Zumindest was die erwähnte Diät angeht, ist Cruise durchaus repräsentativ für viele seiner Landsleute und ganz allgemein viele Menschen in der westlichen Moderne. Asien und besonders Japan sind chic wie selten: Der Gang zum Sushi-Restaurant an der Ecke ist ebenso selbstverständlich, wie das regelmäßige Training in japanischem Kampfsport, oder die Übung in Zen-Meditation. Viele Kids in westeuropäischen Metropolen haben Donald Duck und Asterix längst mit fetzigen Manga-Büchern vertauscht, ihre Eltern lesen derweil auf dem Futon den neuesten Murakami-Roman, blättern in einem Bildband des Pop-Architekten Yoshio Taniguchi oder schnippeln einfach geduldig am Bonsai auf der Fensterbank. Längst ist
- von der Tütensuppe bis zum Yamamoto-Bademantel - japanischer Lifestyle in unseren Alltag integriert. Doch nun, das lässt sich unter anderem am Kino ablesen, scheint sich auch die Wahrnehmung Japans zu ändern - vom mit exotistischer Neugier skeptisch-fasziniert beäugten Fremden wird Japan zur neuen Utopie, zur besseren Variante der Moderne.
Zeitgleich mit "Last Samurai" startete auch "Lost in Translation", das gefeierte zweite Werk von Sofia Coppola. Coppola erzählt in zarten, hochsensiblen Bildern von zwei Amerikanern, die in einem Luxushotel in Tokio gestrandet sind. Während der Nächte, in denen sie vor lauter Jet Lag und Melancholie nicht schlafen können, erkunden sie ein hypermodernes Tokio, das in seiner chaotisch-undurchschaubaren und doch faszinierenden Gestalt zum Spiegel ihrer inneren Desorientierung wird. Dabei lehnt sich Coppola auch stilistisch an ihren Schauplatz an: Die Bilder sind hell, irgendwie verträumt, fragmentarisch. Damit erinnern sie an japanisches Kino. Wie die Figuren driftet auch die Kamera durch die Nacht, unterstützt von präzis gewählter Elektropop-Musik, die alles in Trance zu tauchen scheint. Als ob die Bilder schlafwandeln würden.
In Japans Kino verliebt hat sich offensichtlich auch Quentin Tarantino. Erst vor wenigen Wochen kam "Kill Bill No.1" ins Kino, der zweite Teil folgt im März. Hier schickt er Uma Thurman als einsame Rächerin in ein Zauberreich, das aus den Posen und Zeichen, Tagträumen und Stilen des asiatischen, des japanischen Kinos zusammengesetzt ist.
Keine Frage: Japan ist auch im Hollywood der Gegenwart groß in Mode. Woher dieses plötzliche Interesse? Und was bedeutet es? Dass man sich im Westen für Asien interessiert, ist an und für sich nicht neu. So zahlreich wie regelmäßig sind die Wellenbewegungen, in denen das Land Mode wurde. Doch lange Zeit blieb solches Interesse vor allem durch "Orientalismus" (Edward Said) bestimmt: Japan wurde primär als etwas sehr Fremdes, sehr Anderes angesehen, eine unverständliche, irgendwie auch unheimliche Region, ein wenig zurückgeblieben, und im Zweifel ziemlich gefährlich - die "gelbe Gefahr." Der Zweite Weltkrieg mit Japans imperialen Träumen, der brutalen Kolonialherrschaft, dem Bündnis mit den faschistischen Achsenmächten und schließlich der Überfall auf Pearl Harbour gaben solchen Vorstellungen zusätzliche Nahrung. Auch im Kino war das nicht anders. Noch in den späten 80ern sorgte ein Hollywoodfilm für Furore: In "Black Rain" ließ Ridley Scott Michael Douglas als US-Polizist durch ein dunkles, undurchschaubares Tokio taumeln. Manche warfen ihm Rassismus in der Darstellung der Japaner vor. Doch schon "Black Rain" - der Titel bezieht sich übrigens auf den Ascheregen nach dem Atombombenabwurf von Hiroshima - ist doppelbödig: Bei der Douglas-Figur handelt es sich um einer frustrierten Zyniker, einen "schlechten Polizisten", der durch die Begegnung mit einem japanischen Kollegen wieder Selbstachtung bekommt. Nebenbei führt diese Lektion in japanischer Lebensart auch zu einem besseren Verständnis für Japan und seine Menschen - und zu einer Ahnung von Schuldgefühl für amerikanische Kriegstaten, etwa die beiden Atombombenabwürfe.
Doch bleibt Japan immer noch "das Andere". Es fungiert hier, wie sogar noch in "Last Samurai" als disziplinierter und spiritueller Gegenpol zu einem chaotischen Amerika, als von Tradition, Hierarchien und aristokratischen Werten geprägte Alternative zu einer von "Kontingenz und Ironie" (Richard Rorty) dominierten, transzendental obdachlosen Moderne.
Aber was heute an Japan fasziniert, ist genau diese Kontingenz: eine ironische Freiheit, die aus Chaos und Unordnung entsteht. In manchem wirkt Japan wie eine verschärfte Variante der USA, zugleich aber auch wie ein kultureller Gegenentwurf zum dominierenden Amerikanismus, dessen gerade zur Zeit manch einer überdrüssig ist. Und nur ein Ort, der auch modern ist, erlaubt noch den schamlos-neugierigen Blick auf das Fremde. Hinzu kommt noch eine kürzlich neuentdeckte Verwandtschaft: Die Wirtschaftskrise, die der Westen gerade erlebt, kennt Japan schon seit Ende der 80er-Jahre - und ist längst gewohnt, was man im Westen gerade mühsam zu lernen beginnt: Gut mit der Krise zu leben.
Die immense Produktivität Japans, die Phantasie seiner Erfinder, wird durch Börsenstagnation und Reformstau ebenso wenig eingeschränkt, wie die Kraft der japanischen Ästhetik. Vielleicht kann man heute auch das von Japan lernen. Nach wie vor steht das Land für Hypermodernismus in jeder denkbaren Form, für das beste Industriedesign der Welt und wild-faszinierenden Stilmix. Man kann dies ebenso in der schrillen Warenwelt von Kinderlabels wie "Hello Kitty" wieder finden, wie in der phänomenal-futuristischen japanischen Architektur, in den Offensiven der "Tamagotchi", "Pokemon" und "Digimon"-Spiele, in Anime-Filmen wie "Chihiro im Zauberreich", der vor zwei Jahren immerhin die Berlinale gewann oder den märchenhaften Filmen Takeshi Kitanos, an japanischem Werbedesign und Kommunikationstechnik. Wer nach Japan reist, fährt nach "Tomorrowland" (William Gibson). Im Osten geht die Sonne auf.