Die Gefährdung einer neuen friedlichen Weltordnung durch die Aktualisierung des alten Paradigmas vom Krieg als Mittel der Politik zeigte sich 2003 deutlicher denn je. Darauf nehmen viele Autoren dieses Sammelbandes Bezug. Ihnen geht es um eine neue Struktur der internationalen Beziehungen auf der Basis von Kooperation, Kompromiss, Interessenausgleich und Integration.
Ende September 2002 trafen sich auf Schloss Hohentübingen 27 prominente Friedensforscher, Theologen, Philosophen, Kulturwissenschaftler, Politologen und Soziologen. Auf Einladung von Dieter Senghaas und Hans Küng, des Präsidenten der Stiftung Weltethos, diskutierten sie über ethische Aspekte bei der Gestaltung der Weltpolitik. In aktualisierter Fassung liegen ihre Vorträge jetzt vor: In der Fortsetzung des Dialoges zwischen den Wissenschaften und der Weltethos-Programmatik - dokumentiert seit den 90er-Jahren in einer Schriftenreihe - legen Küng und Senghaas hier den Schwerpunkt auf Friedenspolitik.
Die Gliederung des Bandes folgt einer Dreiteilung der Problematik in "Herausforderungen angesichts der Lage der Welt", "Weltordnungspolitik" und "Auswege aus der Sozialpathologie von Ethnokonflikten, Staatszerfall und Gewaltmärkten". Im Mittelpunkt aller Beiträge steht die Frage, ob sich auf einem ethischen Fundament ein neues Modell internationaler Beziehungen finden lässt.
Der Gewinn für den Leser liegt im breiten, interdisziplinären Ansatz, wobei die Autoren aufeinander zugehen, was zu spannenden Interdependenzen führt. Bei heftiger Kritik an den amerikanischen Kriegszielen und der Kriegsführung im Irak plädiert Hans Küng für einen Dialog der Religionen und die Einbeziehung der Realität der Weltreligionen in den "Welt-Diskurs". Ethische Standards seien in jedem Fall eine Basis der Verständigung zwischen den Religionen: Keine neue Weltordnung ohne Welthos, lautet daher sein Fazit.
Dieter Senghaas stellt dem von ihm seit langem kritisierten "Zusammenprall der Kulturen Modell" von Samuel Huntington ein Vier-Welten-Modell mit den OECD-Staaten als Gravitationszentrum der Welt gegenüber. Ausgehend vom sehr diversen ökonomischen und politisch-sozialen Entwicklungsstand der Länder entwickelt der Bremer Politologe drei Leitperspektiven weltweit verbindlicher Verhaltensweisen für friedliche Koexistenz im Sinne einer "Global governance" und eines Welt-Bewusstseins: Nachhaltigkeit, Zivilisierung des sozialen Konfliktes und Irenik, die Herstellung mentaler Brückenschläge.
Analysen der Lage in verschiedenen Regionen der Welt demonstrieren Beispiele zu dieser Thematik aus der Praxis, unter anderem am Beispiel des "realistischen Paradigmas" und des Ost-West-Konfikts (Ernst-Otto Czempiel), von Lateinamerika und Asien (Manfred Mols). Besondere Aufmerksamkeit gilt dem aufstrebenden China als eines zukünftigen Faktors der Weltpolitik und Weltwirtschaft aber auch dem Krisen-herd Afrika mit seinen Zerfallserscheinungen (Rainer Tetzlaff), die nicht zuletzt Folgen einer Entwicklungspolitik sind, deren Für und Wider Klaus M. Leisinger erörtert: Auswege aus dem Dilemma könnten nur in den betroffenen Ländern selbst gefunden und entschieden werden.
Weitere Themen sind die Diskursfähigkeit und kommunikative Vernunft innerhalb der Weltgesellschaft (Helmut Fahrenbach), Kriterien eines "gerechten Krieges" (für die Eindämmung von Konflikten als Alternative zum Präventivkrieg plädiert Alois Riklin) und welt-gerechte Ordnungsprinzipien (Norbert Brieskorn).
Einzeln und zusammen genommen ergeben die Bei-träge einen hervorragenden Überblick über den ge-genwärtigen philosophischen Diskurs zur Friedenspolitik im Zeitalter der Globalisierung, wobei die Autoren Schwarz-Weiss-Malerei entschieden vermeiden und interessante neue Ansätze bieten, wie etwa Volker Rittbergs Ausführungen über verschiedene Modelle des Weltregierens auf der Basis regionaler Ordnungsstrukturen.
So bieten sich viele Denkanstöße nicht nur für alle professionell in der Entwicklungsarbeit und -politik Tätigen, sondern auch für den interessierten Laien, der seinen Standort in der Diskussion um die Globalisierung noch sucht.
Hans Küng, Dieter Senghaas (Hrsg.)
Friedenspolitik.
Ethische Grundlagen internationaler Beziehungen.
Piper Verlag, München 2003; 416 S., 19,90 Euro