In der "Renaissance der Schwarzen" sah Jahn "keine Angelegenheit, die nur die Farbigen anginge". Vielmehr: "Diese Lyrik geht uns alle an. Sie wird auch in Deutschland, hoffe ich, ihre Wirkung nicht verfehlen."
Jahns Optimismus schien zunächst Recht zu behalten: gerade dank seiner über 20-jährigen Bemühungen - Jahn starb 1973 - wurden mehr Werke der afrikanischen Literaturen ins Deutsche übersetzt als in jede andere Sprache. Oft wurden die deutschen Übersetzungen der afrikanischen Romane bereits in dem Jahr nach ihrer Publikation im Original veröffentlicht. Als Léopold Senghor 1968 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche entgegennahm, war dies auch die vorläufige "Krönung" seines Übersetzers und unermüdlichen Mittlers Janheinz Jahn.
Das Berliner "Horizonte"-Festival 1979, der Afrika-Schwerpunkt der Frankfurter Buchmesse 1980, die Gründung der "Gesellschaft zur Förderung der Literaturen aus Afrika, Asien und Lateinamerika" und der Noma-Preis für Mariama Bâ's "Ein so langer Brief" im gleichen Jahr, nicht zuletzt der Nobelpreis für Wole Soyinka (1986) und die Vereinigung der beiden deutschen Staaten, durch die die zuvor in der DDR erschienenen Übersetzungen afrikanischer Literatur auf den nun gemeinsamen Buchmarkt gelangten, dies alles schien der Rezeption afrikanischer Literatur im deutschen Sprachraum einen günstigen Nährboden zu bereiten.
Dennoch ist die Situation der afrikanischen Literatur im deutschen Sprachraum nach wie vor höchst unbefriedigend und gibt zu fortgesetzten Klagen Anlass. Während in England oder Frankreich - zum Teil auch in Italien und Spanien - die Klassiker der afrikanischen Literatur in Taschenbuchausgaben in den Regalen der meisten Buchläden stehen, findet man auch in deutschen Universitätsstädten an den entsprechenden Stellen allenfalls Titel wie "Nirgendwo in Afrika" von Stefanie Zweig, "Die weiße Massai" von Corinne Hofmann oder "Tränen am Oubangui" von Cornelia Candy. Die Bücher der auf afrikanische Literatur speziali-sierten Verlage wie Peter Hammer oder Lembeck findet man am ehesten in den Dritte-Welt-Läden.
Die Gründe dafür liegen sowohl in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts als auch in der speziellen Konstellation der populären Massen-Literatur zu Afrika.
Untersuchungen zur deutschen Kolonialliteratur, wie Oloukpona-Yinnon schrieb, haben gezeigt, dass es vor dem Ersten Weltkrieg verheißungsvolle literarische Ansätze gab, die - trotz der Dominanz eines kolonialistischen und rassistischen Diskurses - vom Bemühen um Verstehen und Aufeinander-Zugehen bestimmt waren. In Einzelfällen auch bemüht, dem "Anderen" Stimme zu geben und afrikanische Autobiographien und "Selbstzeugnisse" zu Gehör zu bringen. Carl Einsteins Negerplastik (1915), die noch vor dem Weltkrieg entstanden war, ist ein wichtiges Zeugnis für die ästhetische Anerkennung und Wertschätzung afrikanischer Skulpturen, die man als Vorstufe auch der literarischen Anerkennung ansehen kann.
Der Erste Weltkrieg markiert eine Zäsur und koppelt die deutsche Wahrnehmung Afrikas und die Einstellung zum "Schwarzen Kontinent" von derjenigen des übrigen Europas ab. Die Rekrutierung von über 200.000 afrikanischen Soldaten ("Tirailleurs Sénégalais") durch Frankreich, ihr Einsatz im Krieg und ihre Verwendung bei der Besetzung der Rheinlande, führten auf deutscher Seite zu hasserfüllten Kampagnen, deren Nachhall unter dem Namen "Schwarze Schande" und "Schwarze Schmach am Rhein" bis zu Hitlers "Mein Kampf" reicht und unter anderem die Sterilisierung der sogenannten "Rheinlandbastarde" zur Folge hatte.
Der Verlust der Kolonien im Versailler Vertrag und vor allem die Tatsache, dass man den Deutschen in der Folge die Grausamkeiten ihrer Kolonialherrschaft vorwarf und ihnen die Fähigkeit zu kolonisieren und damit zu "zivilisieren" abstritt, führte zu heftigen Kampagnen gegen die "koloniale Schuldlüge" und zu einem kolonialen Irredentismo, der in den 1930er-Jahren in Buchtiteln wie "Wann kommen die Deutschen endlich wieder?" gipfelte.
Schließlich wurden einige der populären Afrika-Bücher zu regelrechten Bestsellern, von den Nationalsozialisten in ihrem Sinne gedeutet und zentraler Bestandteil ihrer Ideologie: der Feldzugsbericht aus dem ehemaligen Deutsch-Ostafrika "Heia Safari" (1920) des Generals von Lettow-Vorbeck beglaubigte die These des "Im-Felde-Unbesiegt" und der Kolonialroman "Volk ohne Raum" (1926) von Hans Grimm lieferte dem Nationalsozialismus ein weiteres seiner berüchtigten Schlagworte.
Als in den 30er- und 40er-Jahren die ersten Texte von afrikanischen Autoren in europäischen Sprachen erscheinen und die Négritude-Bewegung sich Gehör verschafft, lesen deutsche Schüler den Blut-und-Boden-Roman des Hans Grimm und die Aufschneidereien des "miles gloriosus" Lettow-Vorbeck oder den von genozidären Ausrottungsphantasien durchzogenen "Feldzugsbericht" "Peter Moors Fahrt nach Südwest" des so genannten Heimatdichters Gustav Frenssen, der es zwischen 1906 und 1953 (!) auf eine Auflage von 444.000 verkauften Exemplaren brachte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg bot sich die Gelegenheit, die zuvor versäumten Lektionen nachzuholen und in Synchronie mit anderen europäischen Nationen die afrikanische literarische Produktion zu rezipieren. Dass dies trotz verheißungsvoller Ansätze nicht gelang, hat vor allem zwei Ursachen: Einmal liegt es daran, dass den international als "Pionierarbeiten" rezipierten Büchern von Janheinz Jahn in Deutschland die Anerkennung durch die akademischen Instanzen verweigert wurde und Jahn ein "Außenseiter" blieb - ebenso wie der in Nigeria lebende Ulli Beier - und die von ihm propagierte afrikanische Literatur erst nach seinem Tode und unter größten Schwierigkeiten "legitimer" Bestandteil der universitären Forschung wurde.
Zum andern, weil der Bereich, den die afrikanische Literatur im deutschen Leseverhalten und im Bewusstsein hätte einnehmen können, durch andere "besetzt" war. Es gab - nach der früheren Kolonialliteratur - andere Bücher, die dem deutschen Lesebedürfnis in Sachen Afrika Genüge taten. Wir sprechen hier von dem (vor allem deutschen) Phänomen Albert Schweitzer, dem elsässischen Arzt, Theologen und Orgelspieler, Träger des Goethe-Preises (1928), des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels (1951), des Friedensnobelpreises (1952) und zahlreicher weiterer Auszeichnungen. Ganze Generationen von Konfirmanden, Hauptschulabgängern und Abiturienten sind mit den autobiographischen Büchern des "Urwald-Doktors" beschenkt worden und haben dadurch eine bleibende Prägung ihres Afrika-Bildes erfahren. "Zwischen Wasser und Urwald" (1921), "Aus meiner Kindheit und Jugendzeit" (1924), "Aus meinem Leben und Denken" (1931) erreichen über Jahrzehnte Bestsellerauflagen, an die afrikanische Buchtitel - selbst in ihrer Gesamtheit - auch nicht annähernd herankommen.
Seit den 80er-Jahren treten andere Bestseller an ihre Stelle, etwa der des TV-Journalisten Peter Scholl-Latour "Mord am großen Fluss - Ein Vierteljahrhundert afrikanischer Unabhängigkeit" (1986). Und in den 90er-Jahren die sich zu einer besonders erfolgreichen Gattung entwickelnden Afrika-Frauen-Romane.
Der 1986 an Wole Soyinka verliehene Nobelpreis hat an dieser Situation wenig geändert. Der Feuilletonchef einer großen deutschen Wochenzeitung schrieb dazu am 24. Oktober 1986: "Der kleine kosmopolitische Kreis der westdeutschen Kritik erklärt mir glaubhaft, Wole Soyinka habe den Preis verdient. Mir soll das recht sein, solange daraus kein moralischer Zwang erwächst, den Autor ab sofort lesen zu müssen." Der aus Burkina Faso stammende Literaturwissenschaftler Isaac Bazié, der "Die kritischen Reaktionen der deutschsprachigen, französischen und englischen Presse auf den Literaturnobelpreis von 1984 bis 1994" untersuchte, sieht in dieser Haltung einen "Vernichtungsakt gegenüber der Auszeichnung", die damit die Ehrung wieder rückgängig zu machen versucht.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die deutsche Leselust auf Afrika wurde selten durch afrikanische Literatur befriedigt. Statt der frühen afrikanischen Texte der 20er- und 30er-Jahre ist es eine rassistische und zum Teil brutale Kolonialliteratur. Statt der afrikanischen Romane der 50er- und 60er-Jahre, während der Restauration der Adenauer-Ära, eine Art "Vergangenheitsbewältigung", die den Namen Albert Schweitzer trägt. Statt der anspruchsvollen afrikanischen Literatur der 70er-, 80er- und 90er-Jahre ein Ausweichen auf Sensationsberichte und fingierte Exoten sowie Tiersafaris, unter denen Bernhard Grzimek gewiss eine Erwähnung verdient hätte. Nicht zuletzt die aufdringli-chen Journalistinnen und Journalisten und "mutigen Frauen", denen Afrika zum "Schicksal" wurde. Eine Änderung freilich ist nicht in Sicht.
János Riesz ist Professor für Romanische Literaturwissenschaft und Komparatistik an der Universität Bayreuth.