sind in Paris erfolgreich, umgekehrt zieht es den Dior-Star Hedi Slimane nach Berlin. Deutsche Fotografen wie Ellen von Unwerth und Peter Lindbergh sind schon lange an der Weltspitze, umgekehrt machen hippe Zeitschriften wie die ID Foto-Shootings in Allgäuer Molkereien.
Bislang galt: Wer als Deutscher in der Szene mitmischen wollte, musste ins Ausland gehen. Auch Markus Ebner, Chefredakteur des im September herausgekommenen Modemagazins "Achtung!", arbeitet als Modechef beim New Yorker Männermodemagazin "Details". Irgendwann hat er sich geärgert, dass es im Ausland zwar ambitionierte deutsche Designer wie Dirk Schönberger und Stephan Schneider gibt, die aber in Deutschland kein Forum haben. Und: "Dass es kein reines Modemagazin in Deutschland gibt, in dem Bilder und Texte zelebriert werden". Deshalb gibt es jetzt "Achtung!": Viel intelligent fotografierte Mode und viel Selbstbewusstsein in einer Auflage von 10.000 Stück. Über den internationalen Vertrieb landet "Achtung!" in Pariser und Londoner Kiosken neben der ID - ebenso wie "Qvest" und "Deutsch".
Vielleicht rührt der Hang zum Internationalen daher, dass die meisten der neuen Modemagazinmacher einige Jahre im Ausland verbracht haben und ein bisschen selber das verkörpern, was sie als deutsch betrachten. In jedem Fall spielt Internationalität bei den Gestaltungen der Magazine eine wichtige Rolle. Die erste Ausgabe von "Deutsch" versuchte mit einem dunkelhaarigen, brasilianischen Model auf der Titelseite den eigenen Namen zu brechen. Die Message: Deutsch steht zwar drauf, ist aber nicht wirklich drin.
Überhaupt "Deutsch". Dieser Name treibt das neudeutsche Bewusstsein auf die Spitze. Ein Modemagazin oder überhaupt irgend etwas einfach "deutsch" zu nennen kommt immer noch einer Provokation gleich, deren Stärke an den Reaktionen abzulesen war. Das Ergebnis: Als das Magazin im Herbst erschien, sorgte der Titel "Deutsch" in den Medien für viel Trara. "Wir waren selber überrascht über die Stärke der Resonanz", sagt Chefredakteurin Ulrike Miebach. Was in anderen Ländern normal ist, nämlich die Nationalität wie einen Sinn stiftenden Markennamen einzusetzen, irritiert die Deutschen, denen nach dem Krieg eine supranationale Identität anerzogen wurde. Solche Berührungsängste hat Ulrike Miebach nicht: "Da wir hier den Standort haben und auch das Bewusstsein neu besetzen und das auch nach außen tragen wollen, haben wir uns entschieden das Heft "Deutsch" zu nennen." Im Sinne der Werbung jedenfalls war das eine gute Entscheidung. Von den negativen Assoziationsketten wie spießig, engstirnig und intolerant sind die Deutsch-Mitarbeiter frei. Für Moderedakteur Timo Scherer steht der Name für Begriffe wie "Pluralismus", "Weltoffenheit" und "globales Weltbürgertum".
Da ist es auch nicht verwunderlich, dass alle diese Magazine aus Berlin, der undeutschesten Stadt Deutschlands kommen. Constantin Rothenburg von "Qvest" beispielsweise schwärmt von der Hauptstadt, die für ihn mit ihren Stadt-Brüchen und Bewegungen zu einer "gesamtdeutschen Klammer" geworden ist. Von den Freiräumen, die hier Experimente zulassen, die anderswo nicht möglich sind, und resümiert: "Diese Zeitung konnte nur in Berlin entstehen." Aber deshalb heißen Zeitschriften ja auch Zeitschriften: Weil sie etwas über die Zeit sagen, aus der sie kommen.