Noch Anfang März dieses Jahres, zwei Monate vor dem Beitritt Ungarns zur EU, wurde das Land in der "Financial Times Deutschland" als Problemfall unter den zehn EU-Beitrittsstaaten dargestellt. Denn wegen Fehlern der Regierung und der Ungarischen Nationalbank droht Ungarn eine Währungskrise. Das Sparpaket des Mitte Februar neu eingesetzten Finanzministers Tibor Draskovicz im Volumen von 185 Milliarden Forint leitete Ende Februar jedoch eine Wende ein. Sie fand mit den Zinsschritten der Notenbank am 22. März und 5. April ihre Fortsetzung. Die Notenbank hat damit begonnen, die Leitzinsen in kleinen Portionen von jeweils 25 Basispunkten zu senken. Der Leitzins ist auch danach mit zwölf Prozent immer noch außerordentlich hoch, der höchste unter den zehn Beitrittsländern. Dennoch zeigte die Notenbank mit diesen Schritten ihren Willen, das Zinsniveau schrittweise zu senken und das verlorene Vertrauen wieder zurückzugewinnen.
Gleichzeitig erstarkte der Forint in den vergangenen zwei Monaten von einem Niveau von über 266 Forint Anfang Februar auf unter 249 Forint Ende März, was eine Stärkung der ungarischen Währung von sieben Prozent bedeutet. Auch das ist eine Entwicklung, die zur Wiederherstellung des Vertrauens in die ungarischen Wirtschaft und die ungarische Währung führen kann. Vor mehr als einem Jahr, am 10. Januar 2003, wurde der Forint (HUF) mit einem Wechselkurs von 234 Forint für einen Euro gehandelt. Damit hatte er zwar seine stärkste Position gegenüber dem Euro (EUR) erreicht, war aber zugleich auch zum Problem für einen Teil der wirtschaftlichen Akteure geworden. Er verteuerte die ungarischen Produkte gegenüber den Haupthandelspartnern um 20 Prozent. Zugleich hatten sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschlechtert. Die erwartete Konjunkturverbesserung in der EU, dem größten Handelspartner Ungarns, hatte nicht eingesetzt. Das Wirtschaftswachstum in Ungarn verlangsamte sich.
Die geringeren Einnahmen des ungarischen Staates wurden durch steigende Geldaufnahmen und Ausgaben ergänzt. Dieser Prozess hatte im Jahr 2001 begonnen. Die Orban-Regierung wollte damals das gegenüber der EU hohe Wirtschaftswachstum mit einem antizyklischen Wirtschaftsprogramm aufrechterhalten. Das Doppelwahljahr 2002 - Parlamentswahlen und Wahlen der örtlichen Verwaltungen - verschärfte die Lage. Im Kampf um die Macht überboten sich die damalige Regierungspartei und die Opposition, die heutige Regierungskoalition, gegenseitig in ihren Wahlversprechen. Dazu gehörten deutliche Lohnerhöhungen für die Angestellten im öffentlichen Dienst und Rentenerhöhungen. Zugleich war von der Orban-Regierung ein teures Programm zur Unterstützung von Wohnungsbaukrediten aufgelegt worden.
Das antizyklische Wirtschaftsprogramm bestand darin, das Wirtschaftswachstum nicht über höhere Exporte und Investitionen zu stärken, sondern über einen höheren Verbrauch im Inland, unter anderem über einen höheren Verbrauch der Bevölkerung. Das konnte durch Steigerungen der Reallöhne in den Jahren 2002 und 2003 um zehn Prozent finanziert werden. Darüber hinaus nahm die Verschuldung der Bevölkerung über Verbraucherkredite und gestützte Wohnungsbaukredite deutlich zu. Die Nachfrage stieg also tatsächlich, führte aber nicht zu so viel Wirtschaftswachstum in Ungarn wie erhofft. Denn die höhere Nachfrage auf dem Inlandsmarkt wurde durch vermehrte Importe gedeckt. Das heißt, auf der einen Seite wurden die Ressourcen für die Steigerung der zahlungsfähigen Nachfrage im Inland über Mehrausgaben des Staates (schnelle Erhöhung der Löhne und sozialen Transferleistungen, wie zum Beispiel die Renten; das starke Ausweiten der Kreditaufnahmen der Bevölkerung) geschaffen. Die Steigerung des Exports fiel aber hinter der des Import zurück. Bei den Investitionen nahmen nur die staatlich finanzierten Infrastrukturmaßnahmen zu. Die Investitionen der Privatindustrie stagnierten oder fielen zurück. So stieg das Defizit im Staatshaushalt im Jahr 2003 auf 8,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Für 2004 wird es auf 4,6 Prozent geschätzt.
Als großes Problem kann hervorgehoben werden, dass keine Übereinstimmung zwischen der fiskalen, monetären und Einkommenspolitik herrschte. Die hohen Zinsen in Ungarn sorgten dafür, dass der Geldzufluss aus dem Ausland ausreichte, um das Defizit im Staatshaushalt zu finanzieren, da ein hohes Aufgeld gezahlt wurde. Sie sind auch der Auslöser für Spekulationen gegen die ungarische Währung. Sogenannte "heiße Gelder", die unter anderem auch der Finanzierung des Staates dienten, können dabei mit Gewinn schnell wieder abgezogen und so Störungen im Finanzmarkt hervorrufen. Zwar versprach die Regierung immer wieder zu sparen, tatsächlich ist jedoch nicht viel geschehen. Als die Notenbank im November 2003 mit der Erhöhung der Leitzinsen auf 12,5 Prozent die Notbremse zog, wurde langsam von einer Währungskrise gesprochen. Dabei sollte eher der Begriff Vertrauenskrise benutzt werden, zumal die Regierung bereits begonnen hatte, Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Trotz der Fehler hatte es die 2002 an die Macht gelangte Regierung im Jahr darauf verstanden, die Struktur des Wirtschaftswachstums umzugestalten, was in den wirtschaftlichen Kennziffern für das vierte Quartal 2003 bereits zum Ausdruck kommt. So verbesserte sich die Wirtschaftsleistung des Landes im vierten Quartal 2003 um ein Prozent gegenüber dem Quartal zuvor. Das Bruttoinlandsprodukt wies gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2002 einen Zuwachs von 3,6 Prozent, im ganzen Jahr von 2,9 Prozent aus. Zugleich stiegen die Investitionen um drei Prozent, und innerhalb dessen wiesen die Entwicklungsvorhaben in der verarbeitenden Industrie auf die wirtschaftliche Belebung hin. In den letzten drei Monaten des vergangenen Jahres lag der Zuwachs bei den Exporten deutlich über dem der Importe. Zugleich wurde das wirtschaftliche Wachstum wieder von den Investitionen und nicht vom Verbrauch der Bevölkerung getragen. Dadurch können das Defizit in der Zahlungsbilanz des Landes verringert und das Verschulden des Landes gestoppt werden. Im Januar 2004 setzte sich die positive Entwicklung in der Wirtschaft fort.
Dieser Trend wird laut den ungarischen Konjunkturforschungsinstituten anhalten und zu einer Verbesserung der laufenden Zahlungsbilanz führen, wodurch sich das wirtschaftliche Gleichgewicht des Landes deutlich verbessern kann. Diese Trendwende in der Wirtschaft und das sich abzeichnende Verringern der Risikoprämie, die bei Kreditaufnahmen im Ausland gezahlt werden muss, nahm die Notenbank zum Anlass, mit dem Reduzieren der hohen Leitzinsen zu beginnen. Dabei sind sich Konjunkturforscher und Analysten darüber einig, dass das Niveau der Leitzinsen bei einer sich weiter verbessernden wirtschaftlichen Lage am Ende diess Jahres bei etwa zehn Prozent liegen könnte. Ein besseres wirtschaftliches Gleichgewicht und abnehmende Defizite im Staatshaushalt wie in der Zahlungsbilanz werden letztendlich auch das Vertrauen in die Wirtschaft und die Währung Ungarns stärken. Ulrich Schneider
Dr. Ulrich Schneider ist Kultursoziologe und lebt als freier Wirtschaftsjournalist in Budapest.