Das Buch soll in erster Linie wohl jüngere Leser erreichen, welchen Alters auch immer. Aber nicht nur für sie ist es geschrieben, wie auf dem Buchdeckel zu erfahren ist. Es handelt sich um eine erweiterte Neuausgabe, die die 1999 erschienene Erstfassung um ein Register und um Themen ergänzt, die in den 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts in den Vordergrund traten.
Nach der Maueröffnung am 9. November 1989 und dem "Fest, wie in Deutschland noch keines gefeiert worden war", galt es, die Probleme des Vereinigungsprozesses (unter anderem ökonomischer Wandel, Arbeitslosigkeit, Fremdenfeindlichkeit) und die neuen internationalen Herausforderungen zu bewältigen, vor denen der wiederhergestellte Nationalstaat stand. "Nie wieder Krieg?" lautet die Überschrift des letzten Kapitels, das die weltweiten Einsätze der Bundeswehr verzeichnet.
Gut die Hälfte der Darstellung verwendet der Autor auf die Entwicklung bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Er setzt mit einer Skizze zu den Anfängen in germanischer Zeit ein und lässt im Hochmittelalter Deutschland "Gestalt annehmen". Dass das Mittelalter keineswegs als "finster" eingestuft werden kann, wird deutlich, wenn von seinen politischen, wissenschaftlichen und kulturellen Leistungen die Rede ist, die in die Neuzeit weisen.
Wiederholt benennt Mai Weichenstellungen, die ihm markant erscheinen. Eine davon ist der Bauernkrieg. "Zum Schaden der deutschen Geschichte" müsse die Niederlage der Bauern 1525 als einschneidender Vorgang im Kampf um Freiheitsrechte und soziale Gerechtigkeit verstanden werden. "Was hätte nicht alles anders werden können, wären die Bauern 1525 erfolgreich gewesen!" Unterschlagen wird dabei freilich, dass nicht alle Forderungen der Bauern zukunftsgerichtet waren und einige ihrer Vorstellungen mit den Tendenzen zu moderner Staatlichkeit und Wirtschaft kollidierten.
In welcher Verfasstheit sich der moderne Staat entwickelte, hing von regionalen und nationalen Besonderheiten ab. In Deutschland erfolgte die politisch-rechtliche Modernisierung überwiegend durch von Impulse von außen, die nicht zuletzt aus Frankreich kamen, beginnend mit der Französischen Revolution und Napoleon und sich fortsetzend mit den Revolutionen von 1830 und 1848. Nicht der Typ des kämpferischen Demokraten setzte sich in Deutschland durch, sondern der "deutsche Michel", der als "Sinnbild des deutschen Bürgers" in biedermeierlicher Provinzialität seine Nische im Privaten suchte.
Den Sieg trugen im 19. Jahrhundert der Obrigkeitsstaat davon und schließlich die Militärs, die das 1871 gegründete Kaiserreich prägten und es mit dem "Säbelrassler" Wilhelm II. an der Spitze in den Ersten Weltkrieg führten. Zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus wird die Weimarer Republik in Mais Darstellung fast erdrückt. Die alte Legende wird wieder bemüht, der Versailler Vertrag sei für die junge Republik "von entscheidender Bedeutung" gewesen. Wichtiger war wohl die ebenfalls erwähnte prinzipielle Ablehnung der ungeliebten Republik durch weite Kreise der Bevölkerung, so dass gut ein Jahrzehnt später "die große Mehrheit der Deutschen" die NS-Herrschaft zunächst "nicht besonders bedrückend" empfand.
Die letzten 40 Seiten behandeln mit einem deutlichen Schwerpunkt auf der Bundesrepublik die Zeit nach 1945. Erstaunlich wenig erfährt man über die Grundbedingung beider Staaten, über ihre Einfügung in Allianzen und Integrationsprozesse in Ost und West. Der Komplex Europa kommt erst mit der Einführung des Euro in den Blick. Dadurch erfährt das zentrale Thema der fortschreitenden Verwestlichung der Bundesrepublik und schließlich ganz Deutschlands eine verkürzte Darstellung.
Manfred Mai
Deutsche Geschichte.
Mit Bildern von Julian Jusim.
Beltz & Gelberg, Weinheim 2003; 185 S.,14,90 Euro