Auch wenn die Türkei bei der Erfüllung der für alle Kandidatenländer gleichen politischen Kriterien erhebliche Fortschritte gemacht hat, bleiben aus der Sicht des Europäischen Parlaments noch erhebliche Defizite beim Schutz der Menschenrechte, der Vereinigungs- und Religions- sowie der Meinungsfreiheit bestehen. Damit erfülle das Land noch nicht die Voraussetzungen für den Ende des Jahres in Aussicht genommenen Beschluss zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Die strikte Erfüllung der politischen Kriterien bleibe weiter Vorbedingung für Aufnahmegespräche. Doch auch die Fähigkeit der EU, weitere neue Mitgliedsländer aufzunehmen, müsse berücksichtigt werden, heißt es in dem jüngsten Fortschrittsbericht zur Türkei auf ihrem Weg in die EU.
Auf der Grundlage des Berichts des niederländischen EVP-Abgeordneten Arie Oostlander würdigen die Europaabgeordneten den politischen Willen und die Anstrengungen der von der AKP-Regierung und der großen Mehrheit des türkischen Parlaments zur umfassenden Reformpolitik. Die Umsetzung der beschlossenen Reformen auf allen Ebenen des Staates aber komme offenbar nicht nach. Als besondere Kritikpunkte werden dabei der fortwährende Einfluss der Armee, die weiterhin nicht ausgerottete Folterpraxis bei Polizei und Armee, die Einschüchterung von Menschenrechtsaktivisten, die Diskriminierung von religiösen Minderheiten sowie die Einschränkung der Gewerkschaftsfreiheit genannt.
Als Beispiel wird auf den Fall der Sacharowpreisträgein Leyla Zana hingewiesen, gegen die nun, trotz der auf jahrelangen Druck von außen hin erfolgten Annullierung einer langjährigen Gefängnisstrafe, erneut der Prozess eröffnet werden soll. Das Gleiche gilt für zwei weitere, noch immer inhaftierte frühere kurdische Abgeordnete. Kritisch stellt das Parlament an die Adresse der Staats- und Regierungschefs die Frage, warum diese Fälle kein Hindernis für die Anerkennung der Türkei als Beitrittskandidat zur EU beim Gipfeltreffen der EU 1999 in Helsinki gewesen sei.
Als konkrete Forderungen wird die Abschaffung der Staatssicherheitsgerichte genannt. Ebenso müsse die Zehn-Prozent-Sperrklausel gestrichen werden, die verhindere, dass auch kurdische Parteien ins Parlament einziehen können.
Weitere Forderungen beziehen sich auf die Zulassung von Medien in anderen Sprachen als Türkisch, die volle Umsetzung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, auch hinsichtlich der Eigentumsrechte auf Zypern. In diesem Zusammenhang sieht das Parlament in der Lösung des Zypern-Konflikts auch eine Vorbedingung für den Weg der Türkei in die EU. Außerdem müsse sie den Vertrag zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag unterzeichnen. H. H.