Kleine Hügel mit Weinreben, in den Tälern dichte Buchenwälder: Es ist eine friedliche, unspektakuläre Landschaft, abwechslungsreich und kleinförmig, die sich da zwischen den Flüssen Mur und Drau ausbreitet, Gegend im Hintergrund, wie bukolische Landschaftsmaler im 18. Jahrhundert sie mochten. Wer hier in der Prlekija die "Weinstraße" sucht, findet sie überall und nirgends.
Vom schmucken k.k.-Bezirksstädtchen Ormoz an der Drau nimmt man eines der schmalen Sträßchen links hinauf in die Berge und landet dann aus dieser oder jener Richtung unweigerlich in Jeruzalem, dem kleinen Zentrum eines von Reisebussen und besoffenen Kegelclubs ganz unberührten Anbaugebiets. Jeruzalem ist kaum mehr als ein Weinberg mit einer Kirche und einem Gasthaus oben drauf. Er ragt mit seinen 340 Metern nur ein klein wenig über die Nachbarhügel hinaus, genug aber, dass man hier an klaren Tagen bis zum ungarischen Plattensee schauen kann. Im Gasthaus gibt es, im Schatten eines alten Baumgartens, den Weißwein, der 50 Meter weiter unten angebaut wird.
Wer etwas essen will, kann Hirsch oder Wildschwein haben, etwas ganz Besonderes in einem Land, das sich sonst voll und ganz der Pizza verschrieben hat. Dazu isst man Buchweizen. Auf der Karte muss man "Ajdova kasa" suchen. Feinen Ohren mag es vorkommen, als hätten sie das Wort schon einmal gehört. Das ist möglich: Etwas weiter nördlich, jenseits der Grenze, heißt es "Heidenkäse". Jeruzalem gehört zur Landschaft Stajerska - zur Steiermark, wie man im österreichischen Norden sagt.
Bevor die Gegend 1918 zu Jugoslawien kam, war sie mehr als 700 Jahre lang ein Teil von Österreich. Stajerska war zu jugoslawischer Zeit als Begriff für den nordöstlichen Teil Sloweniens verpönt. Nach der Unabhängigkeit fuhren dann plötzlich Autos mit einem seltsamen Aufkleber durch die Gegend: "Hvala Bogu da jem Staijerc" - Gottseidank bin ich ein Steirer. Heute wird der Begriff wieder arglos verwendet. In die Verwaltungssprache hat er allerdings keinen Eingang gefunden.
Wer dem neuen Restaurant die alte Gaststube vorzieht, sitzt sogar sonntags unter den Altbauern von Jeruzalem, die hier wie in Südtirol blaue Schürzen tragen, mit Besuchern auf Wunsch ein hartes, steirisches Deutsch sprechen und sich gern auch ein Bier statt des eigenen Weines schmecken lassen. Das Gasthaus diente einmal der Adelsfamilie Fischerauer als Schloss. Aus den herrschaftlichen Jahren dieser vergangenen Zeit ist noch der bald 350-jährige Weinkeller übriggeblieben.
Das kleine Slowenien, an Ausdehnung so groß wie Rheinland-Pfalz oder Sachsen-Anhalt, besteht zur Hälfte aus Weinanbaugebieten: Das bekannteste ist das Küstenland mit dem gefragten Vipava, einst Jugoslawiens Paradewein. Weniger berühmt sind das Land an Sawe und Krka und das an Drau und Mur. Auf 22.000 Hektar Land in ganz Slowenien wächst Wein, pro Jahr werden 80 bis 120 Millionen Liter gekeltert. Neun von zehn Flaschen trinken die Slowenen übrigens selber - und das bei stolzen Preisen von vier bis fünf Euro.
Gegen den "Billigwein" hat man sich schon immer abgesetzt - und erfolgreich erstmals 1976, als sich die - damals fast ausschließlich staatlichen - Weingüter zu einem Schutzverband gegen den zuckersüßen "Amselfelder" aus dem Kosovo verbündeten. Die sozialistische Episode hat den Strukturen der Anbaugebiete nicht geschadet. Im Vergleich zur angrenzenden österreichischen Steiermark ist der Anbau deutlich dichter, ohne damit zur Monokultur geworden zu sein. Es macht den besonderen Charme steirischer Weinbaugebiete aus, dass auch die Kastanien, die man zum Wein isst, an Ort und Stelle wachsen; auch die Hirsche werden nicht weit von hier geschossen.
Es fehlt zwar andererseits die gewachsene Dichte von "Buschenschänken", wie die Straußwirtschaften in der Steiermark genannt werden. Dafür sind die, die man findet, noch unbeschädigt von der rustikalen Brauerei-Gemütlichkeit, die bei den Busladungen aus Wien so gut ankommt. Wer ein bisschen sucht, findet sogar wahre Perlen. Eine davon liegt abseits der Straße hinter einem Wald in einem kleinen, engen Tal mit etlichen Fischweihern, einem reetgedeckten Bauernhaus und etlichen Gänsen und Enten.
Dort, in Slamnjak bei Ljutomer, waltet einer der rührigen "Unternehmer", die Sloweniens verschlafene Schönheiten für Ausflügler aus Österreich öffnen: Frank Ozmec, der neben einem fruchtigen, halbtrockenen Riesling eine Brotzeit, Gästebetten und Hausmusik bietet.
Ozmec ist einer der vielen Bauern mit Ideen, die es hier gibt. Das beste Beispiel dieser Spezies ist Vinko Brenholc, dem das Gasthaus Jeruzalem gehört, ein junger Mann, der Golf fährt und gern mit den Winzern ein Schwätzchen hält. Von ihnen haben auch viele ältere das Risiko der Privatisierung auf sich genommen und bewältigt, und wer wie Vinko Brenholc noch jung ist, kann gleich an mehr denken.
"Langsam kommt alles wieder", erzählt ein alter Bauer, der den Weinberg unter seinem Haus am Wasserturm von Jeruzalem gekauft hat und einen kräftigen Muskateller ausschenkt. Ganz hier in der Nähe spielt auch die Erfolgsgeschichte des ersten privaten Weinbauern Sloweniens, der schon 1971 seine erste eigene Marke vorstellte und heute mit seinem Schwiegersohn neun Sorten anbaut und außer dem üblichen Angebot für Kenner sogar Trockenbeerenauslesen und Eisweine verkauft.
Eine halbe Stunde ist es von hier bis Ptuj, dem mittelalterlichen Städtchen mit Fluss und Burg, für die Weinregion ein würdiges Zentrum. Und wer es partout will und noch nicht zuviel Welschriesling und Silvaner probiert hat, ist sechs Stunden später wieder zurück in München. Norbert Mappes-Niediek