Mächtige Stahlträger sind es, die einst diesen Palast trugen und die heute mit Leichtigkeit dessen Skelett stützen. So geschützt kann mehrere Meter darunter eine lebensgroße Tonarmee mit machtvoll dreinblickenden Kriegern aufmarschieren, einst geformt, um dem ersten Kaiser von China, Quin Shi Huang Di, auch im Jenseits Schutz vor seinen Feinden zu gewähren. In Berlin trifft derzeit zusammen, was eigentlich nicht zusammen gehört: Im früheren Parlamentsgebäude der DDR, dem Palast der Republik, führt ein privater Aussteller seit einigen Wochen originalgetreu nachgebildete Kombattanten jener Terrakotta-Armee vor, die vor über 2.200 Jahren als monströse Grabbeigabe geformt wurden. Seit die Figuren vor 30 Jahren entdeckt wurden, gelten sie als achtes Weltwunder der Antike. Der Palast hingegen ist mittlerweile eine Ruine mit dem Flair eines Parkhauses - zumindest in seinem Innern.
Doch nur auf den ersten Blick mutet es obskur an, dass die tönernen Repräsentanten der nach kaum 15 Jahren untergeganenen Qin-Dynastie ausgerechnet an dem einst symbolträchtigen Ort des "real existierenden" Sozialismus gezeigt werden, der seit seiner Sanierung an vielen Stellen offen, gelöchert, zugig und kalt ist. Vermag man doch in diesem zufälligen Zusammenprall zweier vergangener Epochen kleine Kuriositäten der Geschichte zu entdecken. Während einstmals in "Erichs Lampenladen" Politiker Reden schwangen, schweigen dort nun die kalten Krieger.
Das gemeinsame Schicksal beginnt 1974, in jenem Jahr, in dem die Terrakotta-Armee in der monströsen Grabanlage des chinesischen Kaisers nach langer Zeit wieder entdeckt und bekannt wurde. Im selben Jahr wurde auch die entscheidende Weiche für den Palast der Republik gestellt: Im März 1974 hatte die Montage der mächtigen Stahlbautragskonstruktion begonnen, zwei Monate darauf folgten die Brandschutzarbeiten und mit ihnen die folgenschwere Verwendung von Spritzasbest. Bereits 16 Jahre später, im September 1990, schloss die Volkskammer der DDR das Parlaments- und Unterhaltungshaus - wegen Asbestbelastung. Mit den Türen des Palasts wurden fast gleichzeitig auch die Türen der Epoche DDR verriegelt.
Der als "Ballast der Republik" verballhornte Bau entwickelte sich anschließend auf neue Weise zum Politikum. Nach langen Debatten wurde er saniert und dabei so filettiert, dass außer den Grundmauern, dem Stahl und einem Hauch von Technik nichts übrigblieb. Immerhin war das noch genug, um im vergangenen Jahr überraschend viele Neugierige in die erstmals angebotenen, fast immer ausgebuchten Führungen zu locken. So ist die Eroberung des Palastes durch die Tonkrieger einschließlich einiger Schlachtrösser auch das Aufeinandertreffen zweier touristischer Zugpferde: Bereits am Eröffnungswochenende strömten laut Angaben der Veranstalter mehr als 10.000 Besucher in die Ausstellung.
130 Repliken, jeweils 250 Kilogramm schwer, warten auf sie, im ersten Stock des Palastes, auf feinem Sand aufgestellt, dauerbeschallt von fernöstlich angehauchten Melodien. Infanteristen, Generäle, Offiziere, Bogenschützen, alle mit unterschiedlichem Gesichtsausdruck: drohend, ernst, ehrerbürtig, einsatzbereit, den Blick unermüdlich gen Westen gerichtet. Wer will, kann zwischen den Absperrungen und schweren Betonpfeilern hindurch seinen Blick auf die Reste des ehemaligen hochvariablen Konzertsaals des Palastes wenden. Die Besucher bekommen zudem in der gebotenen Kürze eine Einführung in die Zeit und das Wirken des ersten Kaisers von China, der von 259 bis 210 vor Christus lebte, China einte und so das erste feudale Kaiserreich mit zentralistischer Macht in der Geschichte des Reiches der Mitte begründete.
Auf einem der ödesten Plätze dieser als "Neue Mitte" getauften Ecke Berlins ist mit der steifen Armee wieder etwas Leben eingezogen. Sonst wirkt die Kulisse vor dem Palast eher trist: Wer seinen Blick über den Schlossplatz schweifen lässt - in Richtung Westen, genau wie die Tonkrieger - blickt auf einige Ausgrabungslöcher mit Fundamenten des 1950 gesprengten Schlosses und ansonsten auf eine große Brache vor klassizistischem Hintergrund. Meist pfeift der Wind dazu über den zentralen Aufmarschplatz der DDR, der, wenn es nach Willen vieler Berliner und auch des Bundestages geht, bald wieder von einer einzigen Replik beherrscht werden soll: dem originalgetreuen Nachbau des Schlosses. Wann es so weit sein wird und wann die Reste des Palasts der Republik deswegen, wie im November 2003 vom Bundestag beschlossen, abgerissen werden, ist auch wegen der Kosten des Projektes von etwa 600 Millionen Euro unklar. Noch bis Ende Juni 2004 bieten die mächtigen Stahlträger den Terrakotta-Kriegern auf jeden Fall Schutz.